Zur Erhebung
Die Befragung wurde im Juni 2015 an den sechs Waldorf-Berufskollegs in NRW [1], sowie an der Emil Molt Akademie in Berlin durchgeführt. Von den insgesamt 347 Absolventen hat jeder Dritte einen auswertbaren Fragebogen zurückgeschickt, so dass damit verlässliche Aussagen über die Einschätzungen aller Absolventen möglich sind.
Die Waldorf-Berufskollegs stellen auch für Schüler aus Regelschulen eine attraktive Alternative dar, denn 48,2% der Ehemaligen sind zuvor Schüler einer Regelschule gewesen. Knapp die Hälfte der befragten Absolventen befindet sich noch in einer weiteren Berufsausbildung, über ein Drittel ist berufstätig.
Motive
Für mehr als 70% der Absolventen waren die praktische Arbeit im Betrieb sowie die fachliche Ausrichtung und das Gesamtkonzept ausschlaggebende Gründe für die Wahl eines Waldorf-Berufskollegs. Die Vereinbarkeit mit der Wohnsituation (für 28,1% voll zutreffend) und der Mangel an Alternativen (für 12,3% voll zutreffend) standen weniger im Vordergrund, so dass im Ganzen intrinsisch-konzeptionelle Motive vorlagen.
Zwei Aspekte wurden besonders hervorgehoben: Zum einen war den Kollegiaten die fachliche Ausrichtung und die praxisorientierte betriebliche Anbindung sehr wichtig, zum anderen wurden die künstlerischen Angebote sowie der Waldorfhintergrund als ausschlaggebend besonders betont. Der letztere Aspekt war für ehemalige WaldorfschülerInnen dabei weitaus wichtiger als für SchülerInnen aus Regelschulen.
Zusammenwirken von Betrieb und Schule
Die Verzahnung von Theorie und Praxis wurde insgesamt als gelungen erlebt, über die Hälfte der Absolventen kann dem sogar voll zustimmen. Die enge zeitliche Verknüpfung und das Aufgreifen von betrieblichen Problemen in der Schule (»didaktische Koordination«) haben dazu offensichtlich beigetragen. Schließlich hat sich auch für mehr als 60% der Absolventen durch die betriebliche Arbeit die Lernbereitschaft in der Schule verstärkt und zu einem besseren Lernprozess geführt. Gut die Hälfte der Absolventen fühlte sich durch die Schule in der betrieblichen Arbeit gut begleitet (»pädagogische Kooperation«). Für ein Drittel traf dies weniger zu, was darauf zurückzuführen ist, dass die Betreuung nur durch individuelle Besuche vor Ort zu leisten ist und die Betriebe oft weit von der Schule entfernt sind.
Bildungswert des Betriebs
Das Ziel der Waldorf-Berufskollegs besteht nicht in einem »training on the job«, um eine Anpassung an den betrieblichen Arbeitsplatz zu erreichen, sondern in erster Linie darin, durch die Verbindung von kognitivem und praktischem Lernen dem ganzheitlichen Ansatz der Waldorfpädagogik gerecht zu werden. Dies heißt aber auch, den Bildungswert der betrieblichen Arbeit in Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung auszuschöpfen.
Insgesamt fühlten sich die Absolventen gut in den Betrieb integriert und nahezu 80% haben ihre Arbeit als sinnvoll erlebt, was nicht zuletzt auf die gute Begleitung einerseits und die gegenseitige Unterstützung von Lernen und Arbeiten zurückzuführen ist. Neben der deutlicheren Berufsperspektive wird von Seiten der Absolventen besonders der Aspekt des »Gebraucht-Werdens« hervorgehoben. Hierin besteht ein ganz zentraler Bildungsaspekt: Das Erleben einer sinnerfüllten Arbeit, die von anderen gebraucht wird, lässt die Kollegiaten sich als gleichberechtigte Partner innerhalb einer Gesellschaft erleben, in der sie anderen – und auch ihren Lehrerinnen und Lehrern – auf Augenhöhe begegnen können. Insgesamt wird von den Kollegiaten im Rückblick ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung ebenso sehr geschätzt wir die gewonnene berufliche Qualifikation und Orientierung. Die Befunde bestätigen, dass diese Stärkung der Persönlichkeit eng mit der Verflechtung von Lernen und Arbeit zusammenhängen und insbesondere mit dem Erleben der eigenen Person als Teil eines betrieblich und sozial sinnvollen Prozesses.
Künstlerischer Ansatz
Nahezu 80% der Kollegiaten halten die künstlerische Arbeit im Berufskolleg für unverzichtbar (nur rund 5% der Waldorfschüler stimmen dem nicht zu!) Insbesondere wird die gemeinsame künstlerische Arbeit mit den Schülern des ABI-Kurses als bereichernd hervorgehoben. Das Gleiche gilt für die gemeinsame Kunstfahrt und für die Theaterprojekte. Für den Eurythmie-Unterricht fallen die Ergebnisse dagegen eher bescheiden aus, nur rund ein Viertel der Befragten gaben an, sich durch den Eurythmie-Unterricht weiterentwickelt zu haben. Innerhalb der Waldorfschüler sind zwar deutlich mehr (40,4%) dieser Auffassung, jedoch sollte dieser Befund Anlass sein, die Unterrichtskonzepte auf die mit unterschiedlichen Vorerfahrungen ausgestattete Kollegiatengruppe besser abzustimmen.
Zufriedenheit mit dem Gesamtkonzept
Die größte Zufriedenheit sprechen die Absolventen hinsichtlich ihrer persönlichen Entwicklung aus, die sie durch ihre Zeit am Berufskolleg erlangt haben. Das gilt wiederum auch besonders für diejenige Gruppe, die vorher nicht mit der Waldorfpädagogik bekannt waren. Daneben wird auch die besondere Gestaltung durch die Waldorfpädagogik als besonders wichtig hervorgehoben.
Die überwiegende Mehrzahl (>80%) gibt weiterhin an, die erworbenen Fähigkeiten im Beruf anwenden zu können. Damit wird der Transfer von Fähigkeiten insgesamt noch etwas höher eingeschätzt als die Vermittlung von Kenntnissen, für die immer noch drei Viertel ihre Zustimmung geben.
Zusammenfassung
Die insgesamt sehr positiven Ergebnisse der Befragung kommen vor allem in den folgenden zentralen Befunden zum Ausdruck:
- Die Kombination von Kolleg und Betrieb ist in einer Weise gelungen, dass Kopf und Hand sich gegenseitig »belehren«.
- Durch die praktische Arbeit im Betrieb ist ein neues Lernverständnis und eine intrinsische Lernmotivation entstanden.
- Die Arbeit im Betrieb ergab für die Kollegiaten einen Sinn, sie wurden anerkannt und haben erfahren, dass sie gebraucht wurden, was ihnen auch eher ein Verhältnis »auf Augenhöhe« zu den Lehrern ermöglichte.
- Die künstlerischen Tätigkeiten haben einen stärkeren »Blick auf sich selbst« ermöglicht und waren zugleich sehr gemeinschaftsfördernd.
- Die Zeit am Berufskolleg hat besonders auch die Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit gefördert.
- Die Kollegiaten haben Lehrer und Betreuer erlebt, die sich um sie kümmern.
- Die persönlichen Kontakte aus der Zeit des Berufskollegs werden gepflegt und von den ehemaligen Absolventen sehr wertgeschätzt.
[1] Dies waren im Einzelnen die Berufskollegs in Bielefeld, , Haan Gruiten und Köln, Schloss Hamborn, St. Augustin sowie an der an der Windrather Talschule