Liebe Frau Meichsner,
Sie erwähnen in Ihrem Schreiben die Vergabepraxis von Ritalin in Deutschland und beschreiben diese als »nicht leichtfertig«. An dieser Stelle muss ich aufgrund der vorliegenden Datenlage deutlich widersprechen. Zwar mag es in anthroposophischen Ärztekreisen so sein, dass Wege ohne den Einsatz dieses Mittels gegangen werden, aber in Deutschland ist es immer noch so, dass mehr als 40 Prozent der Kinder, die eine ADHS-Diagnose erhalten, mit Methylphenidat (Ritalin) behandelt werden. Jenseits unserer Landesgrenzen finden sich zum Teil noch gravierendere Zahlen. Weltweit sind Millionen Kinder von dieser nun wahrlich nicht als zurückhaltend einzustufenden Medikation betroffen.
Worum handelt es sich bei diesem Stoff? Ritalin, oder besser der Wirkstoff Methylphenidat, ist kein von der freundlichen Pharmaindustrie konzipiertes Kindermedikament, sondern eine lang bekannte Substanz aus der Gruppe der Amphetamine. Damit gehört es, wie zum Beispiel Speed oder Heroin, zu den Betäubungsmitteln und es ist BTM-rezeptpflichtig, was auch bedeutet, dass es wegen des dosisabhängig suchterzeugenden Potenzials dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt.
Ein Blick auf das aussagekräftige Nebenwirkungsprofil von Methylphenidat, das die meisten von uns nicht über längere Zeiträume freiwillig einnehmen würden, zeigt, wie dieser Stoff aus geisteswissenschaftlicher Sicht sowohl eine allgemeine Schwächung der ätherischen Kräfte bewirkt, als auch alle Wesensglieder des Kindes dramatisch beeinflusst. Besonders massiv wird die rhythmische Mitte der sich noch in Entwicklung befindenden Kinder torpediert. Nebenwirkungen im Bereich des Herzens sind häufig, so zum Beispiel Herzrasen, Herzklopfen, Herzrhythmusstörungen mit Veränderungen des Blutdrucks und der Herzfrequenz.
Das gesamte Nebenwirkungsspektrum aufzuführen würde hier den Rahmen sprengen. Interessierte können es googeln.
Eine weitläufig nicht erwähnte Nebenwirkung, weil schulmedizinisch nicht erfasst, sollte in unseren Kreisen aber unbedingt genannt werden: Viele Kinder erzählen, dass sie sich selber fremd werden, keine rechte Freude empfinden und die Welt farblos wird. Eltern und Lehrer berichten: »Die Kinder sind konzentrierter mit Methylphenidat, nehmen weniger im Umfeld wahr, aber sie spielen nicht mehr!« Der Worte Schillers eingedenk »Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt« müssen alle unsere Bemühungen dahin gehen, für jedes Kind und sein Schicksalsumfeld Wege ohne Methylphenidat zu finden.
Methylphenidat hat kein Heilungspotenzial. Pharmakologisch betrachtet, zwingt es den Körper in vorgegebene molekulare Prozesse. Dies erschwert einem sich noch in der Individuation befindlichen Kind die Inkarnation. Es gibt gelegentlich Situationen, wo zur Vorbereitung einer individuellen Therapie der kurze Einsatz von Methylphenidat als »Überbrückung« gerechtfertigt erscheinen mag. Jede Behandlung eines Kindes mit Methylphenidat, die über einen längeren Zeitraum anhält – und das meint auch die jahrelange Behandlung eines Kindes, die nur in Ferienzeiten pausiert –, ist als nicht optimal, ja sogar als schädlich einzuschätzen.
Über die Langzeitfolgen einer Dauerbehandlung mit Methylphenidat weiß bis heute niemand etwas.
Zur Autorin: Dr. med. Silke Schwarz ist Ärztin für Anthroposophische Medizin (GAÄD), Kindergarten- und Schulärztin sowie Pädagogische Beraterin in der Freien Kölner Beratungsstelle Kind-gerecht.