We don´t need no education ...

Gabriele Pohl

Andererseits gibt es eine große Anzahl an Menschen, die schulisch gescheitert sind, aber schließlich doch – oft auf interessanten Umwegen – ihren Weg gemacht haben und häufig heute sogar an exponierter Stelle stehen. Was ist passiert?

Irgendwann in ihrer Biographie sind sie auf jemand gestoßen, der an ihre Fähigkeiten geglaubt hat, der sie ermuntert und unterstützt hat. Sie haben Themen gefunden, für die es sich zu arbeiten, zu lernen, sich zu engagieren lohnte.

Schulverweigerung ist kein Zeichen mangelnder Intelligenz oder der Anfang einer kriminellen Karriere, häufig sind die Kinder und Jugendlichen in Entwicklungskrisen geraten, aus denen sie aus eigenem Antrieb nicht herausfinden oder sie haben für sich im heutigen Schulsystem keinen Platz gefunden, fühlten sich dort nicht angesprochen und wollten sich nicht einordnen.

Ein enormes Potential an Kreativität und Individualität geht hier womöglich verloren.

Unternehmen beklagen heute zunehmend, dass der Nachwuchs an Arbeitskräften antriebslos, desinteressiert und fantasielos sei. Das sind diejenigen, die sich als Jugendliche irgendwie durchgemogelt und ihre Zeit abgesessen haben, aber eigenverantwortliches Handeln, Begeisterung, Kreativität und Initiative wurden bei ihnen nicht oder kaum gefördert.

Was also könnten wir Besseres tun, als gerade Jugendliche, die Fragen haben, die anspruchsvoll sind, die eigene Ideen haben, die eigenwillig sind und nach neuen, individuelleren Lernformen verlangen, zu fördern? Und was braucht die Zukunft eigentlich dringender als eigensinnige Köpfe?

»Zwischenraum« in Mannheim

In Mannheim hat sich eine Kinder-und Jugendhilfeeinrichtung etabliert, die sich mit diesen Kindern und Jugendlichen auf ganz eigene Weise befasst. Und das mit großem Erfolg: Der »ZWISCHENRAUM für lebensnahes Lernen, für Individualentwicklung und seelische Gesundung«.

Im ZWISCHENRAUM sollen nicht nur bereits schulisch gescheiterte Jugendliche ihre Aufgabe und ihren Platz finden, sondern auch gerade die Jugendlichen, die noch nicht ganz aus dem sozialen Rahmen gefallen sind, können hier rechtzeitig aufgefangen werden.

In einer natur- und lebensnahen Umgebung können sie an der Wirklichkeit lernen. Das schließt die Mitarbeit einmal in der Woche auf dem Bauernhof ebenso ein, wie die Restaurierung eines alten Zirkuswagens, der als neues Domizil genutzt wird und Praxistage oder -wochen in selbst gewählten Institutionen oder Betrieben.

Da sich der ZWISCHENRAUM in Mannheim im sog. Waldorfdreieck befindet (drei Waldorfschulen am gleichen Ort), wird der Wechsel auch dann ermöglicht, wenn spontan eine Auszeit aus dem Unterricht angebracht scheint. Für wenige Wochen oder auch nur für eine gewisse Zeit des Tages. Dann kann sich das Kind oder der Jugendliche in dieser Phase eigenen Projekten widmen. Die Einrichtung ist allerdings für alle Heranwachsenden offen, nicht nur für Waldorfschüler.

Die Arbeit und das Lernen finden projektorientiert und individuell statt in den Bereichen Kultur (Kunst und Handwerk, wie beispielsweise Theater, Musik, Fotografie, Schreinern, Buchbinden) und Natur (Gärtnern, Landwirtschaft, Erlebnispädagogik). Der ZWISCHENRAUM kooperiert mit verschiedenen Betrieben im nahen und weiteren Umfeld und mit Menschen, die die notwendigen Fachkenntnisse für die erwähnten Bereiche haben.

Geplant ist ein eigener handwerklicher Betrieb und/oder ein Café. Hier ergeben sich viele individuelle Lern- und Arbeitsfelder, so dass jeder Heranwachsende Tätigkeiten finden kann, die seinen Neigungen, Interessen und Fähigkeiten entsprechen. Die Räumlichkeiten dafür gibt es schon.

Voneinander und miteinander lernen, gemeinsam arbeiten und feiern: Auch junge Menschen mit Behinderungen gehören selbstverständlich mit dazu. Soziale Projekte verbinden mit der Welt »draußen«.

In Planung ist beispielweise gerade ein Projekt, das alte Menschen mit den Kindern und Jugendlichen zusammenführt.

Im besten Falle ist die Arbeit des ZWISCHENRAUMS präventiv, das heißt, es kann rechtzeitig vor einsetzender Resignation, vor dem Abdriften in Sucht und Delinquenz gehandelt werden. So können die Heranwachsenden nicht nur vor dem Schulabbruch bewahrt werden, sondern auch echte Lebensperspektiven entwickeln.

Oft aber kommen Hilfsangebote, die nachhaltig wirksam wären, zu spät (nicht weil es die Angebote nicht gäbe, aber die finanziellen Mittel werden nicht bereitgestellt).

Hier wären neben staatlichen Institutionen auch Unternehmen aufgerufen, Unterstützung zu leisten. Letzen Endes wäre nicht nur den jungen Menschen geholfen, sondern es könnten auch enorme Kosten eingespart werden, weil dadurch nicht nur kostspielige Heim- oder Psychiatrieaufenthalte vermieden werden könnten, sondern langfristig der drohenden Arbeitslosigkeit dieser jungen Menschen entgegengewirkt wird.

Die Autorin ist Diplompädagogin, Kinder- und Jugendlichentherapeutin und leitet das Kaspar Hauser Institut in Mannheim und den »Zwischenraum«. Vor kurzem ist im Springer Verlag ihr Buch »Angsthasen, Albträumer und Alltagshelden« erschienen (213 S., Euro 19,99).