Auf Sendung

Franz Glaw

Wenn es um das Thema »Medien und Waldorfpädagogik« geht, werden in der Regel die Wirkungen der Medien auf den Konsumenten betrachtet. Viel seltener wird die Frage aus der Perspektive der Produzenten beleuchtet. Dabei ist es in anderen Bereichen des Unterrichts selbstverständlich, dass etwa Musik nicht nur angehört und analysiert, sondern auch gemeinsam »hergestellt« wird. Am Beispiel des Mediums Radio zeigt der Deutsch- und Mathematiklehrer Franz Glaw, dass es auch hier Möglichkeiten gibt, Schülern zu eigenen Erfahrungen zu verhelfen, um so ihre Basis für die eigene Urteilsbildung zu erweitern.

Kinder Radio Kanal in Gladbeck

An der Freien Waldorfschule Gladbeck initiierte Jana Magdanz, Schulmutter und Mitarbeiterin beim Kinderradio des WDR, gemeinsam mit den Klassenlehrerinnen der 4. und 5. Klassen einen Besuch des Projekts KIRAKA (Kinder Radio Kanal). Diese Sendung wird täglich von 14.05 bis 15.40 Uhr ausgestrahlt. Außerdem wird an jedem Donnerstag live aus einer Schule berichtet, an der dazu ein großer Ü-Wagen vorfährt.

Die Schüler führten Interviews mit Musikern. Sie musizierten gemeinsam und schrieben eine Geräuschegeschichte. Für die Kinder war das ein so intensives Erlebnis, dass sie zum Teil vergaßen, dass live gesendet wurde. Es gab Kindernachrichten, die von den Kindern selbst vorbereitet wurden. Sie schrieben die dazugehörigen Texte und präsentierten sie im Laufe der Sendung. Sie diskutierten intensiv, welche Beiträge wichtig sind und in welcher Form und in welchem Umfang sie den Zuhörern präsentiert werden können.

Ganz nebenbei erhielten die Hörer auch einen wunder­-baren Eindruck von der Gladbecker Schule. Der Schule entstehen durch einen solchen Radiotag keine Kosten.

Die Journalisten führten die Kinder durch den ganzen Tag, in den auch Pausen eingebaut werden. Im Anschluss an eine solche Aktion bieten sich dann immer viele Anlässe, Medien altersgemäß zu besprechen.

Nachwuchsreporterinnen in Düsseldorf

An der Rudolf Steiner Schule Düsseldorf bildete sich eine Projektgruppe von Schülerinnen der 9. Klasse, die unter dem Eindruck ihres Landwirtschaftpraktikums eine Radiosendung produzieren wollten. Dabei sollten die Themen »Massentierhaltung«, »Biofleisch« und »Vegetarismus« behandelt werden.

Die erste Station der Recherche war der Bioladen auf dem eigenen Schulgelände. Hier stellten die Nachwuchsreporterinnen ihre Fragen sowohl den Kunden als auch der Inhaberin. So erfuhren sie, dass das Fleisch, das hier verkauft wird, von der Biometzgerei Jansen in Köln geliefert wird. Unverzüglich folgte ein Telefonat mit charmanter Überzeugungskraft, und am nächsten Tag erhielt die Gruppe eine exklusive Führung durch den Betrieb vom Chef persönlich, der mit viel Humor und kölschem Temperament und Zungenschlag von seiner 30-jährigen Tätigkeit als Bio-Metzger berichtete. Interviews mit Kunden, die Geräuschkulisse im Verkaufsraum samt Glöckchen an der Tür und vor allem das markante Lachen Marke Jansen lieferten knapp zwei Stunden lebendiges Tonmaterial. Zudem kam von Herrn Jansen auch die Adresse für den nächsten Ort der Recherche: der Bio-Bauernhof, auf dem die Tiere leben, bevor sie geschlachtet und in Hälften zerlegt die Metzgerei erreichen.

Wieder bewirkte die Argumentationskette Landwirtschaftspraktikum-Projektwoche-Radiosendung ein kleines Wunder und ermöglichte den Schülerinnen am folgenden Tag einen umfassenden Einblick in die artgemäße und gesunde Tierhaltung, wobei der Landwirt und Betriebsinhaber auf alle Fragen geduldig und geradezu philosophisch einging. Anschließend hörten die Schülerinnen das Material ab, sie schnitten verwendbare Soundclips heraus und speicherten sie. Außerdem machte eine Gruppe noch Interviews auf einer belebten Einkaufsstraße mit Kunden einer konventionellen Metzgerei und eines Bio­ladens.

Wie bei allen anderen Interviewpartnern zeigte sich auch hier, dass die Ängste und Sorgen der 14-Jährigen gänzlich unbegründet waren: Alle Angesprochenen reagierten freundlich und gaben bereitwillig Auskunft. Und ob es an dem Equipment lag (Aufnahmegerät, Kopfhörer, Mikrofon) oder an der Kompetenz der Fragesteller: Die Interviewpartner behandelten die Nachwuchsreporterinnen mit großem Respekt, was deren Selbstbewusstsein stärkte und sie, fast äußerlich sichtbar, wachsen ließ.

Das Radio verschaffte den Schülerinnen Zugänge zu Orten, Themen und vor allem auch zu Menschen, die ihnen ohne dieses Medium kaum offen gestanden hätten.

Die Wirklichkeit wird gestaltet

Eine weitere, völlig neue Erfahrung stand an, als es darum ging, aus dem knapp fünfstündigen Tonmaterial eine Radiosendung zu gestalten. Zunächst war unmittelbar klar, dass man dem Hörer nicht diese fünf Stunden komplett und unkommentiert zumuten konnte. Es musste also vor allem eine radikale Auswahl getroffen werden. Dann galt es, Kommentartexte zu verfassen und fehlerfrei und verständlich im Tonstudio einzusprechen. Dabei benötigten die Schülerinnen sprachliches Geschick und Einfallsreichtum, um dem Hörer das vor Augen zu führen, was er naturgemäß nicht selbst sehen kann. Als Anfangssequenz sollte eine Szene im Verkaufsraum der Metzgerei Jansen zusammengeschnitten werden. Wir mischten dazu auf verschiedenen Tonspuren das heruntergepegelte Gespräch zwischen Kunden und Verkäuferin an der Ladentheke, Gespräche von wartenden Kunden (sogenannte Athmo), das Lachen von Herrn Jansen, mehrfach das Klingeln des Türglöckchens und schließlich den darüber gesprochenen Kommentartext, in dem erläutert wird, wo wir uns befinden und mit wem wir jetzt worüber sprechen werden.

Diese Montagetechnik löste bei einigen Schülerinnen großes Erstaunen und die Spontanäußerung »Aber das ist ja Manipulation!« aus. Schnell war aber klar, dass ein Radiofeature im Prinzip so produziert werden muss. Eine ungefilterte und vollständige Wiedergabe der Realität ist schlechterdings nicht möglich.

Die Verantwortung der Medienschaffenden

Der Produzent der Radiosendung muss also auswählen, arrangieren und kommentieren – es geht gar nicht anders. Er präsentiert seine Sicht auf einen Ausschnitt der Wirklichkeit und verwendet dazu in dieser Lebensvielfalt gesammelte Eindrücke. Dafür braucht er ein Konzept, ohne das er keine Kriterien für die Auswahl hätte. Entscheidend ist allerdings die Frage, wie gewissenhaft dieser Produzent arbeitet und wie unabhängig und aufrichtig er im Hinblick auf seine Absichten ist.

Einen entscheidenden Unterschied macht es, ob man den Schülern diese Tatsache abstrakt vermittelt, oder ob sie sie durch eigenes Tun erleben. Durch das eigene Produzieren in einem realen Kontext wird ihnen einerseits die Verantwortung der Medienschaffenden bewusst, andererseits können sie die eigene Mediennutzung in den Zusammenhang einordnen, dem die Medieninhalte entnommen wurden, und kritisch reflektieren.

Auf Sendung im Lokalfunk

Es war kein Scherz: Die Schülerinnen wurden einige Wochen später in das Tonstudio des Lokalsenders eingeladen, um eine einstündige Sendung zu unserem Thema zu prodizieren. Jetzt wurde es ernst und entsprechend groß war die Aufregung. Die jungen Medienschaffenden brachten ausgewählte O-Töne aus ihrer Produktion mit, in wechselnden Besetzungen antworteten sie in der kleinen Tonkabine auf die Fragen der Moderatorin. Da es sich nicht um eine Livesendung handelte, konnten nachträglich die Schnitzer ausgebessert werden.

Nach der Ausstrahlung gab es das größte Lob: 13.-Klässler hatten zufällig die Anmoderation der Sendung gehört und blieben bis zum Ende am Empfänger.

Zum Autor: Franz Glaw ist Lehrer für Deutsch und Mathematik.