Magic Moments

Christian Boettger

Am Ende der Aufführung von »Magic Moments – What moves You« am 27. August 2016 in der Komischen Oper in Berlin gab es einen brausenden Applaus und stehende Ovationen für die 70 Jugendlichen aus insgesamt 18 Ländern der Welt, das Orchester – The Gnessin Virtuosi Moscow – und die Kolleginnen und Kollegen der künstlerischen Leitung.

Zum dritten Mal fand dieses internationale Projekt unter der Leitung von André Macco statt. Nach einem Bewerbungs- und Auswahlverfahren treffen sich die Jugendlichen, die vorwiegend durch ihre Waldorfschulzeit eine Verbindung oder aber auch eine große Frage zur Eurythmie aufgebaut haben, für rund vier Wochen in Berlin, um ein großes Orchesterwerk einzustudieren. Von Anfang an entsteht eine intensive Arbeitssituation und es wird täglich etwa sechs Stunden eurythmisch gearbeitet, daneben stehen das Kennenlernen der Stadt und vor allem die internationale Begegnung auf dem Programm. Wieder stellte die Rudolf Steiner Schule in Berlin Dahlem ihre Räume für die große Gruppe zur Verfügung. Die Arbeit wird durch einen großen Kreis von persönlichen Förderern und eine Gruppe größerer Sponsoren unterstützt.

Diesmal war für mich besonders stark erlebbar, dass André Macco mit seiner Initiative ein Projekt begonnen hat, das in Bezug auf das Jubiläum der Waldorfpädagogik, die 2019 hundert Jahre alt wird, wegweisend sein kann. Denn mit dem Projekt »What moves you« wurde schon sieben Jahre vor 2019 begonnen, an einem internationalen Netzwerk im Bereich der Eurythmie zu bauen. Mehr noch: Es wurde gezeigt, wie gerade diese Kunst es ermöglicht, Nationalitätengrenzen zu überwinden und ein Gegengewicht gegen Tendenzen zu setzen, die auch in diesem Jahr immer deutlicher als Terror und Angst hervortreten.

Wir dürfen gespannt sein, wie es weitergeht. Geplant sind eine Vielzahl von Projekten für die Schulen sowie Einzelinitiativen.

Konzentriert und exakt zu jeder Zeit

Im Zentrum des abendfüllenden Programms stand die Aufführung der Sinfonie in C Dur, D 944 von Franz Schubert. Im Magazin zu der Aufführung schreibt Ulrike Wendt: »Franz Schubert konnte für sein letztes sinfonisches Werk aus einem inneren Reichtum schöpfen, der die vier fast viertelstündigen Sätze durch meisterliche Themen- und Motivkombination immer wieder neu belebt. Die ungewöhnliche Instrumentation (unter anderem der wiederholte Einsatz der Posaunen im Kopfsatz) und die besondere Art der Stimmführung, die das Orchester oft wie einen Chor menschlicher Stimmen klingen lässt, weisen weit über das Musikverständnis seiner Zeit hinaus – in gewisser Wiese wird hier schon der kompositorische Ansatz eines Anton Bruckner oder Gustav Mahler vorbereitet.«

Die Gnessin Virtuosen, die unter der Leitung von Mikhail Khokhlov zum dritten Mal dabei waren, erfüllten die musikalische Herausforderung hervorragend. Immer wieder grenzt es an ein Wunder, wie es die Kolleginnen und Kollegen aus der künstlerischen Leitung schaffen, eine Gruppe von 70 bis 80 Jugendlichen so zu motivieren und zu fördern, dass eine solche eurythmische Leistung möglich wird. In einem wichtigen Schritt ordnen sich die Jugendlichen selber und in Absprache mit der künstlerischen Leitung den einzelnen Sätzen und ihren »Lehrern« für die Vorbereitungsphase der Aufführung zu. In die eigentliche Arbeit an den Sätzen werden die Gestaltungsideen der Jugendlichen einbezogen. Diesmal wird der besondere Schritt gewagt, dass sich die Gruppen aus den vier Sätzen immer wieder gegenseitig auf der Bühne begegnen oder »besuchen«, wodurch eindrückliche Gruppenkompositionen auf der Bühne entstehen. Zeitweise bewegen zwischen 20 und 70 Jugend­liche gleichzeitig die Komposition Schuberts mit einer Konzentration und Exaktheit, die man als Zuschauer nur genießen und bewundern kann. Die Bilder vertiefen den musikalischen Eindruck um mindestens zwei Dimensionen – nämlich die Bewegung der Stimme selbst und die Gruppenbewegung, die der geordneten Bewegung eines Vogel- oder Fischschwarmes glich, aber hier auf der Bühne erkennbar mit dem Bewusstsein der Einzelnen erfüllt ist. Die Begeisterung der Jugendlichen ist deutlich zu spüren.

Eine ehemalige Teilnehmerin, Johanna Maria Schad, schreibt in dem Begleitheft: »Unsere Dozenten hatten die Zauberkraft, uns junge Menschen zu gemeinsamen Erlebnissen zu führen. Wir ergründeten die Bewegungsqualitäten eines Orchesters mit seinen verschiedenen Instrumenten und im gemeinsamen Tun entstand unsere Choreographie.

Eindrücklich habe ich in Erinnerung, wie liebevoll wir alle miteinander vor den zwei großen Aufführungen umgegangen sind.« Und Laura Rojas Palacio, eine Teilnehmerin aus Kolumbien schreibt: »Ein anderes Denken wird für mich in diesen wechselhaften Zeiten immer notwendiger – und ein Handeln aus Liebe. Für mich ist Eurythmie genau das: Sie ist zauberhaft und voller Liebe. Sie ist voller Weisheit, dass sie heilen kann. Und dieser heilende Impuls – das ist es, was mich antreibt.«

Das Projekt »What moves you« hat die Welt der Eurythmie und der Waldorfbewegung verändert und nebenbei auch mehrere junge Menschen in die Eurythmieausbildungen gebracht.

Zum Autor: Christian Boettger ist Geschäftsführer beim Bund der Freien Waldorfschulen und in der Pädagogischen Forschungsstelle.