Liebe Leserin, lieber Leser,
wer den Inklusionsbegriff nur weit genug fasst, entdeckt unweigerlich: Unsere Gesellschaft separiert. Für die Kleinsten die Krippen und Kindergärten, für die Alten und Kranken die Altersheime und Krankenhäuser, für die schulpflichtigen Kinder die Schulen, die dann nochmals sortieren und auslesen, schließlich für die sogenannten Behinderten, die heilpädagogischen Einrichtungen. Wo sitzt noch die Großmutter im Lehnstuhl und erfreut sich des familiären Geschehens? Wo darf der »Verwirrte« noch brüllend durch die Straßen laufen, wenn er wieder einen Anfall hat? Selbst dem flüchtigen Blick kann eine gesamtgesellschaftliche Tendenz nicht entgehen: die Ausgrenzung, ja das Verschwinden ganzer Bevölkerungsgruppen aus dem alltäglichen Leben. Es ist ein Lippenbekenntnis, dass es normal sei, verschieden zu sein, soziale Realität ist es nicht mehr, schon gar nicht im öffentlichen Raum.
Andererseits: Kompetente und professionelle Fachkräfte kümmern sich um die spezifischen Bedürfnisse dieser Menschen, denn wir gehen davon aus, dass durch spezialisierte Betreuung und gezielte Förderung am besten für ihr Wohlergehen gesorgt ist. Jeder hat ein Recht auf (seine) Exklusion.
Zwei Fragen scheinen mir in der Inklusionsdebatte jedoch entscheidend zu sein:
Ist aus der Sicht des Kindes und seiner besonderen Bedürfnisse inklusive oder
exklusive Versorgung diskriminierend oder nicht? Eine gemeinsame Beschulung kann die individuellen Bedürftigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten eines Kindes genauso missachten wie eine getrennte. Alle Maßnahmen, die wir ergreifen, können ja nur dem Ziel der größtmöglichen Teilhabe am gesamten sozialen Leben dienen.
Die zweite Frage ist: Wie durchlässig ist das »Angebot«? Kinder entwickeln sich, ob behindert oder nicht, nicht in schulischen oder pädagogischen Schubladen. Wo gibt es gemeinsame Lebens- und Lernbereiche, die weder Behinderte noch Nichtbehinderte überfordern? Wo liegen die Bereiche, in denen sie sich gegenseitig fördern?
Eine gymnasial ausgerichtete Waldorfschule im urbanen Raum wird ohne tiefgreifende personelle, fachliche und räumliche Änderungen nur begrenzte Möglichkeiten bieten können, behinderte Schüler aufzunehmen. Eine integrative Schule auf dem Lande dagegen wird es einfacher haben, allein schon wegen ihres größeren Platzangebotes. Einen guten Kompromiss zwischen dem Recht auf Inklusion und dem Recht auf Exklusion scheinen mir enge Kooperationen zwischen den verschiedenen Schulformen, wenn möglich auf einem Schulgelände, wie es die Parzival-Schulen in Karlsruhe oder das »Waldorfdreieck« Mannheim praktizieren. Sie sind, wie die »Mehrgenerationenhäuser«, auf dem Weg zu einer neuen Gesellschaft.
Aus der Redaktion grüßt
Mathias Maurer