Bildung ins Asyl geschickt

Mathias Maurer

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Nachricht ging wie eine Sturzsee über die deutsche Bildungslandschaft: Ein Richter in Tennessee hat entschieden, einer deutschen, streng christlichen Familie in den Vereinigten Staaten politisches Asyl zu gewähren, da die Eltern ihre Kinder in ihrem Heimatland zu Hause nicht unterrichten durften. Die deutschen Behörden versuchten, so der Richter, diese »soziale Gruppe« zu »unterdrücken«, sie lösten »Furcht vor Verfolgung« aus und handelten nicht im Interesse der Kinder. Das widerspreche allem, woran die Amerikaner glaubten.

Anders als in Deutschland ist es in den Vereinigten Staaten Eltern erlaubt, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten. Rund zwei Millionen amerikanische Kinder genießen dieses Privileg. Sie legen die gleichen Abschlusstests ab wie die Schüler an den öffentlichen oder privaten Schulen und schneiden meist besser ab als ihre Jahrgangskollegen an öffentlichen Schulen. »Homeschoolers« dürfen danach an öffent lichen oder privaten Universitäten studieren.

Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, hielt dagegen, dass »Homeschooling« Bildungschancen verbaue und Sektierertum fördere. Das amerikanische Gericht stelle Deutschland auf die Stufe einer Bananenrepublik und eines Unrechtstaates. Es sei zu befürchten, dass besonders bei Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund verstärkt »Abstinenz gegenüber solider schulischer Bildung praktiziert würde«. Wer »Homeschooling« zulasse, müsse konsequenterweise auch privat organisierte Koranschulen zulassen, so Kraus’ gedankliche Hacke.

Das Urteil des amerikanischen Gerichts zeigt, zwei Auffassungen von der Rolle des Staates, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Für Richter Lawrence Burman ist es selbstverständlich, dass Eltern das individuelle Recht haben, frei zu entscheiden, wo und wie ihre Kinder unterrichtet werden. Diese Vorstellung ist Lehrerpräsident Kraus ein Graus; er bleibt mit seinem Schiff lieber im sicheren Hafen paternalistischer Vormundschaft. Es könnte sonst in raue See und in fundamentalistische Stürme geraten. Religiöse Untiefen allerorten.

Wo kommen wir denn da hin, wenn in Sachen Bildung jeder herumschippert, wo er will?

Kraus hält Eltern für Hobbysegler, die sich der Hafenaufsicht zu entziehen versuchen. Diejenigen, die sich diesem System aus religiösen Gründen verweigern oder gar aus fernen Ländern kommen, gelten ihm als suspekt und gefährlich.

Unser Bildungswesen verkommt tatsächlich zur Regatta auf Binnengewässern, wenn nicht Freiheitswind und Sehnsucht nach dem großen Meer die Segel unserer Schiffe blähen. Ahoi, Kapitäne, raus aus den Häfen!

Aus der Redaktion grüßt

Mathias Maurer