Aber können wir uns in unserer Ellenbogengesellschaft wirkliches Christentum überhaupt noch leisten? Menschlichkeit, auch den Fremden, den Armen und Ausgegrenzten gegenüber? Wir nehmen das gerne für uns in Anspruch, aber immer wieder steht doch zuerst die Sorge um das eigene Wohlergehen im Vordergrund. Die Parteien, die das programmatisch verarbeiten, sind leider Realität. Die Frage bleibt also. Wie schaffen wir es, Verhältnisse zu schaffen, in denen wir ein wirkliches Miteinander erleben und fühlen können?
Für mich kommt da das bedingungslose Grundeinkommen (bGE) ins Spiel. Es ist kein Allheilmittel für alle sozialen Probleme, aber es könnte der Anfang sein für ein wirkliches Umdenken.
Ich selber habe als Frau und Mutter von vier Kindern jahrelang, ohne Geld damit zu verdienen, für die Familie arbeiten können. Das war durch meinen Mann, der sozusagen für zwei verdienen konnte, eine privilegierte Ausnahme, für die ich sehr dankbar war. Ich habe dadurch auch eine Ahnung davon bekommen, wie es sich anfühlt, wenn Arbeit und Einkommen voneinander getrennt sind. Rudolf Steiner hat diese Idee schon vor hundert Jahren in seinem Nationalökonomischen Kurs angeregt. Sie ist einer meiner Beweggründe für ein bGE.
Was mir aber darüberhinaus immer klarer wurde, ist die Ungerechtigkeit, die unserem Sozialsystem nach wie vor anhaftet: Dass Frauen, die sich ganz der Kindererziehung gewidmet haben, ohne angemessene Rente alleine gelassen werden.
Was für ein fortdauernder trauriger Zustand. Anstatt zu schützen, dass Menschen bereit sind, ihre Zeit der Kindererziehung zu widmen, werden heute diese Mütter oder Väter und insbesondere Alleinerziehende gezwungen, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen und stattdessen die Kinderbetreuung anderen zu überlassen, wenn das für sie überhaupt möglich ist. Ich möchte damit nicht gegen Kitas und Kindergärten wettern, auch nicht gegen Berufstätigkeit von Müttern, sondern ich möchte einfach den Wert der häuslichen Erziehung hervorheben. Die könnte unter anderem ein bGE ermöglichen.
Wir haben in München einen Chairwalk für das bGE ins Leben gerufen. Bei diesem monatlichen Treffen in den wärmeren Monaten, bringt jeder einen kleinen Klappstuhl mit, um schon mal Entschleunigung zu versinnbildlichen. Wir stellen uns miteinander die Frage nach »dem Menschen«, der wir sein wollen. Die Frage, die die Schweizer Initiative bei ihrer Volksabstimmung zum bGE 2016 formuliert hat, hilft dabei. »What would you do, if your income were taken care of?« Wir tragen sie auf Tafeln gemeinsam ruhig sitzend im öffentlichen Raum, der uns allen gehört, zur Schau. Es geht dabei nicht nur um das Gesehenwerden, es geht auch darum, dass es eine Kraft gibt, sich gemeinsam zu besinnen. Ohne gleich Antworten zu haben, kann sie die Menschen öffnen und den Blick in die Zukunft verändern. Machen wir sichtbar, dass wir anfangen möchten, gemeinsam umzudenken. Europa ist ein wertvolles Ziel, aber ein noch globaleres Ziel ist die Idee eines weltweiten Grundeinkommens.
Wenn Sie die Frage haben, wie realistisch es ist, dass demnächst ein Grundeinkommen eingeführt wird, dann fragen Sie sich bitte vorher noch, wie realistisch es ist, dass wir so weitermachen können, wie bisher.
Also auf bald hoffentlich beim Chairwalk …
Es handelt sich darum, alles zu leben
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antwort hinein.
Rainer Maria Rilke
Die vorher jeweils gemeldeten Chairwalktermine in München finden 2019 am letzten Sonntag in jedem Monat um 14 Uhr statt. Erster Treffpunkt ist am 28.4. beim Walking Man in der Leopoldstraße.
Mehr dazu unter
www.gabriele-von-moers.jimdo.com
Zur Autorin: Gabriele von Moers (geb.1955) ist verheiratet und Mutter von vier erwachsenen Söhnen. Sie schloss ein Lehramtsstudium in Germanistik und Biologie in Tübingen ab. Seit 2009 ist sie engagiert in der Grundeinkommensinitiative München. In diesem Zusammenhang organisierte sie Kongresse und Veranstaltungen zum Thema mit. So wurde sie auch Regisseurin der Dokumentarfilme: »Wirtschaft anders denken und das bedingungslose Grundeinkommen« und »Kann MannFrau«. Ihr neuer Film »Mensch Mutter – ein langer Weg zum Grundeinkommen« ist autobiographisch und setzt sich erneut mit dem Thema Familie und Grundeinkommen auseinander.