Eine reiche Ernte

Svenja Büntjen

Es fing eigentlich schon im zweiten Schuljahr an: Wir beschlossen, einen Schultag pro Woche in unserem wunderschönen Schulgarten zu verbringen. Mir schien es wichtig, dass Großstadtschüler sich bewusster und intensiver mit der Natur und ihrem Lebenszyklus zu beschäftigen. Am Ende dieses Schuljahres war es überdeutlich, dass meine lebendige, willensstarke und wissbegierige Klasse für die bevorstehende Ackerbau-Epoche am Anfang der dritten Klasse einen größeren »Arbeitsraum« benötigt, als ihn der Schulgarten bietet.

Unser Gartenbaulehrer knüpfte Kontakt zum eine Stunde entfernt liegenden Ökodorf Brodowin, wo uns ein nettes Bauernehepaar ein Stück Land zur Verfügung stellte. Die Drittklässler machten sich schnell mit diesem Naturparadies vertraut, das bald zu ihrem Lieblingsort wurde. Im vierten Schuljahr – es war Ende August – begannen wir mit der Ernte des von uns ausgesäten Roggens. Während der Arbeit überlegten wir uns, wie wir dem Bauernehepaar für seine Freundlichkeit danken könnten. Wir beschlossen, an Michaeli bei der Kartoffelernte zu helfen, denn 31 tatkräftige Kinder können eine Menge wegschaffen.

Zurück in Berlin wartete eine andere Aufgabe auf uns: der WOW-Day. Wir wollten unbedingt in diesem Jahr mit dabei sein. Schnell war die Lösung gefunden, in dem wir beide Aktivitäten miteinander verknüpften. Die Idee der »Kartoffelsponsoren« fand auch auf dem Elternabend großen Zuspruch: Zunächst suchten die Kinder sich Sponsoren in ihrem Familien- und Freundeskreis. Jeder Sponsor unterstützte ein Kind, indem er pro geernteter Kartoffel zwischen zwei und fünf Cent bezahlte. 

Dann verfassten die Kinder einen Brief an die Sponsoren – in Kartoffelform geschnitten und farblich entsprechend verziert –, der die Absicht und den Verlauf der Aktion erklärte. Im Klassenzimmer hing in Form einer Kartoffel ein Poster mit den Namen aller Kinder und aller Sponsoren. Neben die Sponsorennamen schrieben die Kinder den ihnen zugesagten Geldbetrag. Jeden Morgen besprachen wir die Liste, ergänzten oder veränderten Details. Jedes Kind sollte fünf Sponsoren finden. In der Michaeliwoche war die Liste komplett, und wir fuhren bei strahlendem Sonnenschein gut gelaunt zum Ernten. Es schlossen sich weitere Familienmitglieder an, so dass wir mit 40 Menschen und einem Bernhardiner nach Brodowin kamen.

Die Kinder teilten sich in Dreiergruppen und bekamen pro Gruppe einen Zettel. Jedes Kind machte nach 50 geernteten Kartoffeln einen Strich auf die Liste. Je mehr die Kinder sammelten, desto motivierter wurden sie, denn ein schneller Rechner unter ihnen stellte bald fest, dass die kleinen Summen sich rasend schnell in große Zahlen verwandelten. Das Bauernehepaar staunte über die Effizienz der Viertklässler und der Traktor durfte kaum pausieren.

Glücklich und müde fuhren wir am Nachmittag zurück. Bereits im Zug verglich man die Strichlisten, zählte sie zusammen und machte erste Hochrechnungen. Am nächsten Tag lag das endgültige, unglaubliche Ergebnis vor: Wir hatten über 22.000 Kartoffeln für das Bauernehepaar geerntet. Unser Kartoffelkönig hatte allein 1.963 Kartoffeln aufgesammelt. Jedes Kind erhielt ein Kartoffelzertifikat, das es seinen Sponsoren zeigen konnte. Dann begann das Rechnen: Jedes Kind machte eine Aufstellung seines eigenen Kartoffelgeldes. Anschließend zählten die Kinder in Gruppenarbeit jeweils die Ergebnisse von fünf Kindern zusammen und zum Schluss die Gesamtsumme. Das Endergebnis waren 2.600 Euro. Das Zählen des Geldes war ein aufregender Moment. Die Kinder zogen zuerst die Gardinen zu, verschlossen die Tür und hielten den Atem an – soviel Geld auf einmal in den Händen zu halten! Den Kindern sah man ihre Freude und ihren Stolz an.

Jetzt mussten wir nur noch Danksagungen an unsere Sponsoren schreiben (mit Kartoffeldruck natürlich), denn wir brauchen sie in Zukunft ja vielleicht noch einmal.

Alle Beteiligten empfanden das Projekt als rundum gelungen und realitätsnah. Das Schreiben der Briefe, das viele Rechnen, die Organisation und das Ernten hatten etwas Wirkliches, greifbar Echtes und Wichtiges an sich. Die Botschaft ist: Wir wollen helfen und dies selbstständig tun.