Die Schule im Dorf lassen

Johanna Schram

Mögen Sie Wind? Wind, der im November scharf ins Gesicht schneidet und durch alle Kleidungsschichten dringt? Und mögen Sie Gummistiefel? Und lange Novemberabende im Haus, möglichst nah am Ofen? Dann könnte Ihnen Lüchow gefallen!

Lüchow-Dannenberg? Nein, Lüchow bei Rostock. Mit dem Auto fahren Sie von Rostock die Autobahn Richtung Süden, biegen nach 25 Minuten auf die Landstraße ab, fahren durch Dörfer, die immer kleiner werden, bis das kleine Sträßchen in eine kopfsteingepflasterte Straße übergeht, wo Sie – aus Mitleid mit Ihrem Auto – stehenbleiben werden. Jetzt sind Sie in Lüchow. Ein Dorf?

Zunächst eine Ansammlung von wenigen Häusern, hingeduckt unter einigen Bäumen als zweifelhaften Schutz vor dem oben erwähnten Wind. So sah Lüchow aus, bevor vor einigen Jahren junge Menschen ihr Herz für diesen Ort entdeckten und blieben. Sie hatten Visionen für ein Leben abseits der großen Städte und so manchen Begleiterscheinungen der Zivilisation für sich und Ihre Kinder. Sie entwickelten Ideen und ließen Taten folgen. Und so entstand in Lüchow ein Dorfhaus, ein Werkstattgebäude, ein Waldorfkindergarten, ein Mehrgenerationenhaus, eine Seniorenpflege, ein Dorfladen, ein Schulhaus.

Ja, ein richtiges Schulhaus – für eine Dorfschule! Tatsächlich wurde sie 2006 zum Leben erweckt und erlebte eine hoffnungsvolle Anfangsphase. Wie schön schien sich alles zu ergänzen – die gesundenden Elemente der Waldorfpädagogik zusammen mit Wind und Wetter, Erde, Pflanzen und Tieren; einer Filzwerkstatt, einem köstlichen Mittagstisch für alle, die kommen wollen, einer Reittherapeutin mit ihren Pferden – welche Gründungsinitiative kann solche Schätze vorweisen?

Nur leider gelang es nicht, zwischen der Begeisterung und den Idealen der Initiatoren und der strengen Sprache des Ministeriums eine Brücke zu bauen und so wurde die Schule 2011 wieder geschlossen. Das Aus für Lüchow? – Aber nein!

Eine neue Generation von Schulgründern fand sich 2014 zusammen um die Verwirklichung der Dorfschule für Lüchow erneut in die Hand zu nehmen. Mit den Erfahrungen der vorhergegangenen Initiative gewappnet, wurden im ersten Jahr ein neuer Antrag und ein pädagogisches Konzept erarbeitet, welches im August 2015 dem Bildungsministerium vorlegt wurde. Es wurden Partnerverträge mit den Waldorfschulen Greifswald und Rostock verhandelt, damit die Schüler aus Lüchow auch in der Oberstufe eine Waldorfschule besuchen können und ein Kooperationsvertrag mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Waldorfschulen MV geschlossen. In der Zeit des Wartens wurde das Schulprojekt in einer intensiven Leitbildarbeit weiterentwickelt. Kurz vor Ende der Sommerferien dann der um 4 Monate verspätete Bescheid des Bildungsministeriums mit einer Ablehnung, begründet damit, dass Mecklenburg mit seinen 5 Waldorfschulen (davon 4 im Küstenbereich) bereits zu viele Waldorfschulen habe.

Diese Begründung ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, so dass mit der Unterstützung der LAG und dem Bund der Freien Waldorfschulen, rechtliche Schritte in die Wege geleitet wurden. Die Initiative arbeitet weiter mit zahlreichen Kinderveranstaltungen, Elternabenden, Vorträgen und Seminaren zum Thema Schule, Waldorfpädagogik und Belebung des ländlichen Raumes.

Der Waldorfkindergarten und die Filzwerkstatt bevölkern im Moment das Schulhaus; beim monatlichen Kulturcafe und anderen Veranstaltungen platzt das Dorf aus allen Nähten; das neu gebaute Mehrgenerationenhaus verdient seinen Namen zu Recht. Im Sommer kann man gemütlich davor sitzen – denn auch in Lüchow ist nicht immer November – und sich daran freuen, dass Lisa gerade gelernt hat Fahrrad zu fahren und dies stolz auf dem kleinen Rondell vor dem Haus zeigt. Gleichzeitig dreht Herr K. dort mit dem Rollator seine Runden. Da ist Lüchow das, was es in seinem Vereinsnamen sein will – »das lebendige Dorf e.V.«

Haben Sie Lust bekommen Lüchow und seine Bewohner kennenzulernen? Oder, noch besser, die kleine tapfere Initiative zu unterstützen? Sie können das ganz einfach tun, indem Sie viele gute, stärkende Gedanken dorthin schicken und die Daumen drücken, dass im zweiten Anlauf mit einer neuen Generation junger Initiatoren die Schulgründung im nächsten Jahr gelingen wird. Wenn Sie den guten Gedanken noch irdischen Ausdruck verleihen wollen, spenden Sie für die Schule. Und wenn Sie schon immer eine Schule gründen wollten, dann fahren Sie doch möglichst bald dorthin. Sie werden staunen und sich an vielem freuen können. Sie werden herzlich empfangen werden, denn ein engagierter Gründungslehrer (oder eine Lehrerin), die sich die neue Schule so ganz zur Herzensangelegenheit machen, ist der größte Wunsch der Lüchower. Aber vergessen Sie Ihre Gummistiefel nicht! 

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