Ελευθερια σ’αγαπω

Kyra Karastogiou, Stephan Beck

2015: Inmitten der Krise

Bei einem unserer Treffen mit Teilnehmern aus der Waldorfinitiative in Athen vor zwei Jahren stellte sich unsererseits noch die Frage: »… ihr meint, jetzt, in dieser Krisenzeit macht es Sinn, hier in Athen eine Waldorfschule zu gründen, bei 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit und einer gewaltigen Flüchtlingswelle?

Vor Jahren, als die Voraussetzungen leichter waren, sind so viele Anläufe gescheitert. Da hatten wir hier noch keine Krise! Wie soll das dann jetzt klappen?« Panos lächelt schüchtern und antwortet: »War das nicht auch bei euch so, vor fast 100 Jahren, in Stuttgart? Da wütete die Weltwirtschaftskrise. In solchen Zeiten kann sich ein Freiraum öffnen und Unmögliches wird möglich.«

2016: Schule im Anflug

Das Scheitern verschiedener Gründungsinitiativen in Athen hatte man immer wieder erlebt. Schon die rechtlichen Voraussetzungen waren lange nicht gegeben. Im griechischen Schulsystem ist eine alternative Pädagogik nicht vorgesehen. Privatschulen sind selten, äußerst schwer zu gründen und werden vom Staat grundsätzlich nicht finanziert. Eine Schule mit besonderem pädagogischen Konzept muss eine Privatschule sein und ist dennoch verpflichtet, den griechischen Lehrplan zu erfüllen.

Unermüdlich haben die Lehrer daran gearbeitet, den griechischen Lehrplan mit der Waldorfpädagogik in Einklang zu bringen. Das geschah neben dem ganz normalen Berufsalltag. Es gab noch keine Finanzierung, kein Gebäude und auch die möglichen Lehrer waren noch zu suchen. Trotz all dieser Hürden spürten einige, dass die Schule nur darauf wartete, geboren zu werden. Sandra, eine der Lehrerinnen sagte einmal: »Ich habe in der Magengegend ein Gefühl, dass die Schule im Anflug ist. Es ist ein Gefühl wie: Verliebt sein.«

Dezember 2016: Luft unter die Flügel

In Athen gibt es seit über zehn Jahren mehrere Waldorf­kindergartengruppen und immer wieder kam die Frage nach einer Schule auf. Doch diesmal ist es anders. Aufeinmal ist eine ganze Reihe von Eltern da, die wirklich großes Interesse an einer Waldorfschulgründung zeigen. Sie geben der Initiative Luft unter die Flügel. Erste konkrete Schritte werden gegangen: Ein Verein zur Gründung einer Waldorfschule in Athen wird konzipiert und ein Gebäude gefunden. Beim Besichtigen des Gebäudes, beim Durchdringen des komplett verwilderten, ja, verwunschenen Gartens, liest man überall und übergroß bis unter die Dachkante mit Graffiti gesprüht: Ελευθερια σ’αγαπω (Freiheit, ich liebe Dich). Die Gründungsinitiative kann sich mit diesem Motto sofort verbinden!

Nach schwierigen Verhandlungen mit der Bank, welcher das Gebäude gehört, wird mit der großen Unterstützung der Software-AG-Stiftung, der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners und einiger Eltern vor Ort ein guter Mietvertrag ausgehandelt. Die Renovierung des Gebäudes kann beginnen. Die künftigen Lehrer nehmen die vielfältigen Aufgaben freudig in Angriff. Viele Eltern melden bereits jetzt ihre Kinder an.

2017: Etwas Großartiges geschieht

Schon seit vielen Monaten ist klar, dass hier im nördlichen Athen etwas Großartiges geschieht. Seit dem 1. März 2017 gibt es einen Mietvertrag und die Räumarbeiten beginnen. Nachbarn des Bezirks Marousi schauen immer wieder verwundert vorbei und wünschen viel Glück, einige bieten sogar ihre Hilfe an.

An allen Ecken und Enden wird gearbeitet. Seitdem das verwilderte und getrocknete Gestrüpp etwas gelichtet wurde, sieht man auch nach innen. Im Mai war eine 12. Klasse aus Stuttgart hier – 38 motivierte 18-Jährige, die viel schafften und wegräumten. Später kam eine Gruppe Studenten von der Hochschule Stuttgart und baute mit KuKuK einen Spielraum.

2. September 2017: Trianemi (Dreiwinde) eröffnet

Am Samstagabend, den 2. September 2017, ist Eröffnungsfeier. Jetzt ist es 4:30 Uhr morgens. Es brennt immer noch Licht. Putzt da jemand? Die Garderoben hängen? Das taten sie um Mitternacht noch nicht. Der Architekt aus der Gründungsinitiative der Waldorfschule Athen hat mit Eltern, Freiwilligen und Handwerkern ganze Arbeit geleistet. Aus dem maroden Gebäude ist ein wunderschöner Ort für Kinder entstanden.

Nun ist es endlich soweit. Es ist Samstagabend, 19:00 Uhr und noch immer 35 Grad warm. Die Athener Eltern mit ihren Kindern sind frisch aus den Ferien zurück, sonnengebräunt und festlich gekleidet erscheinen sie zur Feier. Sie bringen Schüsseln mit eisgekühlten Melonen, Teller mit Schafskäse, krosser Pitta und anderen Leckereien mit. Ihre Kinder spielen in dem erst seit heute Morgen gefüllten Sandkasten. Die ersten Mutigen besteigen das Klettergerüst und das Dach des neuen Häuschens auf dem Spielplatz. Trotz der freudig leuchtenden Augen der Lehrer, der Gründer und Eltern ist zu bemerken, dass sie unendlich viel gearbeitet haben und die Anspannung noch nicht ganz von ihnen abgefallen ist.

Endlos viel Liebe, Arbeit und Idealismus ist hier zusammengekommen. Bis zum 28. August, sechs Tage vor Eröffnung, war nicht klar, ob die Schule wirklich starten kann. Die Genehmigung zur Eröffnung war vom Bildungsministerium noch immer nicht erteilt worden. Umso größer ist die Erleichterung, als sie jetzt endlich da ist!

Ein Kinderorchester der benachbarten Musikschule spielt »Freude schöner Götterfunken« und die anwesenden Kinder dürfen dirigieren. Sie dirigieren ganz nach ihrem Temperament und das Orchester reagiert darauf. Es ist zu spüren: Der Ort wird diesen Kindern gehören, dafür ist er geschaffen! Immer noch kommen Menschen. Inzwischen ist der Innenplatz voll. Das Gebäude ist überall offen. Freude ist in den Gesichtern der Besucher, die sich in jedem liebevoll eingerichteten Klassenzimmer umschauen. 300 Menschen werden erwartet, 500 sind gekommen.

Als die Besucher feierlich begrüßt werden, ist das Fest bereits in vollem Gange! Kinder, Eltern und Gäste haben dem Gebäude in kürzester Zeit Leben eingehaucht.

11. September 2017: Hoffnung in der Katastrophe

Die Lehrer empfangen fast 80 Kinder in der ersten Waldorfschule Griechenlands. Es gibt zwei Vorschulklassen, eine erste, eine zweite und eine vierte Klasse. Voll Freude und mit großer Erwartung führen die Lehrer ihre staunenden Schüler feierlich durch einen Rosenbogen.

In einer Umgebung, in der das soziale System fast ganz zusammengebrochen ist, das Gesundheitssystem nicht mehr funktioniert, die Arbeitslosigkeit hoch und die Armut überall zu sehen ist, ist das Verdienst dieser Schulgründung umso größer. Bringt sie doch die Hoffnung und Zuversicht genau dahin zurück, wo sie hingehört: zu den Kindern!

Da viele Elternhäuser den vollen Schulbeitrag nicht aufbringen können, bitten wir um Spenden für einzelne Kinder an die »Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners«, die uns zusammen mit der Software-Stiftung unterstützt haben. Eine Möglichkeit wäre es, dies an den Weihnachtsbazaren zu berücksichtigen und anzumelden. Die Patenschaft der Trianemi Waldorfschule hat die Freie Waldorfschule Uhlandshöhe mit Freude übernommen.

Zu den Autoren: Kyra Karastogiou ist Klassenlehrerin an der FWS Uhlandshöhe in Stuttgart; Stephan Beck ist Klassenlehrer an der FWS Tübingen. Beide sind Mitbegründer der Trianemi-Schule.