Abgeschoben

Mathias Maurer

Wer also bereut, Kinder in die Welt gesetzt zu haben, braucht sie nicht länger zu vernachlässigen – er kann sie wie Gepäck im Schließfach versorgen. Das Programm nennt sich »KitaPlus« und wird auch noch vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt. Damit ist man nicht mehr weit entfernt von der kompletten Heimunterbringung des Nachwuchses: Ab ins Kinderghetto! Für Alte gibt es das schon, für Flüchtlinge auch, für Straffällige sowieso. Und man ist damit noch einen Schritt weiter, nicht erwerbsfähige und nicht verdienende gesellschaftliche Randgruppen, die anderen nur auf der Tasche liegen, noch weiter an den Rand und in die alltägliche Unsichtbarkeit zu drängen, als wären sie eine Peinlichkeit. Und in der Tat: Kinder und Alte, soziale Problemfälle sind Sand im Getriebe eines lautlos funktionierenden gesellschaftlichen Räderwerks, das keine Muße, kein Siechtum und keinen Stillstand erlaubt. Denn das Lebensmotto lautet: Geldverdienen im Takt der wirtschaftlichen »Erfordernisse«. Verkehrte Welt: Die Arbeitswelt bestimmt darüber, welche Bedürfnisse Kindern zugestanden werden und nicht das Kindeswohl und das Familienleben. Karl Marx würde sich vor Freude auf die Schenkel hauen über die praktische Bestätigung seiner Theorie. Unterstützt wird dieser kindesfeindliche Unsinn auf breiter Front durch die Arbeitgeberverbände, die Bundesagentur für Arbeit, den Gewerkschaftsbund, den Städte- und Gemeindebund sowie den Städtetag.

Das gesellschaftspolitische Programm, Beruf und Familie besser unter einen Hut zu bringen, heißt also nicht, auf die Bedürfnisse der Kinder und Familien einzugehen, indem zum Beispiel ein adäquates Erziehungsgeld oder Grundeinkommen gezahlt und Erziehungsarbeit gesellschaftlich massiv anerkannt und aufgewertet werden, sondern das ganze Problem komplett zu delegieren oder auszulagern. Wie soziale Schattengewächse existieren Familien dann nur noch auf dem Papier und in ihren besonderen »Einrichtungen«. Und mit diesen allgegenwärtigen Ausgrenzungsprozessen lässt sich gut verdienen. Ganze Heerscharen von Sozialagenten scharren schon mit den Hufen und die Kommerzialisierung der sozialen Bereiche durch TIPP droht nach wie vor.

Die Atomisierung gesellschaftlicher und generationsübergreifender Bindung ereignet sich nicht mit einem lauten Knall, sondern schleichend – und die Betroffenen leiden still darunter. Vor allem die Alten. Nur die Kinder wehren sich manchmal noch brüllend bis zu zwei Stunden lang, nachdem sie in der Kita abgeliefert wurden. Dabei weiß man doch schon aus DDR-Zeiten, dass ein Zuviel an Fremdbetreuung den Kindern schadet und deren »Verlusterfahrungen« sich viele Jahre später ungeachtet der hohen Qualität der Betreuung in chronischen physischen und psychischen Krankheiten äußern. – Man darf gespannt sein auf die erste 24-Stunden-Waldorf-Kita.