Bessere Bezahlung und gesellschaftliche Anerkennung

März 2016

Im Gespräch mit Rita Schuder aus der Wiegestube »Vogelnest« in Bramsche.

Katharina Offenborn: Warum wünschten Sie sich eine Krippenberatung?

Rita Schuder: Nachdem ich 2010 meine Weiterbildung beendet hatte, fühlte ich mich noch nicht erfahren genug. Wir merkten auch als Team im Laufe des ersten Jahres, was für eine »Not« wir hatten. Denn wir waren im Krippenalltag in der Hauptsache damit beschäftigt, »den Kopf über Wasser zu halten«.

KO: Wo lagen die Probleme?

RS: Im Sommer 2015 blickten wir auf vier Jahre Krippenerfahrung zurück. Unsere Einrichtung entsprach zwar den Anforderungen des Niedersächsischen Kindertagesstätten-Gesetzes, das eine Gruppengröße von 15 Kindern sowie einen Personalschlüssel von 1:7,5 gestattet. Diese gesetzlichen Rahmenbedingungen ließen sich jedoch nicht mit unserer konzeptionellen Idee vereinbaren, die Wiegestube als entwicklungsförderlichen Schutzraum zu gestalten. Als Fachkräfte erlebten wir damals täglich, wie unsere räumliche Aufstellung und die gesetzliche Regelung zum Personalschlüssel unsere Arbeit erschwerten. Aufgrund der engen räumlichen Gegebenheiten und der Gruppengröße von 15 Kindern hatten wir zum Beispiel große Schwierigkeiten, im Alltag sanfte Übergänge zu schaffen und auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Altersstufen einzugehen. Hinzu kam, dass unsere Öffnungszeit bis 13 Uhr den vorwiegend berufstätigen oder alleinerziehenden Eltern nicht ausreichte und sie zusätzlich Tagesmütter einbeziehen mussten, um die Kinder von der Krippe abholen zu lassen. Aufgrund der kurzen Öffnungszeit konnten wir den Krippenkindern auch keine Schlafenszeit gewähren, wie es jedoch dem rhythmischen Ablauf und dem Alter entsprochen hätte. Das hat sich negativ auf die gesamte Abholsituation ausgewirkt, da die Kinder beim Abholen müde und gereizt waren. Oft schliefen sie im Auto der Eltern ein. Bedingt durch die Gruppengröße litten Kinder, wie Betreuer außerdem sehr unter der täglichen Lärmbelastung im Raum.

KO: Welche Anforderungen stellten die nötigen Veränderungen an Sie?

RS: Wir mussten unsere Praxiserfahrung immer wieder auf den Prüfstand stellen und uns zu strukturellen Veränderungen wie eine längere Öffnungszeit durchringen. Diese gesamte Konzeptfindungsphase dauerte über drei Jahre. Seit Beratungsbeginn haben wir folgende Maßnahmen ergriffen:

• Die Gruppe wurde bedürfnisorientiert geteilt: Die 2-3jährigen gehen morgens mit einer Erzieherin direkt hinaus, sodass die 1-2jährigen geschützt und ungestört im Gruppenraum ihrem Spiel nachgehen können.

• Wir ließen eine Schalldämmung in den Gruppenraum einbauen, da sich im Rahmen der Beratung herausstellte, dass die Lärmbelastung im Raum für alle zu hoch war.

• Wir definierten die Zuständigkeit für das eigene Bezugskind klarer: Bezugsperson wurde, wer das Kind durch die Eingewöhnung begleitet und so ein umfassendes Bild von Kind und Elternhaus bekommen.

• In den wöchentlichen Teamsitzungen begannen wir, den Tagesrhythmus und die Gestaltung sanfter Übergänge bewusster in den Blick zu nehmen und unsere Arbeit gemeinsam zu reflektieren, z.B. auch dahingehend, wie situatives Handeln im Tagesablauf möglich wird. Ein wichtiger Punkt ist die Aufgabenverteilung: wann was von wem gemacht wird.

Weitere strukturelle Verbesserungen waren, dass wir ein Mittagessen einführten, die Öffnungszeit bis 14.30 Uhr verlängerten und unseren Dienstplan änderten, um einen gesunden Arbeitsrhythmus für die Kinder und uns zu ermöglichen. Seit der Krippeneröffnung 2011 hatten wir eine dritte Kraft zur Verfügung, anteilig finanziert von der Stadt, dem Sozialwerk und der Elterninitiative »Wir wollen drei«. Ab 2016 wird diese Stelle zu 60 Prozent finanziert.

KO: Was haben diese Veränderungen bewirkt?

RS: Dass sich die Veränderungen gesundend auf die Kinder ausgewirkt haben. Wir können heute den Eltern zufriedene, ausgeruhte und satte Kinder übergeben. Die Infektanfälligkeit ist zudem spürbar gesunken. Die Kinder können sich jetzt vertrauensvoll dem Wiegestubealltag hingeben. Sie spüren: »Für mich wird gut gesorgt. Ich kann warten, da ich weiß, dass ich drankomme. Ich werde gesehen.« Auch die Spielatmosphäre hat sich positiv verändert. Die Kinder sind viel mehr mit sich und ihrem Spiel beschäftigt. Der neu rhythmisierte Dienstplan wirkt sich auch salutogenetisch auf uns als Betreuungspersonen aus: Jeder hat jetzt genug Zeit und kann gut für sich sorgen – was eine wesentliche Voraussetzung ist, um auch gut für das kleine Kind sorgen zu können.

KO: Wie ist das Verhältnis mit den Kollegen vom Kindergarten?

RS: Anfangs stand das Kindergartenkollegium der Kleinkindbetreuung skeptisch gegenüber. Mittlerweile haben sie die gesellschaftliche Notwendigkeit erkannt und akzeptiert. Hilfreich war dabei, dass die Kolleginnen in der Wiegestube hospitierten und jetzt besser nachvollziehen können, worum es uns geht. Wir stehen in regem Austausch.

KO: Wie reagierten die Vorstände auf die Änderungen?

RS: Die notwendige Schalldämmung wurde finanziert. Auch die Kosten für die Weiterbildungen wurden im Laufe der Zeit übernommen.

KO: Welche Wünsche sind noch offen?

RS: Dass die Arbeitgeber familienfreundliche Bedingungen schaffen und den Eltern den Druck nehmen, in dieser Arbeitswelt funktionieren zu müssen. Dabei die Würde des kleinen Kindes zu sichern, sehen wir als persönliche, aber auch als gesellschaftliche Verantwortung. In diesem Sinne sehen wir uns auch als Anwälte der Kinder, die einerseits ihre Stimme für gesunde Entwicklungsbedingungen in unseren Einrichtungen erheben, die aber andererseits auch bereit sind, an sich selbst zu arbeiten, wissend, dass eine gesunde Entwicklung auch vom Bewusstsein und der Beziehungsfähigkeit der Bezugsperson abhängig ist. Die Gestaltung der Beziehung mit dem Kind braucht Raum – nicht nur physisch, sondern auch geistig und seelisch.

Wenn eine Mutter oder ein Vater ihre berufliche Karriere zugunsten ihres Kindes zurückstellt und sich in den ersten Jahren komplett der Erziehung ihres Kindes widmet, verdient sie höchste Anerkennung von der Gesellschaft.

Eltern die sich für eine Fremdbetreuung entscheiden, sollten dem Kind das erste Jahr zu Hause ermöglichen. In dieser Zeit sind gesunde Beziehungen zu Mutter und Vater von großer Wichtigkeit, was sich positiv auf die Biographie des Kindes auswirkt.

Das hat wiederum Auswirkung auf die künftige Prägung unserer Gesellschaft und Kultur.

Für uns als Pädagogen wünschen wir uns seitens der Gesellschaft mehr Anerkennung und Wertschätzung unserer verantwortungsvollen Arbeit, was sich auch in einer besseren Bezahlung niederschlagen sollte, damit auch wir einmal gesund und würdevoll in Rente gehen können.

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