Unter Ordensschwestern

Wolfgang Debus (Leipzig/Jena)

Eine Reise nach Äthiopien bedeutet: Eintauchen in eine völlig andere Welt, in eine sehr alte Kultur, die kaum kolonialen Einfluss erlitten hat. Und es bedeutet, in Landschaften von großartiger Schönheit aus vulkanischen Gebirgszügen und exotischer Flora und Fauna einzutauchen, in eine Welt der Entschleunigung, der Herzlichkeit, Neugier und menschlichen Wärme.

Unsere Reise nach Hossaina – eine Stadt mit rund 60.000 Einwohnern, 230 Kilometer südlich der Hauptstadt Addis Abeba gelegen, war keine Urlaubsreise. Ziel war und ist, einer kleinen Vorschule für etwa dreihundert vier- bis sechsjährige Kinder mit unserem Solarprojekt tatkräftige Unterstützung zukommen zu lassen. Von der Waldorfschule Wendelstein in Bayern nach Afrika also. Dabei geht es um drei Aspekte der Hilfe, die grundsätzlich für sogenannte »Entwicklungsländer« essenziell sind:

• Energieversorgung durch kostenlose regenerative Energieträger,

• Verbesserung der medizinischen Versorgung sowie Gesundheitsaufklärung und

• Verbesserung der Rahmenbedingungen für Bildung.

Zu allen Bereichen hatten wir Unterstützung geplant. Eine Vollversammlung der Schüler der Klassen 8 bis 12 im Herbst 2015 hatte sich durch Abstimmung für dieses Hilfsprojekt entschieden. Hierzu konnten wir WOW-Day-Erlöse aus den Jahren 2015 und 2016 (rund 11.000 Euro), die großzügige Unterstützung des Rotary Clubs Nürnberger Land (17.000 Euro) und zahlreiche weitere Sponsorengelder verwenden.

Das aktuelle Projekt im »Devine Providence Kindergarden Hossaina« kam durch einen persönlichen Kontakt zustande. Jakob Debus, ehemaliger Schüler der Wendelsteiner Schule lernte auf einer Äthiopienreise den Äthiopier Tibebu Alemu kennen, der sich seit Jahren in Hossaina ehrenamtlich engagiert. Die Vorschule wird von vier katholischen Ordensschwestern geleitet, die darum kämpfen, die Schließung zu verhindern. Bisher war dies ein fast unmögliches Unterfangen, da es an allen Ecken und Enden an Ressourcen fehlt.

46 Kilo Gepäck

Die zwölf Schüler der Klassen 11 sowie Lissi Degelmann (Krankenschwester und zuständig für den medizinischen Bereich), Andreas Pirner (als Schreiner und Ingenieur zuständig für den technischen Sektor) und Guiseppe (Pino) Fusaro, als »Brückenbauer des Menschlichen« von uns zur Mitreise eingeladen, fühlten sich von Anfang an auf dem Gelände der Schule fast wie zu Hause. Dabei waren am Ende der Trockenzeit – es hatte Anfang März seit fünf Monaten nicht mehr geregnet – die Verhältnisse alles andere als einfach: Es gab dauerhaft kein fließendes Wasser und über Tage keine Stromversorgung. Dennoch arrangierten wir uns rasch mit den Gegebenheiten: Bereits am ersten Abend packten wir unsere Solarlichter aus, so dass wir das einzige Haus weit und breit waren, in dem Lampen leuchteten. Zudem gewöhnten wir uns schnell daran, dass wir Wasser zum Waschen und für die Toilette nur aus Eimern und anderen Behältern zur Verfügung hatten. Zähneputzen ist aufgrund der Infektionsgefahr ohnehin nur aus Trinkwasserflaschen erlaubt.

Alle Materialien und Transportmittel standen – für äthiopische Verhältnisse eine Ausnahmesituation – fristgerecht zur Verfügung. Die Solaranlagen im Wert von 12.000 Euro waren einige Tage zuvor von Addis Abeba nach Hossaina gebracht worden. Dazu brauchten wir 1.300 Kilo Holz, die einige von uns noch in einer Ganztagesaktion aus Addis beschaffen mussten. Da wir als Projektteam mit unseren 46 Kilo Gepäck pro Person zahlreiche Werkzeuge und Akkugeräte nach Äthiopien mitgebracht hatten, waren wir diesbezüglich ausgezeichnet ausgerüstet. So machten wir uns in den kommenden Tagen an die Arbeit. Solaranlagen wurden auf den Dächern und die zugehörigen Lichter und Kabel in den Häusern installiert, die Krankenstation gesäubert, gestrichen und eingeräumt, das Schulbüro mit den Geräten eingerichtet und mit dem Internet vernetzt, Holztiere geschmirgelt und mit Olivenöl imprägniert.

Zudem bauten wir aus dem beschafften Holz einige Regale und Holzkonstruktionen. Auch neue Schaukeln aus Holz wurden für die Kinder gebaut und gleich freudig von den fröhlichen und auch sehr anhänglichen Kindern genutzt.

Darm-, Magen- und Hautprobleme

Als wir am ersten Montagmorgen draußen auf der Schulwiese von den dunkelgrün gekleideten, äußerst disziplinierten, lautstark singenden Kindern mit ihren großen Augen begrüßt wurden, war der ganze Aufwand und Sinn des Projektes deutlich zu greifen. Hier standen nach Alter und Größe aufgereiht an die 300 kleine Äthiopierinnen und Äthiopier im Alter von 4 bis 6 Jahren, die alle eine ungewisse Zukunft vor sich haben und dazu für europäische Verhältnisse sehr früh Lesen, Schreiben, Rechnen und sogar Englisch lernen sollen.

Mich hat die Frage, ob die vom äthiopischen Staat verordnete Vorschulpraxis tatsächlich unterstützenswert ist, lange beschäftigt. Es wirkt zunächst befremdend, wenn ein Fünfjähriger auf dem Schoß sitzend auf einem Blatt Papier englische Sätze schreibt und mühelos Rechenaufgaben eines bei uns Achtjährigen löst. In den kommenden Tagen konnte ich die Kinder genauer erleben und versuchen, mich auf die Frage der altersgemäßen Entwicklung intensiver einzulassen. Dabei fiel mir zum Beispiel auf, dass der Zahnwechsel (ein Kriterium der Schulreife) in vielen Fällen bereits mit fünf Jahren einsetzt. Zudem wirken die Kinder deutlich reifer, disziplinierter, aber auch weniger individuell als europäische Kinder diesen Alters. Lernen geschieht stark in der Gruppe, sehr am Rhythmus der Sprache und vor allem am lautstarken Gesang orientiert. Alles geschieht über die Empfindung eines geklatschten oder getanzten Gruppengeschehens, das für Außenstehende fast militärischen Charakter hat, aber bei näherem Hinsehen zeigt, dass diese Form von Schule durchaus der seelischen Entwicklung der Kinder entspricht.

Viel problematischer sieht die medizinische Situation aus: Zahlreiche Kinder haben Darm-, Magen- oder Hautprobleme. Auch Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen spielen eine große Rolle. Zudem ist Aufklärung zu Hygienefragen wie Zahnpflege, Hautpflege und auch Ernährungsberatung sehr wichtig. Die Kinder zeigen große Mangelerscheinungen, wenn aufgrund der Armut und Infrastruktur in manchen Familien nur ein Glas Wasser pro Kind und Tag zum Trinken zur Verfügung steht.

Zum Ende der ersten Woche waren wir mit nahezu allen Arbeiten zumindest soweit fertig, dass wir am Freitagmittag ein Treffen mit dem Lehrerkollegium ansetzen konnten. Während des Rundgangs, in dem alle Neuerungen auf dem Schulgelände gezeigt wurden, wurde ausgelassen und fröhlich gesungen, geklatscht und getanzt. Auch bedankten sich die Lehrerinnen für die finanzielle Unterstützung der weiteren Lehrerausbildung, die wir bereits 2016 begonnen hatten. Für 2017 und 2018 sind weitere Schulungskurse finanziert.

Projekte 2018

Für das Jahr 2018 haben wir zudem auf Wunsch der Lehrerinnen in Hossaina vereinbart, dass wir mit einigen Kollegen aus Wendelstein einen Workshop für das zwölfköpfige Lehrerinnenkollegium anbieten. Es geht vor allem darum, für die Kinder schöne und kunstvolle Dinge zu gestalten. So werden wir etwas Waldorfpädagogik nach Äthiopien bringen. Nach der ersten Woche fuhren wir für einige Tage in die äthiopischen Berge nach Chicho Hayo. Die Vorschule in Hossaina betreibt dort eine Geschwistereinrichtung, bei der wir ebenfalls einige Medikamente anlieferten und Solarpanels installierten.

Nach unserer Rückkehr nach Hossaina standen die letzten Tage vor unserer Rückreise vor allem im Zeichen der vorläufigen Beendigung unserer Arbeiten. Für Mittwochmorgen hatte Pino ein Baumpflanzfest angesetzt. Nachdem bereits in Deutschland, den USA, Italien und Brasilien mehrere »Bäume der Menschlichkeit« gepflanzt wurden, sollte ein solcher Baum mit einem Festakt auch in Hossaina auf dem Schulgelände gepflanzt werden.

Das Fest wurde durch etwa 500 geladene Schüler der benachbarten höheren Schule, Vertreter der Gemeinde, Eltern der Schule, die Kinder, das Kollegium und den Bischof der Region zu einem fröhlichen Großereignis, das wir alle nicht so schnell vergessen werden.

Für 2018 sind weitere Schritte geplant:

• die medizinische Versorgung ist weiter zu verbessern

• Schulmöbel müssen gebaut und die Schulausstattung gewartet werden

• die methodisch-didaktischen Fertigkeiten des Kollegiums sollen weiter geschult werden.

Ein Tropfen im Weltmeer des Globalen

Immer wieder wurde ich gefragt, was denn mein eigener Antrieb für eine solche Projektarbeit sei, die Kosten verursacht, Energie und Verantwortlichkeit erfordert und einen vordergründig vom Haus, der Schule, der Familie oder sonstigen Aufgaben abzieht.

Die beteiligten Schüler aus den 11. Klassen, die auf private Kosten nach Äthiopien reisten, lernten wesentliche globale Prozesse und Vorgänge in einem der ärmsten Länder der Erde kennen und erlebten, dass sie sich sicher, weltoffen und im weltweiten Kontext bewegen können. Zudem wurde ihnen bewusst, in welcher privilegierten Lebenssituation sie sich selbst befinden. Dies wird in dem Erfahrungsbericht des Schülerteams deutlich (siehe Hinweis). Mit großem Engagement setzte sich das ganze Team konkret für andere Menschen in einem fremden Erdteil ein. Viele menschliche Kontakte entstanden. Die »Schule«, die sich in den meisten Fällen auf das Klassenzimmer und gedankliche Arbeit beschränkt, bestand plötzlich aus praktischem Handeln. Auch wenn unser Tun nur einen Tropfen im »Weltmeer des globalen Geschehens« darstellt, bestehen auch Meere nur aus Tropfen. Beginnen können wir nur bei uns selbst als denkende, fühlende und handelnde Menschen.

Menschen einer fremden und fernen Kultur, vor allem die vielen Kinder in Hossaina, erfuhren in Lebensbereichen Hilfe und Unterstützung, für die Äthiopien wesentlich geringere Chancen bietet, als das reiche Europa. In Äthiopien herrscht vor allem aufgrund der aktuellen ökonomischen Konstruktion unserer globalisierten Welt ein großer Mangel an Wasser, Lebensmitteln, Medizin, Bildung, Energie und Infrastruktur.

Der humanistische Grundsatz der »Geschwisterlichkeit«, der als einer der wesentlichen Werte der christlich-aufgeklärten Welt zunehmend durch Protektionismus, Nationalismus und vor allem Egoismen verdrängt wird, wird in einem solchen Projekt praktisch. Dies soll der »Baum der Menschlichkeit«, der durch Pinos Initiative gepflanzt wurde, symbolisieren.

Zum Autor: Wolfgang Debus ist Oberstufenlehrer für Geografie, Biologie und Feldmessen an der Freien Waldorfschule Wendelstein. Dozent und Studienberater und Mentor im Fernstudium Waldorfpädagogik Jena.

www.aethiopien-solarprojekt.de