Auf die eigenen Beine kommen – Eurythmie in Thailand

Katja Pinsuwan, Chanok Pinsuwan

Tripath Waldorfschule Bangkok

Die Tripath Waldorfschule liegt am äußersten Rand von Bangkok, mit Blick auf Reisfelder in die eine Richtung und eine mit Smog verhangene Wolkenkratzer-Stadt in die andere. Die Kinder werden morgens um 7 Uhr zur Schule gefahren, damit die Eltern den Weg zur Arbeit noch gerade vor dem Einsetzen des Berufsverkehrs schaffen. Die Eltern wissen ihre Kleinen in guten Händen. Eine große Spielfläche mit Klettergerüsten und Schaukeln aus solidem Holz und das kleine Gemüse- und Blumenbeet laden zum Verweilen ein.

Es gibt neben dem Kindergarten im Eingangsbereich zwei Unterrichtsgebäude. Die säulengestützten Räume bieten großzügig Platz. Dort findet das gemeinsam eingenommene Mittagessen statt. Während unseres Besuches gestalteten die jüngeren Klassen eifrig Blumengestecke zum Muttertag. Mit stillem Fleiß verarbeiteten sie die prachtvollen Blüten.

Zukünftige Bauvorhaben sehen Musik- und Eurythmieräume und eine Bühne vor. Ein Grundstück ist vorhanden, das Geld muss erst noch gespart werden. Im Kollegium gibt es noch wenige Lehrer, die in der Waldorfpädagogik ausgebildet sind. Es ist schon eine ungeheure Herausforderung, eine Schulidee, die ganz am Kind ansetzt, in einem Land umsetzen zu wollen, das Bildung fast einzig zu Karrierezwecken verfolgt.

Im Seminar: Lehrer lernen laufen

Wir sind nun im Norden, 60 Kilometer entfernt von Chiangmai, in Lampoon, in einer ländlichen Gegend. Ein Seminar mit Lehrern, die landesweit in heilpädagogischen Einrichtungen arbeiten, findet statt. Thema ist der Bewegungsablauf des Neugeborenen bis zum Laufen. Die Teilnehmer haben es an sich selbst ausprobiert und in frappierend natürlich wirkender Weise demonstriert. Sowohl die Ausführenden, als auch die Zuschauenden waren emotional berührt, dieses Urbild des »Auf die eigenen Füße Kommens« bewusst nachzuerleben. Die zweite Einheit galt dem Schul- und Jugendalter: Mit Begeisterung und klarer Zielsetzung den Schüler im wahrsten Sinne des Wortes zu bewegen – physisch und emotional. Die Teilnehmer hatten offensichtlich ihre Freude daran, die Bewegung als eine Begegnungsmöglichkeit kennenzulernen. Wir machten Geschicklichkeitsübungen und bewegten uns zu kleinen Gedichten gemeinsam in der Gruppe. Auch die Musik unterstützte uns in heiterer Weise, die Inhalte zu verinnerlichen.

Arbeit mit Gehörlosen

Eine Besonderheit war die eurythmische Arbeit mit einer großen Gruppe von Gehörlosen. Die Gehörlosen-Sprache basiert auf Bewegung. Sie lässt sich hervorragend mit der Eurythmie umsetzen. Die Gehörlosen lernten, mittels der eurythmischen Lautgesten ein Klangerlebnis nachzuvollziehen.

Waldorfschule Chiangmai

Wir sind mit Khun Eh (der Schulgründerin) zur Waldorfschule in Chiangmai gefahren. Die Überraschung des Tages war, dass nach langem Suchen die aus allen Nähten platzende Schule (bisher Klasse 1 bis 4 mit Kindergarten) einen neuen Ort gefunden hat. So gingen wir mit zu dem Grundstück, einem in Stadtnähe gelegenen Platz, gut zu erreichen und mit dem kleinen Wohnhaus darauf gut zu nutzen. Für die Finanzierung des Schulbaus hat sich jemand gefunden, der einen zinsfreien Kredit gewährt. Trotz der positiven Voraussetzungen muss hier noch viel Kraft hineinfließen, damit das Gewünschte Wirklichkeit werden kann.

Drogenentzugszentrum »Baan Meta«

In Djomthong, ungefähr eine Autostunde von Chiangmai entfernt, sitze ich in dem Büro des Drogenentzugszentrums »Baan Meta« (Haus der Gnade). Die Einrichtung ist sehr klar nach dem aktuellen Standard amerikanischer sozialpädagogischer und therapeutischer Strukturen ausgerichtet. Die »Neulinge«, die sich in der Entgiftungsphase befinden, werden – neben der medizinischen Betreuung – den »Älteren« anvertraut. Nach und nach wachsen sie in ein familienähnliches Umfeld hinein, mit rhythmischer Gestaltung des Tages und aufgefächerten Verantwortungsbereichen: Küche, Landwirtschaft, Organisation.

Ich höre von nebenan die Stimmen der jungen Männer, die rhythmische Wurfübungen mit Holzstäben ausführen. Ab und zu fällt ein Stab, von fröhlichem Lachen begleitet.

Während des Entzugs wirken die Betroffenen nicht recht präsent, so braucht es beim Wurf den Mut des Loslassens und beim Auffangen die nötige Wachheit. Beide Fähigkeiten werden ganz neu geübt. Es kommen heileurythmische Übungen hinzu, die die Vitalkräfte anregen sollen.

Die Eurythmie überbrückt Distanz

Montfort ist eine renommierte christliche Schule. Wir werden nicht nur das Kollegium, sondern überraschenderweise auch die Klassen 7, 8 und 9 unterrichten.

Die Schüler wussten anfangs nicht, was von ihnen erwartet wurde. Einige wurden frech, andere blieben verhalten. Sie merkten jedoch rasch, dass es in der Eurythmie um ein tatsächliches Zusammenarbeiten geht und jeder mitmacht. In ihrem normalen Schulalltag herrscht viel Distanz zwischen Unterrichtenden und Schülern. Die Hinwendung zu den Kindern und die direkte Ansprache über die Eurythmie ermöglichten ein zunehmend konzentriertes Arbeiten – etwas, das viele Kollegen hier als Mangel beklagen. Da die Eltern oftmals viel arbeiten, um ihren Kindern den Besuch einer Privatschule zu ermöglichen, kommt es im häuslichen Bereich häufig zu Vernachlässigungen. Die Großfamilien, die noch vor einer Generation existiert haben, sind der Landflucht zum Opfer gefallen. Die ursprünglichen Dorfstrukturen fangen die Kinder nicht mehr auf. Ein großer Erwartungsdruck lastet auf den Kindern. Auffällige Kinder werden medikamentös behandelt. Die Lehrer antworten frei auf unsere Fragen und reagieren dankbar auf unsere Anmerkungen. Jemandem von außen ist es erlaubt, Gegebenes zu hinterfragen. Die vor Ort Tätigen mögen die gleichen Fragen haben, äußern sie aber nicht.

Entgegen gegenteiligen Äußerungen konnten wir bei den Kindern einen tatsächlichen Lernwillen und – nach anfänglichen Bewegungsunsicherheiten – ein großes Geschick bemerken. Ihre rasch entgegengebrachte Offenheit ließ uns unmittelbar in ein gemeinsames Tun einsteigen.

Zu den Autoren: Katja Pinsuwan ist Eurythmistin an der Rudolf Steiner Schule in Siegen und Chanok Pinsuwan ist selbstständig als Eurythmietherapeut tätig.