Michael Ende, das Mysterium des Geldes und die Finanzmarktkrise

Frank Bohner

In seinem Prosastück »Die Bahnhofskathedrale stand auf einer großen Scholle« lässt Michael Ende einen Greis auftreten, der von der Kanzel herab über das Mysterium des Geldes predigt. »Das Geld vermag alles«, lässt er den Prediger rufen, »es verbindet die Menschen miteinander durch Geben und Nehmen, es kann alles in alles verwandeln, Geist in Stoff und Stoff in Geist, Steine macht es zu Brot und schafft Werte aus dem Nichts, es zeugt sich selbst in Ewigkeit, es ist allmächtig, […] es ist Gott!«

Ende spricht damit die möglichen segensreichen Wirkungen des Geldes an. Es führt zu Wohlstand, wenn es dem Menschen als selbstloses Tauschmittel dient. Wenn er jedoch zulässt, dass das Geld zum Herrschaftsinstrument wird, das die Welt regiert, dann sind unheilvolle Entwicklungen die Folge. Geld »zeugt sich selbst in Ewigkeit«, ruft Endes Prediger. Gemeint ist damit die Vermehrung des Geldes über das Prinzip von Zins und Zinseszins. Wer kennt nicht die Geschichte vom Pfennig, der im Jahre Null zu 5 Prozent angelegt, mittlerweile zu einem Vermögen an­­gewachsen wäre, das dem Wert von Milliarden und Aber­­­­­­­miliarden von Erdkugeln aus purem Gold entspräche?

Mit dem Zins ist das Geld zum Götzen geworden. Das Ringen um den Zins zieht sich wie ein roter Faden durch die Religions- und Kirchengeschichte. Im Matthäusevangelium heißt es: »Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon«. Allerdings revidierten die Protestanten bereits um 1600 Luthers Absage an das Zinsnehmen. Und die ersatzlose Streichung des Zins-Kanons im neuen Kirchengesetzbuch von 1983 markiert das Ende des katholischen Zinsverbotes. Lediglich der Islam hält formal noch am Zinsverbot fest. Die Durchsetzung eines Zinsverbotes hätte jedoch gravierende Folgen: weil kaum jemand noch Geld als Investitionsmittel zur Verfügung stellen würde, käme der Geldumlauf weitgehend zum Erliegen, wie die Weltwirtschaftskrise zeigte. Doch bereits damals gab es die Regiogeldexperimente in Schwanenkirchen im Bayerischen Wald und österreichischen Wörgl, auf die Michael Ende 1989 in einem Gespräch mit Josef Beuys hinwies.

»Und wir vergeben uns unsere Schulden«

Die Frage, wer die Zinsen für die wachsenden Geldvermögen erarbeiten muss, wird nur selten gestellt. Endes Prediger führt die Vorstellung der wundersamen Geld­ver­mehrung ad absurdum: »Wo alle sich an allen bereichern, da werden am Ende alle reich! Und wo alle auf Kosten aller reich werden, da zahlt keiner die Kosten! Wunder aller Wunder! […] So sind wir unsere eigenen Gläubiger und unsere eigenen Schuldner in Ewigkeit, und wir vergeben uns unsere Schulden, Amen!«.

Theologen verwenden das Bild von der »falschen Ewigkeit« des Geldes. Die Zeit gehöre uns nicht, sie gehöre Gott allein. Also dürften wir den Lauf der Zeit nicht auf unsere Mühlen lenken. Genau das geschehe in der Geldwirtschaft. Der Satz »Zeit ist Geld« realisiert sich erst durch den Zins. Wer denkt dabei nicht an die »Grauen Herren« in Michael Endes Roman »Momo«, die den Menschen ihre Stundenblumen stehlen? Zum Glück gelingt es Momo, zu den Banktresoren der Zeitsparkasse vorzudringen, die eingefrorenen Geldvorräte mit dem letzten Blütenblatt ihrer schon welkenden Stunden-Blume zu berühren, und dadurch »die ganze geraubte Zeit zu befreien.« Dass sich Michael Ende intensiv mit dem Geld beschäftigt hat, geht auch aus seinem letzten Buch, »Michael Endes Zettelkasten«, hervor. Dort widmet er dem Thema »Geld und Wachstum« ein ganzes Kapitel. Im Programm der Theaterinszenierung des Endeschen Buchs »Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch«, in dem auch eine Geldhexe vorkommt, erläutert Ende dem damaligen Chefdramaturgen des Münchner Volkstheaters, Helmar von Hanstein, seine Auffassungen. In unserem Geldsystem stecke ein »karzinombildendes Element«, was unsere Wirtschaft »fortwährend krank« mache.

Hier liegt einer der Schlüssel zum tieferen Verständnis der Finanzkrise. Und wenn Michael Endes Prediger ruft: »Geld ist Wahrheit und die einzige Wahrheit. Alle müssen daran glauben!«, dann ist die Doppeldeutigkeit des »Daran-Glaubens« nicht zu überhören.

Die globale Finanzkrise zeigt, dass im Durchschauen der Geldprozesse die große Herausforderung unserer Tage besteht. Michael Ende hat frühzeitig versucht, uns darauf aufmerksam zu machen.

Der Autor steht für Beiträge zum Thema gerne zur Verfügung.

Links: www.inwo.de, www.geldreform.de