Christlich-abendländische Wertegemeinschaft

Henning Köhler

Ich gehöre zu den Verfechtern des (umstrittenen) Menschenrechts-Universalismus, doch Krieg setzt die Menschenrechte systematisch außer Kraft und ist daher gewiss kein geeignetes Mittel, für sie zu werben. Letzteres kann nur durch geistige Überzeugungsarbeit geschehen – und durch Vorbildhaftigkeit.

Mit der Vorbildhaftigkeit »des Westens« steht es freilich nicht besonders gut. Ein von den Medien weitgehend ignoriertes Beispiel ist der Jemen. Seit März 2015 legt Saudi-Arabien, unterstützt von Bahrain, Katar, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten, das 26 Millionen Einwohner zählende Land in Schutt und Asche.

Die Allianz der Aggressoren erhält direkte militärische Unterstützung von den USA, indirekte von europäischen Ländern, darunter Deutschland. Tausende Zivilisten wurden getötet. Die medizinische Versorgung ist komplett zusammengebrochen. Rund 15 Millionen Menschen, darunter vor allem Frauen und Kinder, drohen zu verhungern, 20 Millionen sind von der Versorgung mit sauberem Trinkwasser abgeschnitten. Amnesty International spricht von schlimmsten Kriegsverbrechen. Und was meint unsere Regierung dazu? »Wir betrachten Saudi-Arabien als wichtigen Partner in einer krisengeschüttelten Region.«

Deutschland lieferte im ersten Halbjahr 2015 Rüstungsgüter in Höhe von rund 225 Millionen Euro an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Davon profitieren auch Al-Qaida und der IS. Die beiden Gruppen haben sich im Jemen zusammengetan und sind faktische Nutznießer des vom Westen protegierten saudischen Bombenterrors. Über der Hafenstadt Aden weht schon ihre schwarze Flagge.

Mehr als alles andere macht mich der Gedanke an das unsägliche Leid vieler tausend Kinder fertig. »Unsere christlich-abendländische Wertegemeinschaft« adelt Mörderbanden als »wichtige Partner« und bewaffnet sie. Wir haben wahrlich keinen Grund, uns als globale Moralapostel aufzuspielen. »Die durch die saudischen Luftschläge getöteten Zivilisten sind genauso unschuldig wie die Menschen, die in Paris getötet wurden« (The American Conservative).

Deutschland ist weltweit der drittgrößte Waffenexporteur. Unsere gegenwärtige Regierung betreibt das Geschäft mit dem Grauen besonders tüchtig. »Angela Merkel hat die (bisher) mit Abstand höchste Zahl auch an künftigen Toten und Verstümmelten durch deutsche Waffen zu verantworten« (Jürgen Grässlin). Zurzeit posaunt jeder Politiker in jedes Mikrophon, um der Flüchtlingskrise Herr zu werden, müssten Fluchtursachen beseitigt werden. Warum redet in diesem Zusammenhang (fast) niemand darüber, dass auf allen Kriegsschauplätzen rund um den Globus mit »westlichen« Waffen gekämpft wird? Rüstungsexporte zu stoppen, hat höchste Priorität!

Wir brauchen zudem eine neue Abrüstungsdebatte! Denn wer Gewalt sät, wird früher oder später Gewalt ernten.

Literatur: Nachrichtenmagazin Hintergrund, 1/16 | J. Grässlin: Schwarzbuch Waffenhandel, München 2013