Arbeit an menschheitlichen Aufgaben

Peter Lang

Meine erste Begegnung mit Helmut von Kügelgen fand 1981 im Konferenzraum des Waldorf-Erzieherseminars in Stuttgart statt, als ich mich als Dozent dort bewarb. Von Kügelgen wurde mein Mentor und stellte mir nach einigen Jahren die Frage, ob ich nicht die Leitung der Fachschule übernehmen wolle.

Von Kügelgen wurde am 14. Dezember 1916 in Tallinn/Estland geboren, wohin die in St. Petersburg ansässige Familie während des Krieges zeitweise gezogen war. Sein Vater war Journalist und der Sohn studierte später in Berlin ebenfalls Zeitungswissenschaft und promovierte über die Presse der Russlanddeutschen in Nord- und Südamerika. Über die Schwester seiner späteren Frau Gisela Wassermann lernte er während des 2. Weltkriegs die Anthroposophie kennen, die dann seinen weiteren Lebensweg bestimmte und die von ihm gepflegte christliche Familienkultur, für die seine sechs Kinder zeitlebens dankbar waren und sind. Nach der Heimkehr aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft entschied er sich, Waldorflehrer zu werden.

1947 war er an der Gründung des Verlages Freies Geistesleben beteiligt, übernahm die Schriftleitung der Zeitschrift »Erziehungskunst«, initiierte die Begründung des Freien Jugendseminars in Stuttgart, beteiligte sich aktiv am Wiederaufbau der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland – und war bis 1975 Klassenlehrer an der Freien Waldorfschule-Uhlandshöhe. 1969 begründete er zusammen mit einer Reihe von erfahrenen Pädagogen aus den Waldorfkindergärten in intensiver Zusammenarbeit mit dem »Bund der Freien Waldorfschulen« die »Internationale Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V.« Die Veranlassung zu dieser Gründung war ein bildungspolitischer. Es galt der bis heute noch aktuellen Verschulung des Kindergartens und der Vorverlegung des Einschulungsalters öffentlich entgegenzuwirken. Von Kügelgen bezog Stellung gegen eine Bildungspolitik, die sich ein »Je früher – desto besser«, eine Ökonomisierung der Kindheit auf die Fahnen geschrieben hatte. 1989, als die Mauern fielen, begann eine neue Phase der internationalen Zusammenarbeit von Moskau bis Südkorea und die Türkei. Ein weltweites Netzwerk entwickelte sich.

Helmut von Kügelgen war ein Meister im Gestalten von Begegnungen, getragen von einem tiefen Interesse am anderen Menschen und den großen Entwicklungsfragen der Menschheit. Er nahm klare Positionen ein zu zentralen Zeitfragen wie: Waldorfkrippen, ja oder nein? Seine Antwort: »Ja, aber die Qualitätsfrage bei der Arbeit mit ganz kleinen Kindern müsse allerhöchste Priorität haben.«

Waldorfkindergarten-Seminare und staatlich anerkannte Fachschulen entstanden, in denen Waldorfpädagogen grundständig ausgebildet wurden. Jährlich stattfindende, internationale Tagungen dienten der Begegnung, der Fortbildung sowie der geisteswissenschaftlichen Vertiefung. An diesem Zusammenwirken in Deutschland sowie in vielen Ländern der Welt, war er inspirierend und gestaltend aktiv. Unablässig ermutigte er Menschen, Mitarbeiter zu werden an den, wie er sie nannte »menschheitlichen Aufgaben«. 1998 starb Helmut von Kügelgen in Stuttgart.