Ab auf die Insel oder: Ist Schule nur für die, denen nichts Besseres einfällt?

Peter Elsen

Schon seit vielen Jahren nehme ich mir bestimmte Dinge für eine Eurythmiestunde vor. Entweder frage ich zu Beginn, was wir wohl heute arbeiten werden, denn entweder ist es schon in der vorangegangenen Stunde gesagt worden oder es ergibt sich eigentlich aus dem Verlauf der Arbeit. Haben wir das »Menü« zusammengetragen, können Gegenvorschläge oder auch Einwände vorgebracht werden, vor allem, wenn man meint, das Vorgenommene sei nicht zu schaffen. Manchmal gehe ich darauf ein, manchmal auch nicht, etwa wenn meiner Meinung nach in der Stunde davor nicht tatkräftig genug gearbeitet worden ist.

An der Schopfheimer Schule haben wir seit einigen Jahren fast durchweg die entschleunigende 55-Minutenstunde eingeführt, weshalb wir nach dem Hauptunterricht in der Regel nur drei Fachstunden haben. Obwohl ich durch diese Defaktoausweitung meines Deputats auch mehr und intensiver arbeite, kann nach Erreichen des Stundenzieles noch Zeit übrigbleiben. Geschenkte Zeit. So wertvoll wie geschenktes Geld! Damit kann man »spielen«!

Ich könnte die Klassen früher entlassen, was ich aus verschiedenen Gründen meistens nicht will. Manchmal versammle ich die jeweilige Gruppe dann für einen Moment im »Kuschelkreis«, lasse mir drei Wünsche mitteilen und dann wird abgestimmt. Oder ich entscheide, dass »Inselzeit« ist, das heißt, dass alle machen dürfen, was sie wollen. Manche setzen sich dann ans Fenster und unterhalten sich, manche legen sich einfach an einer geschützten Stelle auf den Boden, andere verlangen nach dem Ball und spielen, wieder andere setzen sich an den Flügel und spielen Musik und es kann auch vorkommen, dass jemand versucht, für das eigene Lieblingsspiel Mitspieler zu gewinnen.

Ich selber räume in der Zeit auf, mache mir Notizen, beschäftige mich so, dass ich da und auch ansprechbar bin, denn es kommt immer wieder vor, dass Einzelne oder auch Gruppen den Kontakt suchen, etwas fragen oder mich auch in ein Gespräch verwickeln.

In der ersten Zeit war mir die Inselzeit oft zu laut und zu chaotisch; wie schade, wenn ich dieses Experiment enttäuscht abgebrochen hätte. Mittlerweile fragen manche Klassen gleich zu Beginn der Stunde nach Inselzeit. Leider weiß ich nicht mehr, wie ich auf den Begriff gekommen bin, finde ihn auch noch nicht optimal, er wurde aber so angenommen, dass ich ihn eigentlich nicht mehr ändern kann.

Weiterentwicklungen gab es in der Zwischenzeit in zwei Richtungen: »Gebundene Inselzeit« bedeutet, dass man sich aussuchen kann, welchen Teil der Stunde man noch einmal allein oder mit anderen üben will. Oft geht gebundene Inselzeit dann in offene über.
»Inselzeit nicht für alle« bedeutet, dass die wenigen, die das Ziel eines bestimmten Teiles der Stunde noch nicht erreicht haben, zum Beispiel weil sie gestört haben, in meiner Nähe üben müssen.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Inselzeiten länger als zehn Minuten dauerten. Vielleicht ist dieses Experiment bislang so gut gelaufen, weil ich mir verkneife, während der Stunde reinzurufen: »Wenn es so weitergeht, gibt es keine Inselzeit!«

Meine neuesten Versuche aus dem letzten Schuljahr waren:

In der neunten Klasse habe ich vorgestellt, was wir arbeiten werden und dann angeboten, wer in einer kleinen Gruppe selbstständig an eigenem Material arbeiten wolle, könne das tun. Daraufhin fand sich eine Gruppe von Dreien zusammen, die einige Zeit im Foyer engagiert an einem Songtext arbeitete.

In der Metrik-Poetik-Epoche der zehnten Klasse habe ich vorgestellt, was wir arbeiten würden und angeboten, dass man mir Alternativideen vorschlagen und die dann bei Genehmigung außerhalb des Klassenraums bearbeiten könne. In der dritten Epochenwoche gab es daraufhin eine Gruppe von sieben Schülerinnen, die für den Abschlussabend einen Sketch einüben wollten, was sie hervorragend umgesetzt haben. Vorher gab es einmal die Situation, dass eine Schülerin gleich zu Beginn des Hauptunterrichtes zu mir kam und sagte, sie wolle unbedingt an einem angefangenen Gedicht weiterschreiben. Sie verließ erlaubterweise den Raum und kam dann irgendwann gut gelaunt wieder.
Im vergangenen Schuljahr hatte ich in der siebten Klasse in jeder Gruppe einmal 45 und einmal 55 Minuten. Auch in den 45er-Stunden war Inselzeit möglich, setzte aber tatkräftiges Engagement der Gruppen voraus und war oft nicht wirklich lang, im Mittel drei bis fünf Minuten.

Ich möchte die Erfahrungen mit »Inselzeit« nicht mehr missen! Mein Eindruck ist vielmehr, dass eine noch weiter auszubauende Mischung aus Fremd- und Selbstbestimmung einer der goldenen Schlüssel für Waldorf 200 sein könnte.

Zum Autor: Peter Elsen ist Klassen- und Eurythmielehrer an der Freien Waldorfschule Schopfheim, Mitarbeiter in der Norddeutschen Eurythmielehrerfortbildung, der Eurythmielehrerausbildung in Leiden/NL und in der Notfallpädagogik.