Offenbares Geheimnis

Von Ute Hallaschka, Januar 2022

Es sind die Blicke. Die Blicke dieser porträtierten Kinder, die den Betrachter treffen. So eindringlich, so ernsthaft so ganz bei sich und damit sprechend – unendliche Geschichten erzählend.

Das sind die inspirierenden Fotos von Christiane von Königslöw, die in einer Ausstellung »Die erstaunliche Welt der kleinen Kinder« in der Nikodemus Kirche in Herdecke vom Oktober bis Dezember 21 präsentiert wurde. Zwei Folgeausstellungen sind im nächsten Jahr geplant aus dem Nachlass – Christiane von Königslöw verstarb im Januar 21. Es ist diesem Bildwerk von Herzen zu wünschen, dass es weithin gesehen wird.

Womit man hier konfrontiert wird, das fasst auf geheimnisvolle Weise ein Jahrhundert Zeitgeschichte. Ich kenne solche unmittelbare Anschauung der Seele der Porträtierten eigentlich nur aus den Anfängen der Fotografie. Doch was hier ersichtlich wird – die Kraft der Begegnung, die zugleich innig, zärtlich und wuchtig ist, stammt aus der Gegenwart. Rund zehn Jahre alt sind die Aufnahmen aus der Kinderoase der Fotografin. Dies war ein privater Kindergarten, den sie in ihrem Wohnhaus, der zauberhaften Villa Kunterbunt, 15 Jahre lang geführt hat. Danach wurde es zum Mal- und Spielort, eine Phantasie Werkstatt. Aus der Malarbeit mit den Kindern entstand das Buch »Der Engel – das bin ich« (Verlag Freies Geistesleben). Neben den Engelbildern der Kinder finden sich darin ihre kindlich weisen und originellen Kommentare. Hier nun der fotografische Blick von außen auf das Geschehen. Darin knüpft Christiane von Königslöw an eine frühere biographische Zeitspanne an.

Sie wurde in jungen Jahre als Fotografin ausgebildet und arbeitete im Atelier ihrer Mutter, der Künstlerin Annelise Kretschmer, deren Werk aktuell wiederentdeckt und gefeiert wird. Sie gehörte zu Zeiten der Weimarer Republik zu den wenigen Frauen, die professionell arbeiteten. Im Kreis des »Neuen Sehens« entwickelte sie ihren unverwechselbaren Stil der Porträtfotografie. Ab 1933 begannen die Anfeindungen, da sie einen jüdischen Vater hatte und so musste sie 1938 ihr Studio schließen. 1950 kehrte sie nach Dortmund zurück und eröffnete das Studio neu, das sie ab 1958 gemeinsam mit ihrer Tochter Christiane betrieb. Der Stil ihrer Arbeiten wird deutlich am folgenden Zitat. Aus dem Ausstellungskatalog 1982, Folkwang Museum Essen, Anneliese Kretschmer: »Bei einem guten Foto ist die Idee in die Wirklichkeit und die Wirklichkeit in die Idee erhoben.«

Diese Kunst der gegenseitigen Erhebung ist es, die zum Brennpunkt der Zukunft wird. Was die Fotos von Christiane von Königslöw zeigen ist ein Welt- und Menschenbild, das uns verloren zu gehen droht. Stichwort: Selfie! Was wird aus den Seelenkräften der imaginativen Phantasie der Kinder, aus der Gedächtnisbildefähigkeit der Erinnerung? Nun daraus wird eben das, was im buchstäblich vorbildlichen Verhalten des Erwachsenen liegt. Wie sollen Kinder sich anders sehen, als so wie sie gesehen werden? Wenn wir weiter draufhalten in Knips, like und Wischelmanier, wenn wir weiter täglich unendlich entstellte, verzerrte Ab- und damit entsprechende Nachbilder des Menschlichen produzieren und arrangieren! Aber es reicht nicht die Augen zu schließen und auszublenden. Wie unser Blick Reinigung und Kultivierung – Erhobenheit im besten Sinne – erfährt, das vermitteln diese Fotografien.

Neben den Blicken sind es die Gesten, der ins Spiel vertieften Kinder, die in so besonderen Momenten und Bildausschnitten erfasst werden, dass man förmlich sprechende Gliedmaßen sieht. Diese Abbildungen stammen aus dem Tempel des Innern kleiner Kinder. Darum sind sie auch weniger eingefangen als vielmehr freigesetzt. Es ist erschütternd für die erwachsene Betrachtung dieser Unbefangenheit von Lebenskraft zu begegnen. Oder wie Rainer Maria Rilke zur Wirkung des Kunstwerks sagt: » ... denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.«

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