Ankommen

Henning Kullak-Ublick

Diese Migranten, die bis 1945 eine schwäbische Sprachinsel im slowakisch und magyarisch sprechenden Umland bildeten, brachten als ihr vielleicht kostbarstes geistiges Gut die Oberuferer Weihnachtsspiele mit, die bis heute an den meisten Waldorfschulen alljährlich in der donauschwäbischen Mundart aufgeführt werden. Die drei Spiele beginnen alle mit einer etwas spöttischen Verneigung vor der weltlichen und geistlichen Obrigkeit, wenden sich dann aber unmittelbar an alle Menschen. Sie erzählen von der Vertreibung aus dem Paradies, von den Hirten bei Christi Geburt und von der Flucht nach Ägypten. Und während sie von der langen Wanderung der Menschheit aus einer göttlichen Geborgenheit hinaus in die »sinnliche Welt«, durch unendliche Irrungen und Wirrungen hindurch bis zur möglichen Auferstehung jedes einzelnen Menschen handeln, führen sie mitten in unsere Zeit.

Die ersten staunenden Worte des draufgängerischen Hirten Gallus nach der Anbetung des Kindes sind: »Ei, wie is nur dös bewant, dass er geboren is so unbekannt, und leid’t solch Mangel, Frost und Költ und do regiert dö ganze Wölt?« – Darauf Wittok, der Bedächtige: »Dös hat er getan zu dem End, damit sich der Mensch von der Hoffart abwend, und nit an solchen Pracht und Zier, sondern a demüetigs Leben führ.«

Vorausgegangen sind die Worte der Wirte gegenüber der Schutz suchenden Heiligen Familie: »Mei Freind, wo anders eng hi wendt, b’setzt ist schon mei Logament, b’setzt all Zimmer und Gemach, sollichs glabt, wiar-i eng in Woarheit sag.« Und der grobe Wirt: »Was hob i mit eng und engerm Weib z’schaffa? Wer waß, wo ihr seid hergeloffa? I kan von andern Laitn mehr han, als von dir, du loser Bettelman! Packt’s eng ahn Verzug von meiner Tür, macht’s waiter mir ka Unruah hier!« Sind uns die Worte der Wirte nicht allzu vertraut? Wie kann es nur sein, dass diejenigen, die heute am lautesten schreien »Packt’s eng ahn Verzug von meiner Tür!« dies ausgerechnet mit der Rettung unserer christlichen und deutschen Kultur begründen, die sie vor un(ter)menschlichen Einflüssen bewahren wollen?

Gerald Hüther, emeritierter Neurobiologe und Autor des 2018 erschienenen Buches Würde schreibt: »Unsere größten aktuellen Probleme fußen auf einer Beziehungskultur, in der wir uns gegenseitig zum Objekt unserer Bewertungen und Absichten machen.« Die Weihnachtsspiele sind auch deshalb echte Mysterienspiele, weil sie unser wahres Menschsein so scharf damit konfrontieren, was mit uns und anderen geschieht, wenn wir sie nicht mehr als Menschen, sondern als Objekte sehen und behandeln.

Nach der Vertreibung aus dem Paradies sagt der Engel zur verzweifelten Eva: »I wüll eng langsam ruafen wider!« Und als der zu spät gekommene Hirte die anderen fragt, wie weit der Weg denn noch sei, antworten sie: »Bis d’ hinkummst!« – Gute Reise uns allen! Advent heißt Ankunft.