Funkenflug ist eine Bildungsbewegung, die aus Einzelnen und kleinen Gruppen besteht, die auf individuelle Weise den Weg zu einem besseren (Bildungs-)System suchen. Aus engagierten Menschen, die die Verantwortung nicht abgeben, sondern selbst etwas verändern wollen, die ihre Träume zu verwirklichen versuchen, um diese Welt schöner zu gestalten.
Ich hatte bereits über die Freie Uni Stuttgart, die Universidee, etwas über Funkenflug und das Laufen erfahren, was sich für mich sehr spannend und nach einem großen Abenteuer anhörte. Als ich etwa ein halbes Jahr später in Berlin war, war dort zufällig zur gleichen Zeit ein Funkenflugvorbereitungstreffen, zu dem ich für ein paar Stunden ging. Dort verstand ich das Ganze erst richtig und entschloss mich dazu, mitzulaufen.
Ich hatte mich oft gefragt, wieso laufen? So richtig klar wurde es mir erst während des Laufs. Wenn man läuft, ist alles in Bewegung, nicht nur dein Körper, sondern auch deine Gedanken, was dir unglaublich viel hilft, um über alles, was dich gerade beschäftigt, intensiv nachzudenken. Du begegnest vielen Menschen, die dich ansprechen, was du denn gerade da tust und andere sprichst du selbst an, um nach dem Weg zu fragen, dadurch kommt man ins Gespräch und schon fliegen einige Funken. Aber erstmal von vorne.
Nacktschnecken – von Leipzig nach Delitzsch
Meine Reise zu Fuß nach Berlin begann direkt von einem Festival am Schladitzer See in der Nähe von Leipzig. Dort traf ich mich mit zwei weiteren Funkenfliegern, die ich noch nicht kannte. So waren wir eine kleine Gruppe, die gemeinsam startete, ohne sich zu kennen. Als wir losliefen, endete unser erster Weg mitten in einem Kornfeld, durch das wir uns dann erstmal durchkämpfen durften, mit dem Versuch möglichst wenig zu zerstören.
Hinter dem Feld machten wir Pause, um ein wenig zu essen. Dann mussten wir über ein zweites Feld, doch hier lag das ganze Korn auf dem Boden. Es sah aus, als hätte es sich schlafen gelegt. Es war auch nicht geknickt oder abgeschnitten, es lag einfach da und es krochen verdammt viele Nacktschnecken darauf herum, was für mich als Barfüßler eine große Überwindung war. Danach kamen wir wieder auf einen Weg, an einem Waldrand entlang und kurz darauf sahen wir die ersten Häuschen von Delitzsch, das für heute unser zu Hause sein sollte. In Delitzsch waren die Straßen fast ausgestorben, es dämmerte auch schon, aber so wenig Menschen an einem warmen frühen Abend, das war trotzdem etwas seltsam. Wir suchten nach einer Pfarrgemeinde, da wir von anderen Funkenfliegern gehört hatten, dass man dort schnell Unterschlupf finden könne, doch wir fanden keine. Da wir richtig müde waren, beschlossen wir, hinter einer Kirche im Park zu schlafen. Es war eine sternenklare Nacht, die sehr schön, aber leider auch sehr kalt war.
Landkarte und Erdbeerfeld – Bad Düben
Aufgewacht sind wir dann am nächsten Morgen, da uns jemand Hilfe anbot. Wir nutzten dies, um uns aus unseren Schlafsäcken zu quälen und auf die Suche nach Essen und Trinken zu machen. Zwei Männer, die im Park standen, fragte ich nach einem Trinkwasserbrunnen in der Stadt, doch es gab leider keinen. Aber sie führten uns zu einem Kleiderladen eines Freundes, wo wir unsere Trinkflaschen auffüllen durften. So hatten wir schon mal Wasser für den Tag. Etwas zu Essen kauften wir uns im Supermarkt, dann liefen wir los in Richtung Bad Düben. Nach fünf Kilometern waren wir umgeben von wunderschöner Natur und beschlossen, hier erst mal zu frühstücken. Als wir fast fertig waren, machte ein Fahrrad eine Vollbremsung neben uns. Es war einer der Jungs, die uns Trinkwasser gegeben hatten, er meinte, er sei uns kurz hinterher gefahren, um uns eine Landkarte zu bringen und noch viel Glück für unseren Weg zu wünschen. Es war die erste wundervolle Begegnung, wo man das Gefühl hatte, ganz viel geben zu können, indem man einfach nur mit jemandem redet.
In einem Wald machten wir eine kleine Pause und schliefen alle ein. Es stellte sich schnell heraus, dass wir einen ähnlichen Biorhythmus hatten, wodurch wir selten aufeinander warten mussten, da wir immer zur selben Zeit einschliefen und aufwachten.
Kurz bevor wir dann Bad Düben erreichten, gab es mal wieder ein Erdbeerfeld, wo wir uns noch eine Weile aufhielten und mampften.
Wir fragten uns zum Pfarrhaus durch und klingelten dort. Der Pfarrer öffnete, und nachdem wir uns vorgestellt und erzählt hatten, was wir gerade machen, fragte er, ob wir Funkenflieger seien. Er hatte im Jahr zuvor schon welche bei sich gehabt und war sehr begeistert von diesen Menschen gewesen. So nahm er uns mit in einen Hinterhof, einem riesigen wunderschönen Garten, und gab uns einen Raum voller Sofas und einem Tischkicker zum Schlafen und dazu eine kleine Küche, eine Dusche und ein Badezimmer. Es war wie ein kleines Appartement, wo wir für eine Nacht wohnen durften, ohne etwas zahlen zu müssen. Wir aßen noch zu Abend, nutzten die Dusche, kochten Tee und gingen dann richtig bequem schlafen. Der Pfarrer schickte uns nach Kemberg, dort sollte es ebenfalls einen netten Pfarrer geben, bei dem wir schlafen könnten.
Zecken und Schlamm – Kemberg
Wir machten uns auf den Weg und gingen noch bei einem Bäcker vorbei. Dort fragten wir nach alten Broten vom Vortag, doch so etwas hatten sie nicht. Wir erzählten wieder, wer wir waren und was wir machten, dann schenkte uns die Verkäuferin eine Tüte voller Brötchen. Wir bedankten uns herzlich und liefen los.
Der Plan war, den Lutherweg zu gehen, da dieser nach Berlin führte. Als wir den Weg gefunden hatten, merkten wir aber schnell, dass wir, wenn wir so nach Berlin laufen würden, ungefähr das Doppelte an Strecke zu laufen hätten, da der Weg jede Menge Bögen machte. So bogen wir kurz vor einem Wald ab und vom Lutherweg runter und landeten in einem unglaublich schönen Gartengrundstück. Der ganze Garten blühte und duftete, es gab einige große Kiefern neben einem Bach, unter denen Hängematten hingen und ein paar kleine Gartenhäuschen. Da wir uns nicht sicher waren, ob das hier privat war oder der Weg hier durchführte, gingen wir vorsichtig weiter. Wir trafen auf zwei nette Damen, die wir fragten, ob man hier herauskommt oder wir umdrehen mussten. Sie führten uns zu einem Hintertor, wo wir dann noch ins Gespräch kamen. Sie warnten uns vor den vielen Zecken im Wald und wünschten uns viel Spaß auf unserem Weg.
Mit den Zecken im Wald hatten sie nicht übertrieben, alle fünf Minuten sammelten wir eine Handvoll Zecken von uns, die versuchten, an unseren Beinen hochzukrabbeln. Wir kamen nach einer Weile wieder an eine Straße, stellten aber mit Karte fest, dass es die falsche war und wir ein ganzes Stück östlicher mussten. So gingen wir durch den Wald, wo wir auf Waldarbeiter stießen, die mit riesigen Maschinen die Bäume aus dem Wald holten. Irgendwie war es gruselig so etwas zu sehen, wie eine einzige Maschine so viele Baumstämme auf einmal hochheben kann.
Der Weg machte uns dann einen zu großen Bogen nach unten, also zurück, weswegen wir uns quer durch den Wald schlugen. Wir verliefen uns ständig und hatten wenig Ahnung, wo wir uns gerade befanden. Irgendwann sahen wir ein Reh, das leider erschrak und von uns wegrannte. Mit einem Handynavi versuchten wir dann, uns zu orten und die Richtung wieder herauszufinden und wenigstens im groben zu wissen, wo wir waren. Es zeigte überall im Wald Wege an, die nicht existierten, so landeten wir dank der Technik dann mitten in einem Moor. Anstatt umzukehren stapfte ich einfach mitten durch und die anderen beiden versuchten irgendwie ein bisschen rundherum zu kommen, um keine nassen Schuhe zu haben. Ich versank dabei bis zu den Knien im Schlamm, was danach den Vorteil hatte, dass die Zecken kein so großes Interesse mehr an mir hatten.
Nach mehreren Stunden quer durch den Wald kamen wir auf eine Lichtung, durch die wir zur Straße fanden. Wir beschlossen, der Straße zu folgen, um uns nicht wieder zu verlaufen. Da es langsam dämmerte und wir richtig k.o. waren nach den ca. 20 Kilometer durch den Wald, beschlossen wir, zu trampen und wurden so die letzten 3 Kilometer mitgenommen. Der Mann, der uns mitnahm, war begeistert von dem, was wir erzählten und lud uns ein, falls wir beim Pfarrer keinen Platz fänden, bei ihm zu schlafen.
Wir hörten schon einen Chor im evangelischen Pfarrhaus in Kemberg proben. Die Tür war offen und wir gingen hinein, um nach dem Pfarrer zu fragen. Er bot uns an, im Proberaum zu schlafen, sobald die Proben vorbei waren. Wir bedankten und ließen unser Gepäck schon mal stehen und schauten uns noch ein bisschen die Stadt an. Wir fanden einen Supermarkt der schon geschlossen hatte und sahen einen großen offenen Container davor stehen. Die anderen beiden waren noch nie containern, für mich war das ganz normal. Wir gingen hin, öffneten ihn und fanden Unmengen an leckeren Dingen: Schokolade in allen Formen, Gummibärchen, Marmelade, Nudeln, Honig, Brot, Tomaten, Fertigkuchen, Schokoküsse und viele andere Dinge. Wir sortierten noch mal ordentlich aus, da wir wussten, alles, was wir mitnahmen, mussten wir tragen.
In der Pfarrgemeinde waren die Proben fertig und die älteren Damen und Herren gerade beim Essen. Wir gingen in die Küche, um Nudeln zu kochen, da kamen sie auch schon an und luden uns zu Quiche und Obstsalat ein. Wir erzählten der ganzen Truppe, wer wir waren und was wir machten, wodurch wir viel Bewunderung hervorriefen. Wir kochten dann trotzdem noch und aßen eine Menge Süßkram, bis wir uns kugelrund fühlten. Aus den Sitzkissen bauten wir uns ein Bett und gingen dann bald schlafen.
Flusskrebs in Wittenberg
Für heute stand Wittenberg auf dem Plan, was mal nur 16 Kilometer waren. Wir brauchten wieder ewig, bis wir loskamen und liefen dann erst mal an einer Straße entlang. Hier lagen plötzlich lauter alte Dias, Federn, kaputte Handys etc., was ziemlich seltsam war. In einem Dorf wollten wir in einem Park eine Pause machen, doch es gab keine Grünflächen, die nicht direkt an der B2 lagen, so entschieden wir uns für den Friedhof, hier hatte man immerhin seine Ruhe beim Mittagessen! Sehr gesprächig und Mau-Mau spielend verbrachten wir dort die Zeit, bis es schon wieder richtig spät war. Wir wurden auf einen schönen Fahrradweg geschickt und folgten diesem nach Wittenberg. Kurz vor der Stadt lag die Elbe, in der wir noch eine Badepause einlegten und einen riesigen Flusskrebs fanden. In Wittenberg wurden wir von einer netten Frau direkt zum Pfarrhaus geführt, wobei sie meinte, dass wir hier schlechte Chancen hätten. Doch wir versuchten unser Glück und nach einer Weile stand der Pfarrer vor uns und wirkte etwas irritiert. Doch er vertraute uns und ließ uns in einem großen Saal der Gemeinde schlafen. Wir hatten wieder mal eine Küche zur Verfügung, so gingen wir, da wir nichts zum Containern fanden, Gemüse kaufen und kochten noch leckeres Gemüse mit Reis.
Konflikt in Beelitz
Am nächsten Morgen oder eher Mittag wurden wir von einem Chorleiter geweckt, der meinte, er müsse hier jetzt leider arbeiten. Es war bereits 12 Uhr und wir standen erschrocken auf und machten uns schnell fertig. Ich hatte schon ein paar Tage zuvor Kontakt zu anderen Funkenfliegern aufgenommen und wir hatten uns dazu entschlossen, zu dem großen Vor-Funkenflugtreffen zu trampen, um noch mit anderen Läufern laufen zu können. Es war der 19. Juni und der 19. jedes Monats ist Funkenflugtag. So aßen wir noch gemeinsam und teilten uns dann zum Trampen auf. Die anderen hatten noch keine Tramperfahrung, so sagte ich ihnen, was ich wusste und ließ die beiden zu zweit trampen, denn zu dritt ist es wahnsinnig schwer, mitgenommen zu werden.
Ich stand nicht sehr lang, dann wurde ich mitgenommen. Ich erzählte von Funkenflug und der Fahrer war sofort sehr begeistert. Die nächsten, die mich mitnahmen, waren ebenfalls sehr freundlich und interessiert. Das letzte Stück wurde ich von einem Rentner mitgenommen. Als er anhielt, fragte ich mich, ob er überhaupt noch Autofahren konnte. Es stellte sich heraus, dass er ein alter Bundmensch war und lange fürs »Vaterland« gekämpft hatte. Andere Themen kannte er nicht, außer Krieg, Bund und Rente. Ich hörte schnell auf, etwas zu sagen und nickte nur noch freundlich.
Ich lief die letzten vier Kilometer, um noch etwas Bewegung zu bekommen und rief dabei die anderen an. Ich war bereits in Beelitz und sie immer noch nicht losgekommen. Ich schämte mich irgendwie, aber der Tag war noch lang und sie hatten nur 35 Kilometer Trampstrecke vor sich.
Es begann zu regnen, als ich an die ersten Häuser kam. Hier fragte ich zwei Damen nach dem Weg zur Innenstadt. So kamen wir ins Gespräch und am Ende bedankten sie sich bei mir, dass ich angehalten hatte.
In Beelitz war ich erst mal alleine. Ich ging zur Kirche und da sah ich plötzlich eine mit Rucksack und rannte ihr hinterher. Als ich sie eingeholt hatte, fragte ich sie, ob sie eine Funkenfliegerin sei, sie sagte ja und wir umarmten uns und zogen gemeinsam weiter. Plötzlich kamen von überall mehr Funkenflieger und wir stellten uns vor und gingen dann gemeinsam zu einem Platz, an dem schon ganz viele andere warteten. Von der kleinen gemütlichen Dreiergruppe plötzlich auf 50 andere zu treffen, war unglaublich schön, aber auch sehr überfordernd. Ein paar der Läufer kannte ich schon, doch die meisten waren mir fremd. Wir spielten Spiele, bauten Pyramiden und jonglierten und turnten auf einer Wiese vor einer Schule, während wir auf weitere Funkenflieger warteten. Die Kinder, die hier herumsprangen, machten alles viel lebendiger, dann schüttete es wie aus Eimern und viele von uns waren komplett nass, trotzdem sprangen wir weiter im Springbrunnen herum und hatten Spaß. Ein paar von uns waren inzwischen beim Bürgermeister gewesen und hatten dort nach einem Schlafplatz für 50 Funkenflieger gefragt. Wir bekamen eine Halle zur Verfügung gestellt, mit der Bitte, künftig bei so vielen Leuten einen Tag früher anzurufen, was wir in den nächsten Tagen dann auch beherzigten.
Nach einem großen gemeinsamen Abendessen gingen wir hinein, machten eine Vorstellungsrunde und debattierten dann über einige Sachen. Es gab die Idee, dass wir alle gemeinsam in eine Schule gehen und uns dort als Wanderschule vorstellen könnten, um mit den Schülern Kontakt aufzunehmen und zu reden. Die ganze Runde endete in einem großen Konflikt, der von einer Laufgruppe hineingetragen wurde, was mich selbst so irritierte, dass ich nochmal komplett hinterfragte, was ich eigentlich hier machte und wieso ich lief. Die frische Luft, ein paar Gespräche und etwas Hoop spielen halfen mir wieder, klarer zu sehen und bald schlafen zu gehen. Doch bevor ich einschlief stellte ich mir die Frage, ob hier vielleicht zu viele individuelle Träume aufeinander trafen?
Baden am See und Riesenschaukeln – Sarmund
Am nächsten Tag wurde gemeinsam gegessen und dann noch ewig in verschiedenen Gruppenkonstellationen geredet und versucht, den Konflikt zu klären. Ich bin mit einer Trödelgruppe in Richtung Sarmund losgelaufen, wo wir wieder auf die anderen treffen sollten. Wir hatten drei Kinder dabei, dadurch ging es hier noch mal viel stärker darum, aufeinander zu achten, doch das klappte richtig gut. Auf der Hälfte der Strecke lag ein wunderschöner See, wo wir beschlossen, noch baden zu gehen. Das Wasser war richtig kalt, aber danach war man wieder frisch und es wurde einem schnell wieder warm. Die Kinder und ein paar andere zogen schon mal weiter, doch ich wartete noch ein bisschen auf die, die später kamen und auch noch baden wollten. Wir waren noch drei Leute, die übrig waren und gemeinsam weiterzogen. Es war bereits 19 Uhr und wir hatten noch 12 Kilometer vor uns. Keine 500 Meter später saßen ein paar weitere Funkenflieger am See, die auch gerade zusammenpackten, so zogen wir gemeinsam los. Unser Tempo war um einiges schneller als mit den Kindern zuvor, so legten wir eine gute Strecke zurück. Es entstanden viele spannende Gespräche, was es an Schulen alles geben sollte. Den Weg mussten wir nicht mehr selber suchen, denn andere hatten uns Pfeile gelegt und wir machten uns einen Spaß aus der Schnitzeljagd.
Nach einer Weile bogen wir dann aber doch noch mal in den Wald ab, da wir lieber Wald und einen kleinen Umweg liefen, anstatt an einer Straße entlang. Wir kamen bei einem Spielplatz mit Riesenschaukeln raus. Erst blieben wir etwas unsicher stehen, dann wollten wir alle schaukeln. Doch nicht nur die Schaukeln entdeckten wir für uns, auch im Sandkasten wurden Burgen gebaut und auf den Traktorreifen, die in der Erde steckten, wurde herumgehüpft. Als eine auf dem Reifen stand und wir alle unter ihr und nichts passierte, fragte ich sie, ob sie sich nicht fallen lassen will. So bildeten wir unten eine Art Netz aus unseren Armen und sie ließ sich mit dem Rücken zuerst fallen. Nach und nach machten wir das alle und wir wurden immer kreativer. Das gab uns unendlich viel Vertrauen und wir wurden richtig zu einer Gruppe. Die Motivation sank, zu den anderen zu gehen, da wir dort wieder schlechte Laune befürchteten. Wir fanden ein Tipi in einem Garten und überlegten, dort zu schlafen, gingen dann aber doch zu den anderen.
Es war ein so seltsames Gefühl diesen Raum zu betreten. Wir hatten gerade alle wieder das Kind in uns entdeckt und herausgelassen und waren voller guter Laune – und hier öffnete man die Türe und wurde mit einer schlechten Energie überströmt. Ich hätte am liebsten wieder umgedreht, doch ich trat trotzdem ein. Wir setzten uns zu den anderen dazu. Es war gerade große Reflexionsrunde, doch einige verließen diese Runde sehr bald, teilweise sogar weinend. Als wir vom Spielplatz und dem See erzählten und was das mit uns gemacht hatte, spürte ich einige böse Blicke auf mir und von einem wurden wir sogar angepampt, dass ihn so etwas nicht interessiert. Ich fand es sehr schade, dass manche Spaß als etwas sehr Negatives sahen, da ich fest davon überzeugt bin, produktiver zu sein, wenn es mir gut geht und ich Spaß habe. Ich habe dann viel mehr Kraft, zu denken und mehr Mut, etwas zu bewegen wenn ich in einer Gruppe bin, in der ich mich als Teil der Gruppe fühle und das Gefühl habe, gemeinsam stark zu sein.
Das Essen war leider schon alle, aber ich hatte noch etwas Reis und andere etwas Gemüse, Nüsse und Äpfel. Ich kochte einfach alles zusammen, dann deckten wir uns richtig fein den Tisch, sagen noch ein Gebet und aßen dann feierlich und wieder mit guter Laune unser Essen.
Mit der Spielplatzgruppe und ein paar anderen bin ich dann noch rausgegangen und wir haben noch ein wenig gejamt und gesungen. So verklang der Abend richtig schön.
Der Entschluss wurde nun gefasst, noch eine Nacht in kleinen Gruppen zu schlafen und uns erst einen Abend danach in Charlottenburg zu treffen, um dann gemeinsam in Berlin einzulaufen.
Nebelkrähen und gastfreundliche Afrikaner – Potsdam
Wir starteten zu dreißig, wodurch ich fast durchdrehte. Doch nach fünf Minuten trennten sich unsere Wege, die anderen liefen durch den Wald nach Wannsee und wir zu zehnt durch Dörfer nach Potsdam. Nichts da! Wir sind die komplette Strecke wunderschön durch den Wald gelaufen. Große Kiefernwälder mit Sandboden, zwar etwas anstrengender zu laufen, aber sehr angenehm für meine Füße.
Ich merkte schnell, dass mir grad alles zu viel war und kapselte mich von der Gruppe ab, indem ich mir Musik auf meine Ohren machte, Zeit für mich hatte und mit geschlossenen Augen lief. Ich war davon überzeugt, dass meine Füße den Boden spüren und dadurch auch einfach den Weg finden werden! Es hat super geklappt, ohne dass ich irgendwo dagegen rannte, kam ich voran. Natürlich schaute ich mich ab und zu mal um, ob ich noch hinter den anderen herlief oder komplett falsch war, aber so war es nicht.
Sich Zeit für sich selbst zu nehmen, sich Raum zu geben, zu reflektieren, über seine Erlebnisse und Begegnungen nachzudenken, vergisst man während so einer Reise schnell mal, was ich spätestens hier gemerkt habe. Eigentlich ging es mir gut, aber plötzlich saß ich in einem Riesenloch. Ich weinte und beschäftigte mich intensiv mit mir selbst und meinen Emotionen und plötzlich war wieder viel mehr Klarheit in meinem Kopf und ich hatte das Gefühl, ich konnte wieder etwas aufnehmen. So entschloss ich mich, nach ein, zwei Stunden der Gruppe näher zu kommen und wieder zu kommunizieren. Es fühlte sich an, als hätte ich mich nie abgekapselt. Die Vorderen liefen mit Gitarre und singend durch den Wald und verbreiteten gute Laune! Ich fühlte mich gleich wieder richtig wohl. Es ist spannend, zu merken, dass man sich auch von völlig fremden Menschen tragen lassen kann, wenn man ihnen nur das Vertrauen dafür schenkt.
Wir kamen an den Teufelssee, wo wir überlegten, zu baden, doch es nieselte etwas und war uns zu kalt. So kramte jeder seine Essensreste heraus und stellte sie der Allgemeinheit zur Verfügung. Über den Teufelsberg, eher einen Hügel, kamen wir an ein Waldhaus. Es war leider verschlossen, doch durch das Tor sah man ein wenig hinein. Als wir gerade weiter wollten, machte es: »aberwahr!«. Etwas verwirrt drehten wir uns um. Da hörten wir es wieder. Es war eine Nebelkrähe, die dieses eine seltsame Wort sagen konnte und dort in einem Riesenkäfig saß. Wir versuchten, ihr »Funkenflug« beizubringen und philosophierten ein wenig. Wenn man dieses Tier neben einen Lehrer setzen würde, hätte dieser immer jemand, der seine Aussage bestätigen würde.
Aus Verunsicherung, ob wir noch auf dem richtigen Weg waren, stießen wir auf den Falkenhof, wo wir nach dem Weg fragten, Wasser auffüllten und ein schönes Gespräch über die Beziehung eines Falken, eines Hundes und eines Menschen hatten. Da ein Falke ein Wildtier ist, muss man ihn als solches akzeptieren und ein großes Vertrauen aufbauen. Was wäre das für eine schöne Welt, wenn das zwischen allen Lebewesen so wäre. Allein, sich als Menschen gegenseitig zu akzeptieren und mehr Vertrauen ineinander zu haben, wäre so ein großer Schritt in unserer Gesellschaft.
In Potsdam stellten wir unsere Rucksäcke ab und teilten uns auf. Ich ging mit Cédric auf Brotsuche. Wir klapperten so fünf Bäckereien ab, wo wir uns vorstellten, erzählten wer wir sind und was wir gerade machen und nach Brotresten fragten. Wir wurden mit einigen Brötchen beschenkt, wofür wir uns herzlich bedankten und dann doch noch etwas Brot kauften. Auf dem Rückweg kamen wir an einem Supermarkt vorbei, der ebenfalls eine Bäckerei hatte, so beschlossen wir, trotzdem wir für den Abend schon genug gesammelt hatten, noch nachzufragen, um eventuell schon Frühstück für den nächsten Tag zu haben.
Die Verkäuferin sah schon etwas alternativer aus und hörte uns voll interessiert zu. Nachdem ihr klar wurde, auf was wir heraus wollten, lief sie zu ihrer Chefin. Als sie wiederkam, meinte sie, um acht sei Ladenschluss, dann sollten wir noch mal kommen und könnten noch ein paar Reste mitnehmen. Wir redeten noch etwas länger mit ihr und sie hörte uns gespannt über Funkenflug zu. Bevor wir gingen, suchten wir noch die Chefin auf, um uns auch bei ihr persönlich zu bedanken und kamen da noch ins Gespräch, was leider unterbrochen wurde, da sie zur Kasse gerufen wurde.
Bei den anderen wieder angekommen, sahen wir noch eine andere Funkenfluggruppe, die aber noch nach Wannsee lief. Wir warteten auf die Containerer, doch sie hatten leider keine offenen Container gefunden und waren deshalb einkaufen gewesen. Wir aßen hungrig, bis es anfing zu regnen und wir alles zusammen packten. Als wir in Regenkleidung eingepackt unterm Baum standen und überlegten, ob wir jetzt im Regen auf Schlafplatzsuche gehen wollten oder noch warten sollten, kamen plötzlich zwei Afrikaner an uns vorbeigerannt. Sie sahen uns dort stehen und riefen: »Hey! Come with us, we have a house there!« Wir waren etwas verwundert und fragten noch ein paar Mal nach, doch sie liefen einfach weiter und winkten uns zu sich. So rannten wir ihnen mit komplettem Gepäck hinterher.
Fünf Minuten später hatten wir ein Dach über dem Kopf. Zusammengequetscht wurden wir mit einem Fahrstuhl eines Hochhauses hochkutschiert und kamen dann in eine kleine, aber richtig gemütliche Wohnung. Jetzt stellten wir uns erst mal vor, dann wurde uns alles gezeigt und uns noch weitere Kissen ins Wohnzimmer gelegt. Plötzlich meinte Dave, unser Gastgeber, er wolle uns original afrikanisch bekochen, wozu wir, trotzdem wir gegessen hatten, natürlich nicht Nein sagten. Wir gaben ihm etwas Geld, dass er nicht alles zahlen musste, dann ging er Gemüse holen und ich mit Cédric los, das Brot abholen. Wir warteten draußen bis es acht war, doch dann kam die Verkäuferin schon heraus und meinte, wir können jetzt kommen und Brot mitnehmen. Am Anfang wählten wir ein bisschen aus, dann erfuhren wir, dass der Rest in der Tonne landen würde und so beschlossen wir, alles zu nehmen. Es waren drei Riesensäcke voller Brot und Brötchen, was mir leicht Tränen in die Augen brachte. Doch nicht nur ich war berührt, auch sie meinte, dass es das erste Mal sei, seitdem sie dort arbeite, dass alles leer war. Ihre Augen funkelten und sie bedankte sich und wir uns natürlich auch. Dann meinte sie noch, dass sie sogar schon angefangen habe die Homepage von Funkenfug zu lesen.
Erst mal richtig glücklich über das große Geschenk verließen wir den Laden, doch dann machte es uns fast traurig. Die Vorstellung, dass jeden Tag eine solche Menge an Brot weggeschmissen wird, war furchtbar. An die Tafel konnten sie ihr Brot nicht mehr geben, da diese mehr als genug bekam und es somit ablehnte.
Als wir zurückkamen, wurde eine fette Jamsession auf dem Balkon gestartet und gleichzeitig wurden wir bekocht. Das Essen war sogar vegan, wodurch ich es auch essen konnte. Es war eine Maispampe mit gekochtem Gemüse. Wir setzten uns alle ins Wohnzimmer und aßen zu zwölft aus acht Tellern und zwar mit den Händen. David führte uns allen vor, wie man in Afrika isst und dann wurde so gegessen. Es machte richtig Spaß, gemeinsam zu sabbern und zu schlürfen und man fühlte sich wohl dabei, weil alle es so machten. Nun wurde gemeinsam Fußball, Deutschland-Ghana, angeschaut und dabei geredet. Irgendwann meinten wir, dass wir langsam los sollten, um noch einen Schlafplatz zu finden, da wurden wir ziemlich doof angeschaut und uns wurde klar gemacht, dass wir selbstverständlich dort schlafen durften! Es war schon eine Wahnsinnsbegegnung. Normalerweise musste ich immer nach Schlafplätzen fragen, aber hier wurden wir alle einfach herzlich eingeladen! In Afrika, meinte David, sei es ganz normal, Menschen zu sich einzuladen, die verloren irgendwo herumstehen. Wirklich schade, dass das hier in westlicheren Ländern nicht so oft passiert.
Nachts zogen wir dann noch los, um das Nachtleben in Potsdam kennenzulernen. Ich hatte meine Spektralbrillen (Regenbogengitter) dabei und verteilt, wodurch wir etwas herumtrollten, bis einer gegen eine Laterne lief. Faszinierend, dass es wirklich Menschen gibt, die so etwas schaffen!
Leider waren die ersten beiden Läden zu, wo wir hinwollten, so gingen wir in die Bar Gelb, mit einem kaputten Tischkicker und Hiphop als Tanzmusik. Wäre ich zu Hause gewesen, hätte mich da niemand hinein bekommen, aber mit den richtigen Menschen geht das schon mal. Wir motivierten uns so weit, dass wir einmal kurz fast alle tanzten und dann doch wieder gingen. David gab uns noch seine Matratze, auf der wir zu viert einschliefen.
Offener Brunch und Improtheater – Charlottenburg
Wir hatten eigentlich schon am Tag zuvor eine Aktion machen wollen, aber da war es zu spät geworden, so beschlossen wir einen offenen Brunch mitten auf der Straße zu machen mit dem ganzen Brot, das wir geschenkt bekommen hatten. Wir suchten uns einen schönen Platz, wo genug Menschen waren und breiteten unser Essen auf. Wir fingen an zu fragen, ob sich jemand zu uns setzen wolle und so kamen wirklich ein paar dazu und frühstückten mit. Irgendwann fingen wir noch an, ein wenig Straßenmusik zu machen, ich spielte Hoop und andere jonglierten auch. So bekamen wir ziemlich viel Aufmerksamkeit und begannen, den Menschen Fragen zu stellen. Meine Frage, die ich meist stellte war: »Lernen Sie noch gerne?«. Ich stellte sie meist älteren Menschen, die eigentlich immer mit »Nein« antworteten. Sie sagten, sie seien zu alt, um noch lernen zu müssen. Das Gespräch endete meist damit, dass sie lachten, sich bedankten und wieder wussten, dass lernen nicht nur Schule und Uni bedeutet, sondern dass man so gut wie immer lernt. Ich mag es, Menschen einfach zum Denken anzuregen und das am besten so weit, dass sie, sobald sie nicht mehr mit dir reden, weiter bei dem Thema bleiben und mit anderen darüber reden. Die Aktion beendeten wir mit einer Improtheatermaschine zum Thema Bildung. Dann verabschiedeten wir uns von drei Funkenfliegern, die leider wieder nach Hause mussten und von David und zogen los. Ich fand etwas oberhalb von der Straße einen schönen Weg durch den Wald, den wir dann gingen. Ich bekam irgendwann schreckliche Hüftschmerzen und spürte jeden Schritt. Als ich mich mitteilte, wurde mir ein wenig Gepäck abgenommen, wodurch ich wieder etwas besser laufen konnte. Kurz vorm Wannsee sah ich noch ein paar offene Container herumstehen. Wir fanden einiges an Gemüse und Obst, was wir super aufs viele Brot essen konnten. Ein Passant sprach uns an, was wir denn da machten und wir erklärten es ihm. Er fand das super, dass wir containerten und wir boten ihm eine Banane an, die er dankend annahm.
Am Wannsee aßen wir eine Menge und machten ein wenig Pause. Ich meinte, dass ich wahrscheinlich ein Stück trampen würde, weil meine Hüfte echt schrie, woraufhin gleich ein paar meinten, dass sie auch trampen wollten. Durch die Pause ging es mir jedoch etwas besser. Wir liefen ein Stück, dann mussten die Tramper nach rechts abbiegen. Wir luden etwas Gepäck der Weiterlaufenden auf. Plötzlich bekam ich einen unendlichen Energieschub und sprang auf: »Nein! Ich will laufen!«. Ich wurde etwas verwundert angeschaut. Ich war mir selbst nicht bewusst, ob das jetzt gut war, aber plötzlich fühlte ich mich gut. Also gab ich was von meinen Sachen zu den Trampern und lief dann mit den anderen drei mit. Es war definitiv die richtige Entscheidung, denn nach ein paar hundert Metern ging es wieder in den Wald. Da wir den Weg erst nicht fanden, gingen wir querfeldein, wobei wir auf eine unendlich schöne Lichtung stießen. Sie leuchtete in vielen Farben und hatte Sandstellen, auf denen man super campen könnte.
Nachdem wir uns durch ein Gestrüpp voller Dornen geschlagen hatten, standen wir auf einem Weg. Langsam wurde es dunkler. Wir machten noch auf einer kleinen Lichtung eine Pause, um dann wirklich noch im Dunkleren laufen zu können. Wir kamen schnell voran und hatten gute Gespräche. Trotzdem ziemlich fertig, kamen wir bei den anderen in Charlottenburg an. Dort stellte ich mein Zeug ab und das erste, was ich sah, war mein Schlafsack, den ich in Sarmund liegen lassen hatte. Ich bekam aber leider nicht heraus, wer ihn für mich mitgenommen hatte, aber wer auch immer es war, Danke!
Ich aß noch etwas Nudeln, bekam einige coole Gespräche mit und Clara bekam noch ihre erste Dread, dann fand ich ein Sofa und ging schlafen.
Wunschleinen und Existenzfragen – Berlin
Gefrühstückt wurde gemeinsam draußen. Wir hatten wieder in einer Kirchengemeinde geschlafen, so kam die Frau, die uns das Haus gegeben hatte und bot uns an, noch mit ihr in die Kirche zu gehen und zu singen und so. Ich wusste erst nicht, ob ich da mit wollte. Mir war das Ganze etwas suspekt, doch aus Neugierde beschloss ich, doch mal reinzuschauen. Es war für mich das erste Mal, einen Gottesdienst mitzubekommen. Ich fand Kirchen schon immer etwas gruselig, fühlte mich nicht wohl in ihnen, auch hier hätte ich nicht ewig verweilen können. Gemeinsam zu singen, fand ich etwas Wunderschönes, was wir ja sonst auch viel machten und die Kirchenlieder kannte ich teils auch schon aus meiner Schule. Der Rest war nicht meins. Es gab das Angebot, jedem einen persönlichen Segen auszusprechen, was ich für meinen Teil aber nicht annahm. Wieder draußen, war ich froh, wieder frische Luft zu atmen und ein paar Menschen zu knuddeln.
Mit sechzig Leuten zu starten, funktioniert am besten, wenn ein Teil einfach losgeht. Mit so vielen Menschen gemeinsam zu laufen, ist ein ganz anderes Gefühl. Ich wurde immer energiegeladener und freute mich mehr auf die gemeinsame Zeit in Berlin. Es war so viel Energie, dass ich wirklich das Gefühl hatte, mit diesen Menschen viel bewegen zu können. Es ist ein Gefühl, das sich nur schwer beschreiben lässt. Eine Stärke, eine Kraft, etwas, das man selbst erleben muss, um es zu verstehen.
Hier zogen wir eine Menge Aufmerksamkeit auf uns und kamen so immer wieder ins Gespräch mit Passanten, die uns neugierig fragten, wer wir seien und was wir machten. Es war schön mal durch Berlin zu laufen und nicht wie sonst U- oder S-Bahn zu fahren. Dadurch merkte man erstmal, wo was war und wie weit eigentlich alles auseinander lag. Einige von uns verteilten Kiefernzapfen, in denen kleine Zettel mit Gedichten und ähnlichem drin waren, andere Klebezettel mit Fragen wie »Träumst du noch?«.
Als wir dann auf die Allee kamen, die direkt zum Brandenburger Tor führt, nahmen wir uns alle an den Händen und bildeten eine Reihe über die komplette Straße. Wir fingen an, laut zu singen, was eine Energie und Kraft ausgelöst hat, wie ich sie noch nie gespürt habe. Ich war so voller Leben. Plötzlich bekamen wir eine Kiste Orangen von einem Saftstand geschenkt, was alle übertrieben feierten. Wir sprangen, tanzten und sangen die Straße entlang und langsam realisierte ich, dass das Tor immer näher kam und damit auch unser Ziel. Es war nicht direkt das Ziel, sondern unser Laufziel für dieses Jahr. Ein Ziel, um anzukommen und etwas Neues zu starten. Durch das Tor wuselten alle irgendwie hindurch, dann standen wir auf dem Platz und waren da, angekommen. Es war irgendwie seltsam, denn wir wollten noch gar nicht angekommen sein, das war ja erst der Anfang. Wir stellten uns in einen Kreis, nahmen uns an den Händen und machten eine Funkenflugwelle. Plötzlich fielen wir uns alle in die Arme. Wir umarmten und beglückwünschten uns und hießen uns willkommen. Es war unglaublich schön, nicht von jemand Fremden willkommen geheißen zu werden, sondern von den eigenen Mitläufern. Ich umarmte Menschen, mit denen ich davor noch kein Wort gesprochen hatte, doch das war egal, wir waren trotzdem eine Bewegung. Die Bildungswende wurde mit einer großen Glocke eingeläutet, von Matheo, einem der jüngsten Läufer.
Wir machten nun ein großes Essen, wo plötzlich eine gute Freundin hinter mir stand. Sie wurde von einer anderen Funkenfliegerin hergebeten und so sahen wir uns auch mal wieder, es war wunderschön! Immer mehr Passanten und Touristen sprachen uns an. Als ich gerade mitten in einem Gespräch war, kamen zwei Barfüßer auf mich zu und meinten: »Tut mir Leid, wenn ich dich jetzt unterbreche, aber was zum Teufel habt ihr gemacht, dass ihr gerade so unendlich viel schöne Energie ausstrahlt?«. Mich faszinierte diese Frage und ermunterte mich noch weiter. Ich war plötzlich so voller Tatendrang und hatte das Gefühl, dass ich dringend etwas tun sollte. So spielte ich ein bisschen Hoop. Doch viel spielen konnte ich nicht, da ich ständig von Fremden angesprochen wurde, mit denen ich dann eine Weile sprach.
Obwohl unser Generator nicht ansprang, versuchten wir unsere Aktion zu starten. Wir hängten eine Wunschleine auf und lasen Wünsche vor. Da man uns jedoch nicht verstand, machten wir ein menschliches Sprachrohr und plötzlich hatte das Ganze einen großen Democharakter und gar nichts mehr mit Wünschen von Schülern zu tun. So brachen wir das Ganze ab. Vielen bereitete das schlechte Laune, doch ich hatte zu viel Energie in mir, um mich davon herunterziehen zu lassen. Plötzlich tauchte David aus Potsdam auf, er meinte er hätte seinen Job heute verschoben, um uns wiederzusehen und die anderen kennen zu lernen. Einfach unglaublich! Er ließ uns im Kreis Aufstellung nehmen und zeigte uns, wie wir klatschen sollten, dann fing er an, für uns zu singen.
Wir lösten uns auf und verabredeten uns am FEZ, wo wir die Woche unterkamen. Ich war eine der letzten, die sich auf den Weg machten. Kurz vor dem FEZ trafen wir dann die anderen und liefen die letzten Meter gemeinsam dorthin. Ich freute mich voll auf das Gelände, da ich es schon von der BJC kannte und sehr begeistert von seiner Vielfältigkeit bin. Die anderen staunten auch ziemlich über das Gelände. Es gibt einen Badesee mit Strand, eine große Wiese mit Zelten und Feldbetten, eine Ökoinsel, einen riesigen Spielplatz und jede Menge Seminarräume. Normalerweise zahlt man sehr viel Geld, um dort eine Woche wohnen zu können, doch wir durften das Gelände umsonst nutzen, da sie uns unterstützen wollten.
Die Zeit dort verlief wie im Flug. Wir schmissen unser gesamtes Konzept über den Haufen und beschlossen, einen durchgängigen Open Space zu haben. Es gab drei Mahlzeiten, die festgelegt waren und eine Morgen- und Abendrunde. Morgens wurde vorgestellt, wer gerne über welche Themen sprechen wollte, so entstand spontan eine Art Workshop.
Dazu kam, dass wir uns als Bewegung komplett hinterfragten, in unserem Existieren und Handeln. So wuchs unsere Gruppe enger zusammen und langsam wurden wir immer mehr miteinander vertraut. Als wir am Donnerstag ein Fest feierten, wo es eine Open Stage mit Lesungen und künstlerischen Darstellungen gab und danach die Band »Platzhalter« ein unglaubliches Konzert spielte, wurden wir endgültig zu einer Bewegung. Das Vertrauen ineinander war plötzlich da und es tanzte einfach die ganze Wiese. Es ging so weit, dass die Band so einen geilen Gig hatte, dass sie ihr Konzert nach einer Pause noch mal starteten und so noch einige Lieder wiederholten. Unglaublich dankbar verabschiedeten wir die Band so, wie wir die meisten Funkenflieger verabschiedet hatten. Wir sangen für sie.
So ging die Woche dann langsam vorbei und wir flogen wieder aus in unsere Heimat oder gingen weiter auf eine Reise.
Für mich kann ich sagen, es war eine unglaublich wertvolle Erfahrung, bei der ich sehr viel über mich selbst, über Menschlichkeit, über Gruppenprozesse, über die Kirche und unsere Gesellschaft gelernt habe. Es war, als wäre ich Jahre gelaufen und nicht nur einige Tage. Ich habe so viel Mut bekommen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, lächelnd durch die Welt zu laufen und die Momente auszuleben. Ich habe gelernt, spontaner zu sein, also nicht mehr so viel zu planen und dass Reisen nicht bedeutet, in ferne Länder zu gehen, sondern dass man auch einfach ein Stück in Deutschland laufen kann und dabei so viele Begegnungen und verschiedene Natur erlebt, weil man das Land einfach ganz anders kennen lernt.
Ich möchte einfach Danke sagen, dass ich das erleben durfte, Danke an alle, die irgendwie ein Teil davon waren.
Die Verfasserin besucht die 12. Klasse der Freien Waldorfschule Freiburg-Wiehre.