Brücke zwischen Forschung und Praxis. Graduierten-Kolleg der Alanus Hochschule sucht junge Talente

Erziehungskunst | Was verbindet Sie mit der Arbeit des Graduiertenkollegs?

Dirk Rohde | Meine eigene berufliche Laufbahn pendelt zwischen den Welten der universitären Bildungsforschung und der Waldorfschulpraxis. Auch im Graduiertenkolleg sehe ich meine Aufgabe darin, Brücken zwischen diesen beiden Welten zu bauen.

EK | Das Graduiertenkolleg hat sich zum Ziel gesetzt, die Waldorfpädagogik stärker in den akademischen Diskurs einzubringen. Besteht Nachholbedarf?

DR | Prinzipiell ja, denn die Waldorfpädagogik spielt aus meiner Sicht immer noch eine zu geringe Rolle in der Erziehungswissenschaft. Punktuell spielt sie leider auch eine zu prominente Rolle, beispielsweise beim Thema Rassismus, auch wenn das eher ein Mediendiskurs ist. Aber auch in der akademischen Welt wird die Waldorfschule häufiger dann wahrgenommen, wenn es um Aspekte der Selektivität und vermeintlichen Exklusivität ihrer Klientel geht. Diese vor allem politisch motivierten Wahrnehmungen werden der Vielfalt der Waldorfschulbewegung nicht gerecht. Hier gibt es eindeutig noch viele unterbelichtete Bereiche, die stärker in den Fokus der akademischen Diskussion gerückt werden sollten.

EK | Welchen Beitrag kann aus Ihrer Sicht das Graduiertenkolleg dazu leisten?

DR | Der bisherige Beitrag des Graduiertenkollegs besteht darin, Vertreter der Erziehungswissenschaft und der Waldorfpädagogik zusammenzubringen und gemeinsam talentierte Nachwuchskräfte darin zu unterstützen, Forschungsprojekte zur Waldorfpädagogik zu bearbeiten. Das mündet in der Regel in eine erfolgreiche Promotion, begleitet von mindestens einem Mitglied des Kollegs und des öfteren einem weiteren Hochschullehrer, der nicht dem Kolleg angehört. Im Ergebnis liegt dann einerseits eine Dissertation vor, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Waldorfpädagogik enthält, und andererseits eine höher qualifizierte Fachkraft, die ihre neu gewonnenen Kompetenzen im Idealfall in die Waldorfschulbewegung einbringt und ihr neue wichtige Impulse gibt.

Perspektivisch wünsche ich mir vom Graduiertenkolleg eine noch stärkere Förderung der Promovenden, die besonders geeigneten Stipendiaten den Zugang zu einer akademischen Laufbahn erleichtert. Wenn eines Tages aus einigen Stipendiaten des Graduiertenkollegs Universitätsprofessoren würden, dann könnten sie dazu beitragen, dass die Waldorfpädagogik verstärkt im akademischen Diskurs wahrgenommen wird. Sie könnten darüber hinaus fundierte Lehrveranstaltungen zur Waldorfpädagogik anbieten und ihrerseits an dieser Pädagogik interessierte Nachwuchskräfte im universitären Bereich ausbilden und fördern.

EK | Wo sehen Sie besonderen Forschungsbedarf im Themenfeld Waldorfpädagogik?

DR | Ich halte es für das Wichtigste, dass Forschung in Richtungen betrieben wird, deren Ergebnisse anschließend auch von den Praktikern zur Kenntnis genommen, noch besser aber auch im pädagogischen Alltag berücksichtigt werden. Es gibt ja schon viele spannende Studien, und ich könnte eine Menge weiterer wesentlicher Forschungsthemen hinzufügen. Es gibt aber nach meinem Empfinden in der Waldorfschulbewegung insgesamt noch viel zu wenig Austausch über akademische Fragen und bereits vorliegende Forschungsergebnisse.

So hat die sogenannte WEiDE-Studie zu den Waldorfschuleltern in Deutschland aus dem Jahr 2017 hoch interessante Ergebnisse geliefert, die aber in der Bundesbewegung kaum rezipiert worden sind. Beispielsweise haben nicht einmal alle Schulen, die aufgrund genügend hoher Rücklaufquoten Anrecht auf eine kostenlose schulspezifische Auswertung hatten, dieses Angebot, ihre eigene Klientel genauer kennenzulernen, angenommen. Dabei hat diese Studie ein zentrales Forschungsdesiderat erfüllt. Wir haben damit endlich Fakten in der Hand, mit deren Hilfe wir Anwürfen, wir seien nur eine Schulbewegung für Reiche, begegnen können.

Ähnliches gilt beispielsweise auch für Studien wie »Autorität und Schule« von Werner Helsper und anderen sowie »Waldorfschule und Schülerbiographie« von Till-Sebastian Idel, beide aus dem Jahr 2007, die – soweit ich sehe – trotz aufschlussreicher Erkenntnisse zum Klassenlehrer-Beruf nahezu folgenlos für die Schulpraxis geblieben sind. Das finde ich sehr schade, denn das Klassenlehrerprinzip ist eines unserer Alleinstellungsmerkmale. Wir gehen von seinem großen Wirkungspotenzial aus und wissen zugleich, dass gerade dieser Unterricht auch hohen Risiken ausgesetzt ist.

Umso wichtiger erscheint es mir, die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse zur Kenntnis zu nehmen, z.B. zu den verschiedenen Möglichkeiten, wie es zu kontraproduktiven Spannungen zwischen Klassenlehrern und einzelnen Schülern kommen und wie man diesen sinnvoll begegnen kann. Es ist für das Graduiertenkolleg sicherlich keine leichte Aufgabe, in diesem Sinne weiterführende, wirksame Forschungsthemen zu erschließen. Man sollte versuchen, gezielt an Vertreter der Waldorfschulbewegung heranzutreten, um auf die Forschungsaktivitäten und -ergebnisse des Graduiertenkollegs sowohl im Schul- als auch im frühkindlichen Bereich aufmerksam zu machen. Und man sollte die bestehenden Strukturen wie die LAG- und Bundeskonferenzen nutzen, Forschungsthemen zu erfragen, die auf ein breiteres Interesse stoßen und für die Praxis wirklich von Bedeutung sind. Auch andere attraktive Formate sind denkbar, mit denen innerhalb der Waldorfschulbewegung auf die Forschungsarbeit zur Waldorfpädagogik aufmerksam gemacht werden kann.

Warum nicht mal ein Science Slam, in dem auf unterhaltsame und verständliche Weise die Forschungsprojekte und -ergebnisse des Graduiertenkollegs kurz und knapp präsentiert werden?

Das Interview führte Eric Bollmann (Alanus Hochschule).


Graduiertenkolleg Waldorfpädagogik

Das Graduiertenkolleg vergibt Promotionsstipendien an Doktoranden (derzeit max. EUR 1.500 monatlich für 3 Jahre) und begleitet die Promotionen mit Studienveranstaltungen, Kolloquien und wissenschaftlichen Fortbildungen.

Zur Zeit sind sieben Promotionen in Arbeit, elf Stipendien können noch vergeben werden. Informationen und Bewerbungsrichtlinien unter www.graduiertenkolleg-waldorfpaedagogik.de