Ist die Gemeinnützigkeit bedroht?

Martin Malcherek

Eine über hundertjährige Rechtsauffassung wird in Frage gestellt, wenn Schulen und Kindergärten nicht mehr als Verein eingetragen werden können. Der eingetragene Verein gilt als ein geeignetes Instrument, um in gemeinsamer demokratischer Verantwortung die öffentlichen Bildungsauf­gaben als freier Träger wahrzunehmen.

Der Streit entzündet sich an der Auslegung des Paragraphen 21 BGB, denn dort heißt es, dass nur ein solcher Verein in das Vereinsregister eingetragen – und damit rechtsfähig – werden kann, der nichtwirtschaftliche Zwecke verfolgt, oder umgekehrt, dass nur Idealvereine eintragungsfähig sind.

Die Berliner Registergerichte folgen in ihrer Auffassung des Paragraphen 21 BGB sehr selektiv einer von Karsten Schmidt geäußerten Auffassung, die eine typologische

Herangehensweise beansprucht. Die Entscheidungen der Registergerichte können mit einer Beschwerde ange­griffen werden, dann hat das nächst höhere Gericht, hier das Kammergericht Berlin, zu entscheiden. Das Kammergericht ist der Auffassung der Registergerichte im Fall einiger Kindertagesstätten gefolgt. Dabei wurde insbesondere der Aspekt des Gläubigerschutzes in den Vordergrund gestellt.

Da diese Entscheidungen stets eine Einzelfallbetrachtung erfordern, ist damit grundsätzlich über alle anderen Fälle noch nichts entschieden.

In der Praxis zeigt sich aber, dass die Registergerichte diese Rechtsprechung auch auf andere Vereine – insbesondere Schulen – anwenden möchten. Den Trägervereinen – darunter auch die Emil-Molt-Schule, die Freie Waldorfschule Kreuzberg und die Freie Waldorfschule Märkisches Viertel in Berlin – wird mittlerweile anlässlich anstehender Satzungsänderungen mitgeteilt, dass sie nicht eintragungsfähig seien und damit rechnen müssten, aus dem Vereinsregister gelöscht zu werden.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Schulen in den handelsrechtlichen Rechtsformen agieren müssten, um rechtsfähig zu bleiben. Insbesondere die Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die Genossenschaft werden als mögliche Ausweichmodelle diskutiert. Bisher liegen hinsichtlich der betroffenen Schulen noch keine Entscheidungen der Registergerichte und dementsprechend auch keine des Kammergerichts vor. Dennoch ist es aus Sicht der freien Träger höchste Zeit, zu handeln, denn die Berliner Auffassungen greifen bereits auf andere Bundesländer über. Mittlerweile haben auch die Träger im Sozialwesen den Ernst der Lage erkannt.

Durch die Situation der Waldorfschulen aufmerksam gemacht, hat das Institut für Bildungsrecht und Bildungsforschung (IFBB) sich des Themas angenommen und gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin am 29. November 2013 eine Veranstaltung zu dieser Problematik organisiert. Insbesondere die rechtliche Kontroverse, die sich durch die Beiträge der Rechtsanwälte Winheller und May sowie des wissenschaftlichen Direktors des IFBB Wolfram Cremer entspann, dürfte einigen Vereinen, die sich durch die bestehende Unklarheit verunsichert fühlen, neuen Mut gemacht haben.

Zunächst referierte der Frankfurter Rechtsanwalt Stefan Winheller die tragenden Gesichtspunkte der Kammergerichtsentscheidung. Sein Fazit lautete: So lange sich ein Verein anfühlt wie ein Verein, kann man dies auch den Gerichten nahebringen. Dabei erwähnte er insbesondere Gesichtspunkte wie die internen Beziehungen (gemeinsames Projekt oder Anbieter-Kunden-Verhältnis), die Größe (Kitas bis zu 30 Kindern), aber auch die Frage, ob neben dem wirtschaftlichen Betrieb eine Sphäre ideeller, also nicht-wirtschaftlicher Tätigkeit verbleibt. Winheller äußerte dezidiert, dass er für die Einrichtungen, die sich in der Mitte zwischen klein genug und groß genug bewegten, die handelsrechtlichen Rechtsformen für rechtlich geboten und insbesondere die Form der Genossenschaft als geeignet ansieht.

Rechtsanwalt Stephan May aus Hamburg zielte in seinen Ausführungen auf das zentrale Argument des Gläubigerschutzes. Dieses sei insbesondere in den handelsrecht­lichen Rechtsformen eine Schimäre, da bei der sogenannten Ein-Euro-GmbH, aber auch bei der regulären GmbH gerade nicht gesichert sei, dass Haftungsmasse zur Verfügung stehe, da das Gründungskapital nur einmal nachgewiesen werden müsse, danach aber beliebig eingesetzt werden könne.

Diesen Gesichtspunkt ergänzend forderte Wolfram Cremer dazu auf, die Typologie Karsten Schmidts, die in der rechtlichen Diskussion wie ein Gesetz gelte, zu verlassen und zu den allgemein üblichen rechtswissenschaftlichen Auslegungsmöglichkeiten zurückzukehren. Er kritisierte die mit der Einschränkung des Idealzwecks zum Ausdruck gelangende zunehmende Kommerzialisierung des Bereiches der Daseinsvorsorge. Die handelsrechtlichen Rechtsformen seien schon deshalb für allgemeinbildende Schulen nicht adäquat, weil sie dem Sonderungsverbot unterlägen und sie deshalb in einer gewinnorientiereten Tätigkeit stark eingeschränkt seien. Damit lasse sich begründen, dass Schulträger als Vereine eingetragen werden sollten.

In der nachfolgenden Diskussion zeigte sich, dass das Thema nicht nur eine besondere Relevanz für die freien Träger hat, sondern unmittelbar gesellschaftliche Tendenzen wie die kapitalismusförmige Globalisierung und Kommerzialisierung von Bildung und Erziehung zum Ausdruck bringt, die aus dem Kreis der vertretenen Institutionen naturgemäß kritisch gesehen wurden.

Im Bund der Freien Waldorfschulen wird dieses Thema seit längerem aufmerksam verfolgt und begleitet. Der Arbeitskreis Schulrecht und Bildungspolitik und der Bundesvorstand haben den Beschluss gefasst, Trägervereine, die von der Löschung bedroht sind, mit Bundesmitteln zu unterstützen, um den Verein, der sich als flexibles und geeignetes Instrument bewährt hat, zumindest der Möglichkeit nach zu erhalten. Welche Rechtsform für einen Träger am besten passt, ist eine Frage der individuellen Gegebenheiten und der Menschen »vor Ort«. Es sollte nicht von den Gerichten entschieden werden können, dass der eingetragene Verein dafür nicht in Frage kommt. Es gilt, ein wichtiges Stück Freiheit der Schulen in freier Trägerschaft zu bewahren.