Akademischer Hype

Georg Gusewski

Im Jahr 2012 gab es in Deutschland zum vierten Mal in Folge mehr Studierende als Auszubildende. Unter anderem aus diesem Grund blieben 2012 rund 35.000 Lehrstellen unbesetzt. Das ist eine Tendenz, die nicht unbeträchtliche Folgen hat.

Für viele Schulabgänger kann die Berufsbildung eine gute Möglichkeit sein, der Schulmüdigkeit zu entfliehen. Die Jugendlichen erleben, wie ihre Arbeit in der Praxis zählt und erhalten konkrete Rückmeldungen zu ihren Arbeitsergebnissen.

In Deutschland fangen jedes Jahr rund 60 Prozent der Jugendlichen eine Berufsausbildung an, in Österreich rund 80 Prozent und in der Schweiz etwa zwei Drittel. Die Lernenden arbeiten drei bis vier Tage in ihrem Betrieb und sind an einem, respektive zwei Tagen in der Berufsschule. Diese duale Berufsbildung ist in den deutschsprachigen Ländern einzigartig. In anderen Ländern gibt es Berufsausbildungen, die sind entweder theoretisch, also in Form einer weiterbildenden Schule oder eines Studiums, oder als rein praktische Ausbildung aufgebaut.

Der Vorteil der dualen Berufsaus­bildung ist, dass die

Lernenden nicht nur Erfahrung in der Praxis sammeln, sondern in der Berufsschule auch ein vertieftes und umfangreiches Knowhow rund um ihren Beruf erhalten. Die Berufsausbildung dauert – je nach Beruf – zwei, drei oder vier Jahre und endet in der Regel mit einer Abschlussprüfung. Wer ausgelernt hat, kann als Facharbeiter tätig werden, sich mit Weiterbildungen spezialisieren oder über weiterführende Ausbildungen an einer Fachhochschule studieren.

Kleinbetriebe brauchen Lehrlinge

Die Wirtschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz besteht aus vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die die meisten Arbeitsplätze schaffen und für eine Differenzierung des Arbeitsmarktes sorgen. Diesen kleinen und mittleren Unternehmen fehlen mehr und mehr gute Fachkräfte, weil diese abwandern oder studieren.

International haben Deutschland, Österreich und die Schweiz zu wenig Hochschulabsolventen – in Großbritannien sind es zum Beispiel doppelt so viele wie in Deutschland. Dies ist einer der Gründe, warum die Politik versucht, mehr Schulabgänger zu einem Studium zu motivieren. Umgekehrt wird übersehen, dass Deutschland, Österreich und die Schweiz die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit haben, gerade weil sich viele für eine Berufslehre entscheiden. Ob wir dies zu Gunsten einer höheren Quote von Studienabgängern aufs Spiel setzen wollen, ist eine wichtige politische Frage, die in den nächsten Jahren beantwortet werden muss. Viele Politiker argumentieren, die Arbeitslosigkeit trete bei Akademikern weniger auf, auf dem Arbeitsmarkt würden besser qualifizierte Arbeitskräfte bevorzugt.

Das stimmt. Die Folge ist aber, dass Jobs für den gleichen Lohn an Überqualifizierte vergeben werden. Aber das ist volkswirtschaftlicher Unsinn, denn – um es überspitzt zu formulieren – wenn ein promovierter Jurist als Taxifahrer arbeitet, dann hat der Staat eine teure Ausbildung mitfinanziert, die volkswirtschaftlich gesehen keinen Mehrwert schafft (der Staat hat für seine Ausbildung vielleicht 200.000 Euro aufgebracht, die Ausbildung zum Taxifahrer kostet vielleicht 5.000 Euro). Außerdem steht dieser Arbeitsplatz dann nicht mehr weniger gut ausgebildeten Menschen zur Verfügung. Statistisch ist der Akademiker nicht arbeitslos. In meiner Schulzeit wurde eine Berufsausbildung als etwas nicht Anstrebenswertes angesehen. Wir erhielten keine Einführung in die Berufsausbildung und die damit verbundenen Weiterbildungsmöglichkeiten. Die Breite der Berufsausbildungen und die vielfältigen Weiterbildungsmöglichkeiten habe ich erst kennen gelernt, seitdem ich selber an einer Berufsschule unterrichte und in diesem Bereich in Ausbildung bin.

In diesem Zusammenhang höre ich aus vielen Betrieben und von Fachpersonen, dass qualifizierte Fachkräfte fehlen beziehungsweise schwierig zu finden sind. Wer sich also in den nächsten Jahren für eine Berufsausbildung entscheidet und bereit ist, sich anschließend weiterzubilden, der hat sehr gute Berufsaussichten – und gehört, je nach Beruf, zu den gefragtesten Anbietern auf dem Arbeitsmarkt.

Zum Autor: Georg Gusewski unterrichtet Allgemeinbildenden Unterricht (ABU) an einer Berufsfachschule in Münchenstein in der Nähe von Basel und ist Mitwirkender am Philosophicum.