Harmonie wie durch Zauberhand

Gilda Bartel

Cordula Fischer ist ein klarer Mensch – eine natürliche Autorität. Mit einer gewissen Leichtigkeit steht sie vor 200 Kindern und beginnt, zu dirigieren.

Seit 2002 ist sie Chorleiterin der schola cantorum weimar, die aus einer Elterninitiative heraus entstand. Cordula Fischer besuchte die Nürnberger Rudolf-Steiner-Schule und sang gemeinsam mit ihrer Schwester im Kinder- und Jugendchor des Lehrergesangvereins am Staatstheater Nürnberg. »Ich bin geprägt vom wunderbaren Chorklang und den reichen Erlebnissen aus meiner eigenen Chor- und Opernzeit«, sagt sie. Die beiden Schwestern schmiedeten das Bündnis, später gemeinsam einen Kinder- und Jugendchor zu gestalten: in einer durch die Musik getragenen disziplinierten Arbeitshaltung das Singen zu erleben.

Cordula Fischer absolvierte nach ihrem Staatsexamen ein Studium zur Chordirigentin. Hauptmotiv, bei den Chören zu bleiben und das Hobby zum Beruf zu machen, war für sie das Erleben: »Im Chor arbeite ich in einem Bereich, der die Stärken der Kinder fördern und ausbauen will. In der Schule ist alles auf Defizite orientiert. Beispielsweise bedeutet bereits Textkorrektur zugleich Fehlersuche.«

Sie hatte sich bewusst für eine Staatsschulausbildung entschieden, weil sie nach den Erfahrungen ihrer Schulzeit die staatliche Schule kennen und verstehen lernen wollte. Sie blickt mit Hochachtung auf die Kollegen, welche innerhalb dieses Systems ihren Blick für das Lernen der Schüler behalten und hervorragenden Unterricht machen.

Über die Jahre ist der Chor zu einer großen Chorgemeinschaft gewachsen. Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis 19 Jahren singen in sieben nach Altersstufen strukturierten Teilchören. Mit der Gründung des Vereins schola cantorum weimar im Jahr 2006 schuf die Elternschaft eine rechtliche Grundlage für diese Chorarbeit. Cordula Fischer leitet zusätzlich den »Philharmonischen Kinder- und Jugendchor der Musikschule Erfurt«, den sie 1999 übernahm. Das heißt, bei ihr singen momentan rund 400 Kinder pro Woche, von denen manche mehrfach kommen. Die Kooperationen mit dem Theater Erfurt und dem Deutschen Nationaltheater Weimar sind ein weiteres Standbein beider Chöre. Verschiedene ihrer Kinderchorgruppen singen in Operninszenierungen und können die Entstehung eines Gesamtkunstwerkes im Zusammenspiel von Musik, Szene, Bühnenbild, Kostümbild, Regie und Bühne wahrnehmen.

Eine Zimbel sorgt für Konzentration

Wenn Cordula Fischer ein neues Stück heraussucht und es mit den Kindern erstmalig durchgeht, kann sie erstaunliche Beobachtungen machen: »Durch verschiedene Schulbiographien bringen die Kinder unterschiedlichste Fähigkeiten und Fertigkeiten mit. Tendenziell wollen Schüler der staatlichen Schulen jedes Wort sofort verstehen. Schüler der Waldorfschulen leben sich stark in die Inhalte hinein. Eigene Erklärungsideen bringen die Schüler der Jenaplanschule mit und die Jugendlichen greifen nach ihren Handys und googeln den Begriff.« Aber alle Kinder bilden im Chor eine Einheit und ihr ist es wichtig, dass die Kinder erleben, was alles möglich ist, wenn sie voll anwesend sind. »Kinder lieben es, wenn eine gute Arbeitsatmosphäre herrscht«, sagt sie.

Cordula Fischer hat über die Jahre ausprobiert, welches die richtigen Signale sind, um Konzentration und Ruhe herzustellen. Im Rahmen einer Konzertvorbereitung in großen Räumen ist der weittragende helle Ton eines einmal angeschlagenen Zimbelpaares des in Heiligenberg am Bodensee schaffenden Künstlers Manfred Bleffert ein Signal dafür, den Platz einzunehmen.

Chorsingen als Menschenbildung

Cordula Fischer ist eine Ästhetin durch und durch. Vor jeder Chorprobe richtet sie die Probenräume ein, so dass für die Kinder nachvollziehbar wird, wie eine schöne Choraufstellung entsteht. Dieses »Raumbildungsmoment« schreibt sie auch ihren Erfahrungen aus der Eurythmie zu. »Wenn ich möchte, dass die Kinder innere Schönheit singen, muss ich auch äußere Schönheit bieten«, sagt sie.

Das Wesen des Chores ist das Gemeinsame. Und Cordula Fischer versteht den Chor als Menschenbildung, wo der ganze Mensch aktiv ist und viele soziale Fähigkeiten geschult werden, besonders jedoch das Hören, was sie immer nur Lauschen nennt. Der Chor ist der Ort, wo jedes Kind seine Stimme finden kann, gehört wird und in der Gruppe geborgen ist. »Für die Sänger der Unter- und Mittelstufe gelten im Chorleben klare Regeln«, erzählt sie. Eine Jugendchorgruppe besitzt die Fähigkeit, Regeln zu überprüfen. Die Jugendlichen können unter Beweis stellen, welche Regeln aufrecht erhalten werden und welche nicht mehr nötig sind. Allerdings eine Regel gilt für alle: Cordula Fischer, das Musiker- und Betreuerteam haben die alleinige Hoheit des Erziehens. »Es steht Kindern nicht zu, andere Kinder zu erziehen«, sagt sie. »Wir üben eine wertschätzende Atmosphäre in unserer Chorgemeinschaft.« So zum Beispiel hat sie es unterbunden, dass sich alle zu dem Kind umdrehen, welches gerade einzeln angesprochen wird.

Chorfahrten und Wettbewerbe

Der Kinder- und Jugendchor der schola cantorum weimar macht oft Chorfahrten und nimmt auch an Wettbewerben teil. Im Sommer gibt es jedes Jahr eine 14-tägige Sommerkonzerttournee, bei der 80 Kinder mitfahren dürfen. Das Betreuerteam besteht aus ehemaligen Chorsängern. Diese Fahrten sind eine Kombination aus Konzerten und Rahmenprogramm. Sie besuchen auch den Zoo oder den Kletterwald, das Museum oder das Schwimmbad. Seit der ersten Fahrt gibt es ein Chortagebuch, das von Sängern aller Altersstufen geführt wird. Es gibt auch einen live Blog als Dokumentation im Internet, den die Jugendchorsänger beständig bearbeiten. »Dies ist für die Daheimgebliebenen und die Elternschaft eine wunderbare Möglichkeit, ein klein wenig bei unserer Tour dabei sein zu können und soll ermutigen, weniger oft zum Handy zu greifen«.

Auf solchen Fahrten wird den Kindern klar vermittelt, dass jeder Einzelne Ruhe und auch Privatzeit braucht, um am nächsten Tag ein gutes Konzert singen zu können, dass es der Musik schadet, müde auf der Bühne zu stehen. Regulierend greift Cordula Fischer nur noch dann ein, wenn sie sieht, dass einer den Weg nicht gefunden hat, sich selbst diese Ruhephasen zu genehmigen.

Pop kann schnell langweilig werden

Die Sänger ihres Chores sprechen unterschiedliche Muttersprachen, kommen aus Schulen unterschiedlicher pädagogischer Richtungen und aus unterschiedlichen Klassenstufen. Bei der Auswahl der geeigneten Chorliteratur ist deshalb die bunte Vielfalt der Gruppe zu berücksichtigen. Cordula Fischer benutzt sowohl klassische Kinderchorliteratur, als auch Werke zeitgenössischer Komponisten und gelegentlich Titel aus dem Popmusikgenre. »Manchmal ist es wichtig zu bedienen, was an die Hörerfahrungswelt der Kinder anknüpft«, erzählt sie. »Dadurch können die Kinder erleben, dass manch gewünschter Popsong beim ersten Singen Spaß macht, dass er dann langsam immer langweiliger wird und die Kinder beim Konzert gar keine Lust mehr auf ihn haben.« Ganz anders verläuft die »Arbeitskurve« bei einem komplizierten, mehrstimmigen Werk. »Oft sind die gelungensten und am schönsten klingenden Werke im Konzert diejenigen, denen ein intensiver Erarbeitungs- und Begegnungsprozess voraus gegangen ist«.

Gute Arbeit ist es für sie, wenn die Kinder lernen, dass etwas Schönes entstehen kann, das sie aktiv und kreativ mitgestalten. Um dieses Ziel zu erreichen, durchforscht Cordula Fischer auch ihre eigene Pädagogensprache. Sie spricht ganz direkt und sagt den Kindern, was sie machen sollen, statt ihnen zu sagen, was sie nicht machen sollen. Sie lehrt die Kinder, bewusst Verben zu verwenden, die präzise zum Ausdruck bringen, was benötigt oder gedacht wird. Ihr ist wichtig, dass die Schüler richtig und differenziert zu sprechen lernen, denn »Kinder mit einem reichen Wortschatz sind den Herausforderungen des Selbstfindungsprozesses in der Pubertät und dem anschließenden Jugendalter besser gewachsen.«

Mehr als zehn Jahre Chorleitung haben ihr Erfahrung und Gelassenheit gebracht. »Ein Werk muss nicht mehr ganz fertig geprobt werden. Bestimmte Dinge können auch erst im Konzert entstehen. Ich habe das Vertrauen, dass vieles im wachsenden Prozess gelingt«, sagt sie. Cordula Fischer sucht die Harmonie. Es ist ein wenig wie Zauberei. Keiner, auch sie nicht, weiß genau, warum alles so gut ineinandergreift. Aber etwas, eine Idee, ein Wille durchströmt die Stimmen des Chores und kommt durch sie zum vielstimmigen Zusammenklang.

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