In der Krise die erste Waldorfschule in Athen gründen?

Cornelie Unger-Leistner

Die Schulinitiative trifft sich seit acht Jahren, es gehören Mütter dazu, Lehrer und auch ein Musiker ist dabei. Die Basis ihrer Arbeit bilden vier Waldorfkindergärten in verschiedenen Stadtteilen von Athen und einer im Umland, die jeweils eine Gruppe von Kindern haben. Drei von ihnen tragen die Namen von griechischen Bäumen: Granatapfel-, Walnuss- und Mandelbaum, einer heißt Regenbogen. Die waldorfpädagogische Förderung endet für die rund 40 Kindergartenkinder bisher mit der Einschulung.

Erste Schritte

Dies soll sich auch in Athen ändern und so wurde im vergangenen Jahr erstmals eine Eingabe beim Kultusministerium zur Gründung einer Grundschule mit der Perspektive einer weiterführenden Schule gemacht. Aufgabe dieser Schule soll es sein, »Kindern und jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, im Rahmen der griechischen Kultur durch gesunde Bildung ihres menschlichen Wesens freie und verantwortliche Bürger der Gesellschaft und der Welt zu werden«, wie es im Flyer der Initiative heißt. Auch ein Gebäude im Athener Vorort Várkiza war schon in Augenschein genommen worden. Dann aber kam alles wieder ins Stocken, weil die gesetzlichen Vorgaben geändert wurden. Die Initiative will sich dadurch aber nicht entmutigen lassen.

»Die Eltern sind enttäuscht vom staatlichen Schulwesen und auf der Suche nach Alternativen«, sagt Elisabeth, Waldorfmutter in der Initiative. Immer früher werde den Kindern immer mehr Leistung abverlangt. Das wollten die Eltern nicht weiter hinnehmen. »Außerdem motivieren die Lehrer die Kinder nicht wirklich für die Inhalte, sie schauen nur darauf, dass die Noten für die Zulassung zur Hochschule ausreichen.« Ein weiterer Punkt, betont Maria, die selbst Lehrerin im staatlichen Schulwesen ist, liege darin, dass viel zu wenig Wert auf moderne Arbeitsweisen wie Teamwork gelegt werde. »Es wird immer wieder gesagt, dass bei uns die Fähigkeit zur Zusammenarbeit viel zu wenig erlernt wird und dass das auch mit ein Grund für die Krise in Griechenland ist. Aber die Regierung hat keine Visionen zu bieten, wie sie das ändern will«.

Sie selbst habe durch die Arbeit mit der Waldorfpädagogik erlebt, wie man den Kindern besser gerecht werden könne: »Ich war zwar Lehrerin, aber nicht glücklich. Ich hatte meine Techniken, aber ich wusste nicht, was die Kinder wirklich brauchen«. Waldorflehrer zu sein, sei mehr als eine Qualifikation. »Es ist eine andere Art, auf die Welt zu schauen«. Ihr gegenüber sitzt an diesem Abend Sophia, sie ist Germanistin und kann sich vorstellen, eines Tages an der neuen Athener Waldorfschule Deutsch zu unterrichten. Auch sie macht den Mitstreitern Mut, trotz des Rückschlags nicht aufzugeben: »Wir müssen die finanziellen und bürokratischen Hindernisse überwinden und auch den richtigen Platz für die Schule finden.«

Hürden

Der ursprünglich ins Auge gefasste Standort Várkiza wurde wieder fallen gelassen, weil er den Kindergarteneltern zu weit entfernt schien. Die Standortfrage ist eine der Hürden, die die Initiative nehmen muss, wenn die Waldorfschule in Athen Realität werden soll. Athen hat nahezu zweimal so viele Einwohner wie Hamburg mit einem entsprechend ausgedehnten Stadtgebiet. Die Eltern seien es auch nicht gewohnt, dass die Schule weit weg ist, erläutert Michael Tsigotsides. Nicht nur an diesem Punkt wird deutlich, dass die Athener Initiative die Unterstützung der internationalen Waldorfschulbewegung mit ihren Fachleuten für Schulgründungen braucht.

Auch die Rechtslage ist bisher alles andere als günstig, da die griechische Verfassung die Verantwortung für das Schulwesen ausschließlich in die Hand des Staates legt. Die zahlreichen kommerziellen Privatschulen, die es gibt, müssen sich eng an die staatlichen Lehrpläne halten. »Wir hatten ja gehofft, dass sich hier durch den Einfluss der EU in Griechenland eine Veränderung ergibt. Aber durch die verordneten Sparmaßnahmen ist der Spielraum eher geringer geworden. Dabei wünscht die Regierung Veränderungen und Reformen im Bildungswesen – das ist ein Widerspruch«, betont Tsigotsides. Außerdem habe die griechische Regierung die europäische Menschenrechtserklärung unterzeichnet, nach der die Eltern die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder tragen und nicht der Staat und die ihnen auch das Recht auf eine freie Schulwahl gewähre. »Dazu passt unsere Verfassung nicht mehr und es gibt auch Tendenzen, dies zu ändern. Aber das ist alles langwierig und wir hoffen, dass hier von der Ebene der europäischen Institutionen aus der Spielraum für freie Schulen doch noch größer wird.«

Immerhin habe die Initiative mit dem Antrag an das Kultusministerium im letzten Jahr einen ersten wichtigen Schritt getan, auch wenn alles nun in Stocken geraten sei durch die Gesetzesänderung. »Es ist ein Innehalten im Prozess und wir müssen erstmal offenlassen, wie es weitergeht«, sagt Michael Tsigotsides. Julia, Sonderschullehrerin und Mitglied der Initiative, unterstreicht, dass die Arbeit trotzdem mit aller Kraft fortgesetzt werden sollte: »Es ist unsere Vision, hier in Athen eine Waldorfschule zu haben und wir sollten sie auf die Erde bringen – downloaden, kann man auch sagen ...« Waldorfeltern, die zu Besuch in Athen waren und mit der Initiative in Kontakt kamen, haben sich – berührt durch die mutigen Aktivisten – etwas einfallen lassen, um sie auch finanziell zu unterstützen: Der Erlös von selbst gebastelten Spielsachen auf dem Waldorfbasar in der Schweiz wurde direkt an die Athener Initiative überwiesen.

Auswirkung der Finanzkrise

Die große Finanzkrise in Griechenland ist dann noch Thema in der Gruppe, vor allem die Reaktion der griechischen Bürger darauf. Hier erfährt man, dass die Krise auch dazu geführt hat, dass man mehr zusammenrückt, sich mehr und offener austauscht über seine Probleme und die gegenseitige Hilfe enorm gewachsen ist. Aber auch die Selbstmorde aus finanziellen Gründen werden erwähnt und dass Griechenland eigentlich eine der niedrigsten Selbstmordraten in der EU hatte.

Die finanzielle Lage der Haushalte in Griechenland ist immer noch dramatisch schlecht und es besteht derzeit keine Aussicht auf Verbesserung. Die strikten Sparmaßnahmen, die die Vertreter der EU-Kommission, des Weltwährungsfonds und der Europäischen Zentralbank (Troika) dem Land zur Verringerung des hohen Staatsdefizits verordnet haben, treffen den griechischen Durchschnittsbürger nach wie vor am härtesten.

Bei seinem Besuch in Italien wies der griechische Premierminister Antonis Samaras vor kurzem darauf hin, dass die Rezession in Griechenland schon das sechste Jahr anhalte und das Bruttosozialprodukt des Landes in dieser Zeit um 25% geschrumpft sei. Rechne man Steuern und Inflation hinzu, dann sei das verfügbare Durchschnittseinkommen der griechischen Bürger in diesem Zeitraum um 40% gesunken. In Presseberichten schaut man angesichts der Heizölpreise, die aufgrund der Troika-Intervention in Griechenland jetzt höher sind, als im reichen Deutschland, voller Sorge auf den nächsten Winter. Außerdem soll eine Sondersteuer auf Gebäudebesitz, die nur vorübergehend geplant war, jetzt auf Dauer erhoben werden und auch unbebautes Land mit einbeziehen.

Auch in Expertenkreisen des Weltwährungsfonds wird inzwischen konzediert, dass der harte Sparkurs, der den Griechen von der Troika verordnet worden ist, mit seinen massiven Auswirkungen auf die Einkommen der Bevölkerung zur Verschärfung der Krise in Griechenland beigetragen hat.

Waldorfschule in der Not der Zeit

Die Sparmaßnahmen, vor allem Entlassungen im staatlichen Bereich, Kürzungen von Löhnen und Pensionen und Einschränkungen im Gesundheitswesen, hatten zu Streiks und Massenprotesten der griechischen Bevölkerung geführt. Außerdem brachten die Wahlen 2012 große Stimmenanteile für die rechtsradikale Gruppe »Goldene Morgenröte« und die linke, europakritische Syriza. Die »Goldene Morgenröte«, die den Holocaust leugnet und Minderheiten und Migranten attackiert, schaffte so den Einzug ins griechische Parlament.

Bezieht man diesen sozialen und politischen Hintergrund mit ein, so erinnert die Arbeit der Athener Waldorfaktivisten an die Geschichte der Waldorfschule selbst, die 1919 aus der umfassenden Krisensituation Europas nach dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen ist. »Was kann getan werden, um die Not der Zeit zu wenden?«, hatte sich der Stuttgarter Fabrikant Emil Molt sorgenvoll gefragt, als er in den Wirren der Nachkriegszeit in der Schweiz unterwegs war. Ein Vortrag von Rudolf Steiner, den er in Dornach hörte, brachte ihn auf die Idee einer Schulgründung, um mit einem neuen Erziehungskonzept einen möglichen Weg aus der Krise zu weisen.

Kontaktwaldorf.hellas@gmail.com