Morgen kommt der Weihnachtsmann

Bernd Kettel

Bis zu zwölf Rentiere besitzt er angeblich, dazu einen Schlitten, mit dem er durch die Luft sausen kann und außerdem eine Spielzeugfabrik am Nordpol. In der Vorweihnachtszeit begegnet man ihm überall in den Einkaufsstraßen und Geschäften, auf Plakaten und in Schaufensterdekorationen. Weniger bekannt ist, dass der Schweizer Nikolaus im Schwarzwald wohnt, während der niederländische »Sinterklaas« mit einem Dampfschiff aus Spanien anreist.

Fragt man bei Erwachsenen oder Schülern nach, wer denn eigentlich der Weihnachtsmann sei, so verwechseln ihn manche mit dem Bischof Nikolaus von Myra in Kleinasien, der am sechsten Dezember kommt, aber die meisten haben gar keine Ahnung, um wen es sich da handeln könnte. Das Christkind kann es ja nicht sein, das soll ja erst in der Heiligen Nacht zur Welt kommen. Ist ja aber auch egal, Hauptsache, die Kinder haben Spaß. Das mit der Rute war früher ein gewisses Problem, wenn der Weihnachtsmann prüfte, ob die Kinder auch brav waren. Ich kann mich aus meiner Kindheit noch an Namen wie »Knecht Ruprecht« oder »Pelzmärtel« erinnern, die alle mit dem Weihnachtsmann zu tun hatten und irgendwie bedrohlich waren.

Man kann den Weihnachtsmann natürlich googeln. Da findet man bei Wikipedia zum Beispiel, dass er als Symbolfigur für weihnachtliches Schenken gesehen wird, »die vor allem in Nord-, Mittel- und Ostdeutschland sowie in der übrigen Welt besonders in evangelisch geprägten Regionen, wie in der französischsprachigen Westschweiz (Père Noël), den Niederlanden, Skandinavien, Großbritannien und den USA populär ist«. Postkarten aus dem neunzehnten Jahrhundert beweisen, dass er damals schon existiert hat. »Angeblich bringt der Weihnachtsmann ›braven‹ Kindern an Heiligabend (in der Nacht zum 25. Dezember) Geschenke, den ›bösen‹ hingegen bloß eine Rute«. Man erfährt da auch, dass die Coca-Cola Company seit 1931 den Santa Claus für Werbezwecke nutzt. Fälschlicherweise wird dieser Firma die Erfindung des knallroten Kostüms mit dem weißen Pelzbesatz zugesprochen. Coca Cola hat es jedoch nur populär gemacht. In Wahrheit existierte dieses standardisierte Kostüm schon früher.

Aber nochmals die Frage: Wieso Weihnachtsmann? Was hat diese Gestalt mit der Weihnacht zu tun, die doch das Fest der Christgeburt ist? Weiter unten in dem Wikipedia-Artikel findet sich der interessante Hinweis, dass »im nördlichen Europa seit alters her eine Gestalt existiert, die mit Rute und Nüssen die Menschen auf die lange Winterszeit vorbereitet. Die Rute galt dabei als Fruchtbarkeitssymbol, die Nüsse als gehaltvolle und haltbare Nahrung. Dieser bärtige alte Mann war in einen langen braunen Winterpelz mit Kapuze gekleidet und fuhr auf einem Rentierschlitten, sein Wohnort war Lappland. Man geht davon aus, dass hier noch Elemente des nordischen Gottes Odin sowie des Gottes Balder enthalten waren.«

Da uns diese Frage auch im Unterricht beschäftigte und die Zeit der Wintersonnenwende bevorstand, erzählte ich meinen Viertklässlern folgende Geschichte, die gut in den Rahmen der altgermanischen Götter- und Heldensagen passt:

»Zur Zeit des kürzesten Tages und der längsten Nacht beginnt der Winter. Der Beginn des Winters bedeutet aber, dass nun die Tage wieder länger und die Nächte kürzer werden. Es ist also der Winter nicht die dunkle Jahreszeit, wie vielfach geglaubt wird, sondern es ist die Zeit, in der das Licht wieder in die Welt kommt und die Finsternis langsam, aber sicher weichen muss. Die alten Germanen glaubten fest daran, dass in der Winterweihnachtszeit der Gott Odin unterwegs war, um zu sehen, wie es den Menschenkindern geht. Kinder, die in dieser Zeit geboren wurden, segnete er. Sie waren dazu ausersehen, große Krieger und weise Häuptlinge zu werden, Prophezeiungen, die in dieser Zeit gemacht wurden, ließ er in Erfüllung gehen. Klopfte in dieser Zeit ein Wanderer an die Tür, so wurde er gerne eingelassen und bewirtet, denn es konnte ja möglicherweise Odin sein.«

Auch wenn ich nicht beweisen kann, dass es genau so gewesen ist, erscheint es mir immer noch plausibler, als all der Kitsch, der in der Vorweihnachtszeit unsere Sinne bombardiert.

Zum Autor: Bernd Kettel Jahrgang 1949, seit 1979 Klassenlehrer an der Freien Georgenschule Reutlingen; www.freie-georgenschule.de