Wie wollen Waldorfschulen zusammenarbeiten?

Erziehungskunst | Herr Freitag, was sind die ursprüng­lichen Intentionen der »Vereinbarungen«?

Klaus-Peter Freitag | Vor 2005 gab es nur Verabredungen zur Aufnahme einer Schule in den Bund und deren Begleitung in den ersten Jahren. Durch die mit großer Mehrheit beschlossenen »Vereinbarungen zur Zusammenarbeit« wurden erstmals, nach langen Beratungen, das Zusammenleben der Schulen beschrieben und – als wichtigster Teil – auch Verabredungen zur Qualitätsentwicklung als freiwillige Selbstverpflichtung getroffen. Selbstverständlich gab es auch vorher Zusammenarbeit und das Bemühen um Qualitätsentwicklung. Ziel der schriftlichen Fassung der Vereinbarung war und ist, eine größere Transparenz zu erzeugen, ein stärkeres Bewusstsein für das Zusammenleben zu entwickeln und sich durch gegenseitige Unterstützung bei der Realisierung der Waldorfpädagogik zu helfen.

EK | Woran liegt es, dass der Fragebogen überwiegend von Geschäftsführern, kaum von Lehrern und Eltern beantwortet wurde?

KPF | Das hat in erster Linie »technische« Gründe. Beim Bund pflegen wir eine Datenbank, in der alle Geschäftsführer erfasst sind, mit denen wir auch intensiv zusammenarbeiten. Diese haben wir gebeten, sich um das Ausfüllen des Fragebogens zu kümmern, was nicht heißt, dass sie ihn alleine ausgefüllt haben müssen.

EK | Obwohl die »Vereinbarungen« grundsätzlich für sinnvoll und zeitgemäß erachtet werden und fast die Hälfte der Befragten sogar die Lizensierung einer Schule davon abhängig machen will, scheinen sie auf Bundesebene in Bezug auf die Qualität der Zusammenarbeit keinen durchschlagenden Effekt zu zeigen. Woran liegt das?

KPF | Dass 67 Schulen die Zusammenarbeit im Bund als zufriedenstellend, 74 als teilweise zufriedenstellend und 17 als nicht zufriedenstellend erleben, muss uns zu denken geben. Hierüber müssen wir mit den Schulen ins Gespräch kommen. Die Gemeinschaft der 234 Schulen ist aber auch sehr groß und man darf, glaube ich, nicht erwarten, dass sich jeder immer für alles interessieren und an allem beteiligen muss.

Der »Bund« lebt ja nicht nur auf den großen Bundesveranstaltungen. Immer dann, wenn Menschen aus unterschiedlichen Schulen zusammenarbeiten, entsteht der »Bund« und da gibt es viel mehr, als wir im Großen wahrnehmen können.

EK | Auf die Qualität der Zusammenarbeit in den Regionen scheinen die »Vereinbarungen« dagegen positive Effekte auszuüben …

KPF | Genau, hier sind sich die Menschen – nicht nur räumlich – einfach näher, treffen sich häufiger und arbeiten konkret zusammen. Die »Zufriedenheit« ist auf dieser Ebene signifikant höher, was zeigt, dass es eigentlich immer um Beziehungsqualität geht. Wir sollten anerkennen, dass sich Zusammenarbeit im Bund eben auch im direkten Kontakt der Schulen untereinander und auch in den Regionen konkret realisiert. Hier bilden sich wesentliche Qualitäten.

EK | Auf den Mitglieder- und Delegiertenversammlungen nimmt die Zahl der Vertreter ab. Was sind die Ursachen?

KPF | Die Vertreter der Regionen in der Bundeskonferenz und auch wir von Bundesseite nehmen Kontakt zu den Schulen auf, die längere Zeit nicht an Bundesveranstaltungen teilnahmen, um uns zu erkundigen, wie es ihnen geht und was los ist. Es muss uns doch interessieren, wie es den Mitgliedseinrichtungen geht. Die überwiegende Rückmeldung ist, dass die Menschen überlastet sind und man Vertrauen hat, dass die Anwesenden es schon richtig machen.

EK | Die Umfrage ergab, dass die »verbindliche regelmäßige Anwesenheit und das Einhalten von Beschlüssen« von mehr als der Hälfte nicht erfüllt wird. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

KPF | Hier war der Fragebogen leider nicht »sauber«. Eigen­tlich sind es ja zwei Fragen. Die schriftlichen Kommentare zu den Antworten zeigen aber, dass wir hier offensichtlich die gleiche Situation haben, wie sie auch an Schulen anzutreffen ist. 95 Prozent der Schulen halten die Vereinbarung grundsätzlich für sinnvoll, 83 Prozent auch für zeitgemäß. 71 Prozent, das sind immerhin 111 der 175 Schulen, die geantwortet hatten, sind der Meinung, dass wir uns mit der Frage von Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Vereinbarung beschäftigen sollten, aber nur 23 Prozent sind der Meinung, die Vereinbarung als Vertrag zu schließen (20 Prozent sind für eine Absichtserklärung, 57 Prozent für eine Selbstverpflichtung).

EK | In den »Vereinbarungen« haben sich die Schulen verpflichtet, sich um die Qualität nach einem selbst gewählten oder selbst entwickelten Verfahren zu kümmern. Nicht einmal die Hälfte der Schulen macht das. Woran liegt das?

KPF | Dieses Ergebnis hat auch uns überrascht. Es wäre aber falsch, daraus den Schluss zu ziehen, dass sich die Schulen nicht um Qualitätsentwicklung kümmerten. Es wird einfach kein schriftlich dokumentiertes Verfahren angewandt. Entscheidend ist, dass man sich um die Qualität bemüht. Wenn es gelingt, das zu dokumentieren, wäre ein Ziel erreicht.

EK | Kann man, zehn Jahre nachdem sich die Schulen verpflichtet haben, ein Schulprofil zu formulieren, damit zufrieden sein, dass dies nur zwei Drittel der Schulen gemacht haben?

KPF | Wir gehen davon aus, dass jede Schule natürlich ihr eigenes Profil hat und lebt. Wer aber Schule kennt, weiß, wie schwer es ist, neben dem Alltag auch das Profil schriftlich zu fassen. Hier sollten wir fragen, wie wir die Schulen stärker unterstützen können, damit sie die Verabredung erfüllen können.

EK | Was sind – unter Berücksichtigung der Umfrageergebnisse – die nächsten Schritte?

KPF | Wichtig ist doch, dass Zusammenarbeit geschieht, man sich um die Qualität in den Schulen kümmert und nicht »nur« ein Papier hat. Insofern liefert die Fragebogenaktion erneut Anlass, vor Ort in Austausch zu kommen.

Die kleine Arbeitsgruppe, die sich mit den Vereinbarungen beschäftigt, hat sich vorgenommen, sie zu redigieren und der Mitgliederversammlung nach Beratungen in den Schulen im März 2016 zur Verlängerung vorzulegen. Im Bund sind die Schulen der Souverän und sie haben über die Art der Zusammenarbeit zu bestimmen.

Die Fragen stellte Mathias Maurer.