Wie kommt das Neue in die Welt?

M. Maurer

Quantitativ ein Flop, qualitativ ein Erfolg: Der Kongress des Bundes der Freien Waldorfschulen »Wege zu schöpferischen Orten der Zukunft«, der vom 22.-24. September diesen Jahres an der Freien Waldorfschule Engelberg stattfand. Rund hundert Teilnehmer kamen in den Genuss eines Versuchs, sich dem Neuen künstlerisch, philosophisch unterrichtspraktisch anzunähern.

Die Frage ist virulent, jeden treibt sie um: Wie kommt das Neue in die Welt? – Gleich in welchen gesellschaftlichen Bereichen: Wir stehen vor ungelösten Problemen und machen weiter wie bisher. Warum? – Weil wir es nicht sehen, was da aus der Zukunft auf uns zukommt, wir gehen daran vorbei, verschlafen die Ereignisse, verpassen die Chance.

Künstlerisches Tun kann uns da auf die Sprünge helfen; es öffnet uns und macht uns beweglich – im Denken, im Fühlen und im Wollen – eindrücklich und immer im Plenum angeleitet von Stephan Ronner und Brigitte Pütz, in Podiumsdiskussion aus religiöser (Barbara Peter-Schult), medizinischer (Wolfgang Kersten), pädagogischer (Stefan Grosse) und künstlerischer Perspektive (Stephan Ronner) reflektiert. Die Suche nach dem Neuen kulminierte in drei Kurzreferaten von Philip Kovce zum Denken, Andreas Höyng zum Gartenbau und Jan Deschepper zum Biologieunterricht. Wer hätte es (vorher) für möglich gehalten, dass es einen inneren Zusammenhang zwischen dem Alleinstellungsmerkmal menschlichen Denkens, dem Pfropfen in der 10. Klasse, dem Schlaf und dem Bizeps gibt? Wer hätte (vorher) gedacht, dass das Neue durch Eingriff, Schnitt, Bruch und Erschütterung gehen muss, um sich bemerkbar zu machen, um festgefahrene Ordnungen auf ihre Zeitgemäßheit zu prüfen oder auch über den Haufen zu werfen? Was hat das Neue mit dem Apollinisch-dionysischen Prinzip (Vortrag von Malte Schuchhardt), was mit der Geschichte der Waldorfschulbewegung (Vortrag von Nana Göbel) oder mit den aktuellen Herausforderungen eines Weltkonzerns (Vortrag von Joachim Reichle, Mahle )zu tun?

Die Kunst unterstützt, die Entwicklungsfenster, durch die das Licht des Neuen blitzt, zu entdecken. Wir treten sensibilisiert in ein »ozillierendes Verhältnis« (Joseph Beuys) zur Welt. Die Kunst steigert Polaritäten und überwindet Dichotomien, versöhnt Individualität und Gemeinschaft, bringt Natur und Kultur, Leib und Geist in einen lebendigen, kommunizierenden Zusammenhang – Hartmut Rosa würde sagen »Resonanz« –, ohne ihr jeweiliges Eigensein aufheben zu wollen: Das Kind belehrt den erziehenden Lehrer – ein wahres Paradox, das nur künstlerisch gelöst werden kann. Jeder Mensch kann in jedem Moment Instrument des Schöpferischen sein; er muss dieses Prinzip in sich erst wiederentdecken und festgefahrene Begrifflichkeiten, Vorstellungsballast und Routine beiseite schaffen.

Es ist zu wünschen, dass das gelungene Format dieser Tagung fortgeführt wird. Es war etwas Neues. Die es nicht miterlebt haben, haben eine Chance verpasst.