Waldorfschule daheim. Ein Erfahrungsbericht aus Amerika

Eva Meilaender

Herzlich willkommen in unserer Heimschule, die vorwiegend im Wohn- und Esszimmer stattfindet! Wir sind eine siebenköpfige deutsch-amerikanische Familie im Staat New York: mein Mann Peter, Professor für Politikwissenschaft an einem kleinen christlichen College, ich, seine Frau Eva, eine ehemalige Dozentin für Deutsch an der University of Notre Dame, und unsere fünf Kinder.

Nachdem ich in Deutschland die Waldorfpädagogik in einem Kindergarten kennengelernt hatte, erzogen wir unsere Vorschulkinder in diesem Sinn. Deshalb lag es nahe, Waldorferziehung auch im Schulalter weiterzuführen. Als wir dann vor fast neun Jahren eine Schule für unseren Sohn Jonathan finden mussten, fiel unsere Wahl nach reiflicher Überlegung auf Homeschooling. Immer mehr Familien in den USA unterrichten ihre Kinder zu Hause. Als Homeschooler unterliegt man den Richtlinien des eigenen Bundesstaates und Schulbezirks. Zu Beginn des Schuljahres müssen wir bei der Behörde einreichen, was wir unterrichten und welche Materialien wir benutzen wollen. Es gibt vorgeschriebene Fächer und Inhalte und eine zu absolvierende Stundenzahl. Die Unterrichtsmethoden stehen jedoch frei. Jedes Quartal schickt man ein Zeugnis an die Schule. Am Ende des Schuljahres schreiben die Eltern für die jüngeren Schüler einen Beurteilungsbericht, ab der 4. Klasse nehmen die Kinder an nationalen, standardisierten schriftlichen Prüfungen teil.

Aber wie schafft man das, ohne in ein Waldorflehrerseminar gegangen zu sein? Meine größte Hilfe, neben den Lehrplänen von Karl Stockmeyer und Tobias Richter sowie der Kunstdidaktik von Thomas Wildgruber, stammt von »Live Education!«, einer Gruppe ehemaliger Waldorflehrer, die Eltern beim Waldorf-Homeschooling mit Unterrichtsmaterial und mündlicher und schriftlicher Beratung bei der Epochen-Planung weiterhilft. Im Internet (www.live-education.com) tauschen wir Eltern uns aus und in Sommerkursen können wir uns in der Praxis üben. Nach unserer Spielgruppenzeit haben wir weiterhin Kontakt zur – leider 80 Kilometer entfernten – Aurora Waldorf School und erhalten von dort Anregungen und Hilfen.

Bei jeder neuen Epoche greife ich natürlich auf meine eigene Erziehung zurück, doch muss ich auch einiges neu oder besser lernen, um es meinen Kindern zu vermitteln. Das ist eine große Herausforderung, doch gerade, wenn meine Kinder sehen, dass ich mich manchmal auch mühen muss, ist das eine wichtige Lektion für sie. Außerdem macht es großen Spaß, Dinge neu zusammen zu entdecken.

Ein typischer Tag in unserer »Schule« besteht aus gemeinsamem Haushalt, aus Freizeit und Lernzeit. Wir beginnen mit einem Kreisspiel, gefolgt von zwei separaten Epochen am Morgen und einer am Nachmittag.

Während Miriam ein Bild von Noahs Arche in ihr Heft malt, nachdem ich ihr diese Geschichte erzählt habe, lernen Jonathan und Charlotte selbstständig englische Grammatik und üben Flöte. Die Kleinen, Veronika und Flora, stellen aus Tannenzapfen, Samen und Erdnussbutter Vogelfutter her. Später macht Charlotte mit Jonathans Hilfe und einem Seil draußen Messübungen zur mysteriösen Zahl »Pi«.

Anschließend berechnet sie den Umfang mehrerer Kreise an der Tafel. Nachmittags macht Jonathan ein Physikexperiment. Die Erkenntnisse daraus schreibt er ins Heft, während die anderen Fremdsprachen (Deutsch, Französisch, Latein oder Griechisch) üben. Mit meinen Kindern spreche ich Deutsch, auch in unserem Unterricht. Nach dem Kaffeetrinken spielen die Kinder draußen, auch gehen sie in die Bücherei, zum Ballettunterricht, zum Fechten, Turnen oder Baseball. Abends wird meist gelesen, gespielt oder es stehen Handarbeiten und Werken auf dem Programm.

»Ja, aber wie lernen die Kinder denn andere Kinder kennen?« oder »Wie können sie sich im Leben behaupten oder in die Gesellschaft einfügen?« Diese Fragen hören wir öfter. Die Kinder nehmen nicht nur an Ballet- und Sportgruppen teil, sie treffen sich auch mit anderen Homeschoolern zu gemeinsamen Ausflügen, zu Natur-, Spiel-, Sport- und Musikveranstaltungen. Sie engagieren sich in der Kirche und in einem Altersheim. In einer Privatschule am Ort nehmen sie an Theateraufführungen teil. Sie sind offen gegenüber anderen Kindern und haben Freundschaften geschlossen. Vor allem aber haben sie eine sehr gute Beziehung untereinander entwickelt. Sie helfen sich gegenseitig beim Lernen, und meine Rolle als Lehrerin kann immer weiter in den Hintergrund treten.

Unser Erziehungsweg kann nicht alles bieten, was eine Waldorfschule bietet, zum Beispiel Eurythmie, doch viele Waldorfimpulse lassen sich auch zu Hause verwirklichen. Die amerikanischen öffentlichen und privaten Schulen sehen sich vor viele Probleme gestellt, von Gewaltauswüchsen bis hin zu Kürzungen im Fächerangebot – besonders im musischen und künstlerischen Bereich. Schon im Kindergartenalter werden die Jungen und Mädchen immer öfter vor den Computer gesetzt. Hier im Staat New York ist die Einführung der Schreibschrift nicht mehr verbindlich und viele Schulen füllen diese Freiheit mit dem Computer. Die Einbeziehung des ganzen Menschen (Geist, Gefühl und praktisches Tun) steht nicht auf dem Programm, da geht es meist nur darum, die bundesstaatlich vorgeschriebenen Normen zu erreichen. Eine enge Beziehung zur Natur fehlt so gut wie ganz, da amerikanische Schulen immer weniger Pausen und Zeit zum Draußen-Spielen einplanen.

Unser Wunsch ist es, mit der Waldorfpädagogik die Kinder dabei zu unterstützen, einmal bewusst ihren eigenen Weg zu finden und in der Gesellschaft Zeugnis von dem Guten, Wahren und Schönen in der Welt abzulegen. Diese Hoffnung, die auch ein Hauptanliegen Rudolf Steiners war, drückt sich in unserem täglichen Abschlussspruch aus, den wir gemeinsam aufsagen:

»My work is done and now may rest,
What I have learned may it be blessed
And make me strong to work with love
For earth and man and God above.«

Link: www.untroddenpaths.blogspot.com