Afrika feiern

Marcus Kraneburg

Wir wollen die Heimat verlassen, das Angestammte und Gewohnte abstreifen. Ein großer Schritt. Daher machen wir auch keine kleine Reise ins Nachbarland, sondern wir setzen die Segel zu einem ganz fremden Kontinent. Auf nach Afrika! In der Vorbereitung der Epoche bewegte mich besonders die Frage, wie ich über die geographischen Beschreibungen und Fakten hinaus viel von der afrikanischen Kultur und insbesondere von dem afrikanischen Lebensgefühl vermitteln könnte.

Ein mehrdimensionaler Lernbegriff

Unsere Lernkultur wird heute immer noch vielfach von einem eindimensionalen Lernbegriff dominiert. Der Lehrer hat den gesamten Lernprozess »im Griff«. Entsprechend gehen alle Schüler den gleichen Weg. Das Ergebnis ist exakt definiert, um Vergleichbarkeit herzustellen. Die Themen der einzelnen Fächer sind separiert und haben nur wenig miteinander zu tun. In der Waldorfschule sind wir einen Schritt weiter. Da haben wir menschenkundliche Brücken, welche die Inhalte verbinden. Trotzdem ergibt sich ihre Verbindung für den Schüler zumeist nicht offenkundig. So fertigen wir hier bewegliches Spielzeug an und üben dort Algebra, proben hier eine Eurythmieform und singen dort einen Gospel,  trainieren hier den Handstand und …

Wie könnte soziales, kulturelles, handwerkliches, künstlerisches Lernen zeitgleich an einem Lerninhalt stattfinden? Wie kann man sich an einer gemeinsamen Idee orientieren und zugleich einen eigenen Weg gehen?

Die Idee: Ein Fest feiern

Ich ließ mich von einer einfachen Kernidee leiten: Am Freitagabend der letzten Epochenwoche sollte ein afrikanisches Fest stattfinden. Schüler, Eltern und Lehrer meiner Klasse würden es gemeinsam feiern. Wir säßen clanweise mit bunten Decken auf dem Boden unseres Festsaales, würden selbstgekochte afrikanische Gerichte mit Händen essen, einstudierte afrikanische Tänze genießen, entstandene afrikanische Masken bestaunen, etwas über den Hintergrund ihrer Verwendung erfahren, das Wari-Spiel mit Bohnen spielen und … und … und … Die Epochengestalt ergab sich damit fast wie von selbst. Ich bildete Themeneinheiten, von denen die Schülerinnen und Schüler zwei auswählen durften.

Schon diese Wahl erschien mir wichtig. Man verbindet sich anders mit einem Inhalt, wenn man sich für ihn entscheiden darf. Obwohl nicht alle alles machten, nahm man zugleich das andere aus dem Augenwinkel wahr. Die Projektarbeit dieser vierwöchigen Epoche nahm nur einen Teil unserer Gesamtzeit in Anspruch. Wir behandelten gemeinsam im »normalen« Teil des Hauptunterrichtes die Besonderheiten der Landschaften, des Klimas und der Klimazonen, das Leben der Menschen, der Tiere und Pflanzen usw. Mit dem Projekt begannen wir erst in der zweiten Woche. Jeweils montags, dienstags und mittwochs erhielten die Schüler 60 Minuten des Hauptunterrichtes, um ihre Themen in Fachräumen überwiegend eigenständig zu bearbeiten. In der letzten Woche kam noch der Freitag, der Tag unseres Festes, hinzu, sodass uns insgesamt 10 Einheiten zur Verfügung standen. Bestimmte Gruppen wechselten nach fünf Einheiten das Thema, damit die Vielfalt größer wurde. Für die Bereiche Nähen und Kochen hatten mir zwei Eltern Hilfe zugesagt.

Jetzt wird’s praktisch

Nähe ein afrikanisches Boubou: Für diese Gruppe durften sich nur Kinder melden, die schon mit der Nähmaschine umgehen konnten. Die Schülerinnen erhielten in dieser Arbeitsgruppe 2,7 Meter wunderbaren afrikanischen Stoff und eine Nähanleitung. Eine Handarbeitslehrerin war in der Nähe, um notfalls Hilfestellungen geben zu können. Die Näharbeiten wurden von den Schülerinnen dann allerdings selbstständig ausgeführt. Auf unserem Fest stellten sie sich in ihrem wunderbaren Boubou vor.

Afrikanische Gerichte kochen: Unsere Schule besitzt eine schöne Lehrküche. Diese Gruppe lernte mithilfe von Rezepten und einer Schülermutter afrikanische Gerichte zu kochen: Bananenbrot (Ghana), Huhn in Erdnusssauce (Ghana),  Äthiopischer Linseneintopf, Taboulé – nordafrikanischer Couscoussalat, Injera – äthiopisches Fladenbrot, Falafel, Zigni Rind (Äthiopien). Nach fünf Einheiten wechselte die Gruppe. Am Ende der Stunde aß man immer mit einer hübschen Decke auf dem Boden und natürlich mit den Händen. Beide Gruppen waren am Festfreitag für das Kochen verantwortlich.

Afrikanischer Tanz: Musik, Gesang und Tanz spielen in allen Lebensbereichen der Bevölkerung Afrikas eine große Rolle. Vor allem der Tanz ist bei allen wichtigen Ereignissen die bedeutendste Ausdrucksform. Eine Gruppe von zehn Schülerinnen und Schülern übte mithilfe eines Videos (Laptop) und der entsprechenden Musik (Tonträger) einen afrikanischen Tanz allein ein. Dafür stand ihnen ein eigener Raum zur Verfügung. Der Tanz selbst erzählte eine umfangreiche Geschichte.

Er zeigte Menschen, die ein Hirsefeld bestellen. Sie hacken, säen, holen Wasser und wässern, jäten Unkraut, sicheln und ernten. Dann wird die Hirse gedroschen, gestampft und gekocht und am Ende wird gegessen und natürlich gefeiert!

Afrikanisches Brettspiel: Wari wurde vor Tausenden von Jahren bereits in Ägypten gespielt, wo man eingemeißelte Spielbretter in den Steinen der Cheopspyramide und jenen der Tempel von Karnak gefunden hat.

Die Aufgabe dieser Gruppe bestand darin, sich nach einer schriftlichen Anleitung mit den Spielregeln so gut vertraut zu machen, dass die Schülerinnen und Schüler später das Spiel für alle Festteilnehmer erklären konnten. Es sollten insgesamt 30 Wari-Spiele hergestellt werden. Wir verwendeten dafür Eierkartons bzw. Eierpappen. Zunächst wurden sie zurechtgeschnitten, mit weißer Farbe grundiert und anschließend mit afrikanischen Mustern bemalt. Als Steine verwendeten sie Bohnen.

Geschichtenerzähler: Der Geschichtenerzähler sollte auf unserem Fest eine vorbereitete afrikanische Geschichte frei und stimmungsvoll erzählen.

Malerei: Diese Gruppe erhielt afrikanische Motive, die sie mit Wasserfarben selbst gestaltete.

Hüttenbau/afrikanische Dörfer: Für diese Gruppe wurde ein 2 x 2 Meter großes Brett vorbereitet. Mit Weidenkonstruktionen und Lehm entstand hier eine kleine afrikanische Dorfsiedlung. Materialien und Werkzeuge sollten selbst mitgebracht werden. Auf dem Fest wurde das fertige Modell ausgestellt.

Afrikanische Masken: In Afrika gibt es viele Völker, bei denen zu verschiedenen Anlässen Maskenauftritte stattfinden. Diese Anlässe können fröhlich sein, wie zum Beispiel an einem Erntefest, traurig, wie bei einer Beerdigung, bedrohlich, wie bei großer Trockenheit oder aber gefährlich, wie bei der Abwehr von Hexen. Diese Projektgruppe erhielt fünf Einheiten Zeit, eine afrikanische Maske herzustellen. Sie bekam ein Buch, in welchem sehr schöne Masken zu sehen waren. Die Materialwahl war frei und sollte eigenständig überlegt und organisiert werden.

Afrika-Relief: Eine letzte Gruppe stellte auf einer 2 x 2 Meter großen Holzplatte ein Afrika-Relief her. Maßstabsgetreu übertrugen sie die Umrisse und plastizierten mit Pappmaché das Höhenrelief. Die Methode war den Schülerinnen und Schülern schon durch ein anderes Projekt bekannt. Wüsten und Tropengebiete wurden anschließend farblich gestaltet.

Am Ende das Fest

Dann kam unser Fest. Alles wurde zusammengeführt und es war wunderbar: Essen, Tanz, Spiel, Masken, Kleider, Geschichten, Bilder und Modelle. Ein beeindruckendes Panorama von Schüleraktivität und Schülerbegeisterung entstand vor Eltern und Lehrern. Uns war klar, dass die Vielfalt Afrikas im Grunde nicht darstellbar ist. Aber ein kleines Stück afrikanischer Kulturen wurde spürbar. Und das eigentlich Wichtige: Es wurde Neugier geweckt auf mehr!

Es war eine sehr befriedigende Epoche für die Schüler und auch mir schien der Ansatz mehrdimensionaler Lern-­prozesse ungemein reizvoll.

Zum Autor: Marcus Kraneburg ist Klassenlehrer an der Freien Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart und Begründer des Waldorf-Ideen-Pools.

Link: www.waldorf-ideen-pool.de