Der Artikel von Werner Kuhfuss behandelt das wichtige Thema »Beobachtung« leider in einer für mich enttäuschenden Weise. Es fängt damit an, dass der Autor die Begriffe »Wahrnehmung« und »Beobachtung« in eigenwilliger Weise benutzt, die sich nicht nur von der allgemeinen Verwendung, sondern auch von der Verwendung im »Waldorfzusammenhang« deutlich unterscheidet. Hier wäre eine Begriffsdefinition am Anfang sinnvoll gewesen.
Die Verwendung eines Beobachtungsbogens muss nicht zwingend negativ und einengend sein, wie er schreibt. Ein Beobachtungsbogen kann auch zur genauen Beobachtung anregen, ähnlich der Situation, dass eine erfahrene Erzieherin neben mir steht, die sagt: »Achte doch mal auf dies oder das«. Dann kann der Beobachtungsbogen meine Wahrnehmungsmöglichkeiten als Erzieher oder Pädagoge erweitern. Warum soll man in seiner Wahrnehmungsfähigkeit »verkümmern«, wenn man einen Menschen beobachtet? Warum reduziert eine von ihm unterstellte »vermeintliche Objektivität« das Kind auf einen »Maßstab«? Warum ist die Beobachtung ein »Kälteprozess«? Warum soll durch einen Beobachtungsbogen »generalisiert« werden? Warum ist der beobachtende Blick defizitär? All das sind (negative) Wertungen, die vom Autor weder erläutert noch begründet werden.
»In der Wahrnehmung nimmt man das Wahre zu sich.« Dieser Satz wird im Folgenden nicht weiter erläutert und bleibt so unverständlich. Es scheint, als ob für den Autor »Beobachtung« und »Urteil« eins sind, er kann diese nicht trennen. Gerade dies ist aber die Voraussetzung für eine »goetheanistische Haltung«. Das Thema »Schulung der Beobachtung« ist wesentlich bei allen Waldorfausbildungen – dies scheint dem Autor nicht bekannt zu sein. Und, um Steiner zu zitieren: »Beobachten und Denken sind die beiden Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Menschen …« (»Philosophie der Freiheit«)