Mit Herz und Verstand gegen Hänseleien. Deutschlandweites Schüler-Streitschlichter-Treffen in Marburg zum Thema Mobbing

Anke Bäumker

Viele der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler hatten Mobbing beobachtet oder sogar im direkten Umfeld erfahren. Mobbing erschreckt und macht erstmal hilflos. Durch die Vorträge von Angelika Ludwig-Huber aus Karlsruhe und durch Übungen, die die Auswirkungen und gefühlten Ausweglosigkeiten in Mobbingsystemen deutlich nachvollziehbar machten, konnten wir erkennen, dass es nicht hilfreich ist, in Opfer-Täter-Kategorien zu denken. Die Bedürfnisse sind der Schlüssel zur Auflösung der Situation. Was bedeutet das konkret? Jeder Mensch hat elementare Bedürfnisse, zum Beispiel nach Aufmerksamkeit, nach Wirksamkeit, nach Wertschätzung. Wenn diese Bedürfnisse nicht erfüllt werden, wenn Menschen sich nicht gesehen, nicht geachtet fühlen, fangen sie an, an sich zu zweifeln und verlieren nach und nach ihre Selbstsicherheit. Das kann zu extremen Verhaltensweisen führen – und die sind nicht ge-prägt von besonnenen, souveränen Entscheidungen, sondern von Angst und Stress. Diese Angst engt das eigene Gefühlsleben und das Verhaltensrepertoire ein und verstellt den Blick für die Umwelt. Sich »tot stellen«, flüchten oder angreifen sind typische Angstreaktionen. Wenn man hinter die Kulissen schauen kann, wird man diese ungestillten Bedürfnisse finden. Nicht nur beim Mobbing-Geschädigten, sondern auch beim sogenannten Täter, der durch die Schikane auf schreckliche Art versucht, seine Bedürfnisse zu befriedigen.

Durch eine einfache, sinnvolle Abfolge von Schritten kann dieses Reaktionsmuster durchbrochen werden:

• offene Ohren und Augen für die Betroffenen. Es geht nicht um Sanktionen und Strafen, sondern darum, einen geschützten Rahmen zu bieten. Wer Mobbing erleidet, braucht sicheren Rückhalt ebenso wie derjenige, der mobbt. Allerdings: Zuhören heißt nicht zustimmen!

• Jede Form von Gewalt wird sofort unterbunden in Form einer klaren Ansage an den Ausübenden. Klarer Hinweis, dass man gemeinsam heraus finden will, was zu diesem Verhalten geführt hat.

• Behutsame Auflösung eingefahrener Rollenmuster und Verstrickungen. Nichts in diesem Prozess darf ohne die Zustimmung desjenigen, der sich der Gewalt ausgesetzt sieht, geschehen. Er muss wissen, wo die Arbeit steht, um Vertrauen in den Prozess und absolute Sicherheit zu haben.

• Empathie fördern und gemeinsam lernen, die Situation neu zu gestalten.

• Das Umfeld mit einbeziehen, es stärken und sensibilisieren. Das bedeutet nicht das Ende eines gelösten »Mobbing­falles«, sondern jetzt beginnt erst die eigentliche Prävention!

Website für Betroffene

Derart mit Grundlagenwissen ausgestattet, landete ich in der Arbeitsgruppe »Internetauftritt«. Na, mal gucken, was die Jungs da vorbereitet haben, denke ich mir. Unglaublich: Da steht schon ein durchdachtes Konzept mit ersten Vorschlägen für das Layout. Wir diskutieren eifrig und wägen unterschiedliche Aspekte ab. Ansprechen wollen wir Jugendliche in ganz Deutschland, die Unterstützung suchen. Ob sie nun Informationen darüber suchen, was Mobbing überhaupt ist und wie man es erkennen kann, oder ob sie in Konflikte oder Mobbing involviert sind und jemanden suchen, der ihnen vermittelnd zur Seite steht. Fragen werden bewegt, zum Beispiel: Wie garantieren wir, dass Mobbing-Betroffene schnell und kompetent beraten werden? Was ist technisch möglich und wo grenzen wir uns ausdrücklich von anderen Foren und Gemeinschaften im Netz ab?

Worte allein reichen nicht

Natürlich kann man Mobbing beschreiben und erklären – mit vielen Worten und Umschreibungen, mit Beispielen und erschreckenden Statistiken. Doch welche Ausmaße Mobbing annehmen kann, wie jemand unter den vielen alltäglichen, kleinen und großen fiesen Situationen leiden kann – das versuchen die Kongressteilnehmer in eindrücklichen Filmsequenzen darzustellen. Diese kurzen Videos sollen den Internetauftritt bereichern und plastischer machen, um was es bei Mobbing geht. In allen Arbeitsgruppen wurde fieberhaft gearbeitet – doch fertig geworden sind wir mit unseren Projekten noch nicht. Ein Glück, dass der nächste Kongress, dank der großen Nachfrage, schon vor der Tür steht. Organisiert hat den Kongress der Verein INTEResse e.V. in Kooperation mit der Waldorfschule Marburg. Seit etwa drei Jahren kümmert er sich vor allem darum, die Arbeit von Schülerstreitschlichtern an (Waldorf-) Schulen durch Aus- und Fortbildung zu ermöglichen und zu fördern.

Weitere Informationen unter: www.INTEResse-ev.de