Berlin’de dünya

Johannes Mosmann

Eine einmalige Chance, sich mit dem zu verbinden, was zwischen, außer oder über den Kulturen lebt! Eine Chance mitzuarbeiten an einer Gemeinschaft der Zukunft, die sich nicht mehr auf Deutsch-, Türken- oder Russentum gründet, sondern auf die Persönlichkeit jedes Menschen. Aber eine Chance, die ergriffen werden muss.

Denn Berlin ist doch mehr Deutschland, als mancher sich das wünschen möchte. Ich erinnere mich gut, wie ich unterwegs in Neukölln eine Reiseleiterin sagen hörte: »This is the ghetto of Berlin, young people move here, because it is so coloured.« Junge deutschstämmige Paare ziehen nach Neukölln oder Kreuzberg, weil es dort so »bunt« ist. Was die Reiseleiterin jedoch verschwieg: Sobald das erste Kind geboren ist, ziehen viele wieder um, damit es später nicht mit einem Ausländer in Kita und Schule muss. Es ist eben auch in Berlin mehr ein Nebeneinander, als ein Miteinander.

»Wenn es den richtigen Ort für eine Interkulturelle Waldorfschule gibt, dann ist es Berlin!«, schrieb Sylvain Coiplet, der Gründer des Instituts für soziale Dreigliederung, als er im Herbst 2010 Albert Schmelzer für einen Vortrag in das »Sozialwissenschaftliche Forum Berlin« einlud. Wie erhofft, gelang es Schmelzer, mit seiner Erfahrung im Aufbau der Freien Interkulturellen Waldorfschule Mannheim zu begeistern, und als sich in der anschließenden Initiativrunde mehrere Pädagogen meldeten, die bereits zwischen den Kulturen tätig waren, konnte der Arbeitskreis »Freie Interkulturelle Waldorfschule Berlin« noch auf dem Forum gebildet werden.

Als ausgerechnet in diesem Augenblick Christoph Doll, der die interkulturelle Waldorfschule Mannheim mit aufgebaut hatte, zum Lehrerseminar Berlin wechselte, bewies das Leben selbst, dass diese Idee mehr als eine Idee sein wollte. Doll übernahm die Leitung des Konzeptkreises und brachte außerdem eine Schar tatendurstiger Lehrerseminaristen mit, so dass die Initiative jetzt so bunt ist wie Berlin selber: Da ist zum Beispiel die Waldorflehrerin, die seit vielen Jahren ehrenamtlich Kinder mit Migrationshintergrund unterrichtet, die junge Mutter und Seminaristin, die lange in der Flüchtlingshilfe tätig war, oder die Staatsschullehrerin, die fließend türkisch spricht. Und wer weiß, wer noch zu uns stoßen mag?

Mit Waldorfpädagogik und Sozialer Dreigliederung finden sich in der Initiative Freie Interkulturelle Waldorfschule Berlin zwei Strömungen der Anthroposophie wieder, die einmal untrennbar miteinander verknüpft waren: die Kunst der Erziehung zur Freiheit einerseits und das Wissen um die wechselseitigen Abhängigkeiten von Freiheit im Geistesleben, Gleichheit vor dem Recht und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben andererseits.

Entsprechend vielschichtig gestaltet sich die Arbeit am Konzept: Einerseits soll sich der Lehrer beim Sprachkonzept an dem orientieren, was die geistige Natur des jeweiligen Kindes und nicht der Staat oder die Wirtschaft fordern. Damit das langfristig möglich ist, soll andererseits in der Zusammenarbeit mit dem wirtschaftlichen Umfeld eine Wahrnehmung dafür erzeugt werden, wie sich durch freie Erziehung erst die nötigen Kräfte auch für das Wirtschaftsleben bilden. Auf der einen Seite soll innerhalb der Schulgemeinschaft das gegenseitige Verständnis der Völker gefördert werden. Auf der anderen Seite hängt die Schulgemeinschaft als Ganzes ihrerseits wiederum von dem Verständnis ab, das ihr von ihrem kulturellen Umfeld entgegengebracht wird.

Daher beteiligen sich die Mitwirkenden an Gesprächen über allgemein menschliche und soziale Fragen auch jenseits des unmittelbaren Schulzusammenhangs. So kann sich um die Freie Interkulturelle Waldorfschule Berlin ein »geistiger Umraum« des Verständnisses bilden, der sie finanziell und moralisch trägt, aber auch die kritische Reflexion der eigenen Arbeit permanent herausfordert. Die Berliner Initiative versucht Erziehungskunst und Sozialkunst miteinander zu verbinden. Damit will sie in der Hauptstadt eine Türe für das öffnen, was überall dort entsteht, wo sich freie Geister gleichberechtigt gegenüberstehen: Olam, Dünya, die Welt.

Link: www.dreigliederung.de