Coaching für Waldorf-Anfänger

Der Kulturpädagoge Sebastian Sonntag vom Institut für Organisations- und Persönlichkeitsentwicklung in Bonn ist ehemaliger Waldorfschüler und Schülervater an der Waldorfschule Sankt Augustin. Die Schauspielerin, Sprachgestalterin und Waldorfpädagogin Annasofie Schneider, zur Zeit Klassenlehrerin und Mitglied des Schulleitungsteams an derselben Schule, hat gerade ihre erste Klassenlehrerzeit beendet und ist ebenfalls ehemalige Waldorfschülerin. Beide bieten das Format »Coachingclass Waldorflehrende: vom Zertifikat zur Lehrerpersönlichkeit« an, das zum Ziel hat, die Abbrecherquote der Berufseinsteiger zu senken und Qualitätsstandards einer professionellen Haltung zu vermitteln. 

Erziehungskunst | Herr Sonntag, worin besteht der aktuelle Anlass Ihrer Initiative zur Schaffung eines schulübergreifenden Angebots zur Einarbeitung junger Waldorflehrer?

Sebastian Sonntag | Da ich mich beruflich seit einigen Jahren verstärkt mit der Förderung von Führungskräften in dynamisch komplexen Systemen nach den Prinzipien Vision‚ Verstehen, Klarheit und Agilität (VUCA) beschäftige, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Natürlich sind Lehrer auch Führungskräfte und stehen in Zeiten schnell wachsender Komplexität und Digitalisierung vor ähnlichen Herausforderungen und Chancen. Daraufhin prüfte ich den Bedarf und fand Bestätigung in einer Studie der GAB München, in der sich Forscher damit auseinandergesetzt hatten, warum nur 54 Prozent der Menschen, die sich für den Beruf des Waldorflehrers entscheiden, ihn letztlich langfristig ausüben. Diese Zahlen sind keine fünf Jahre alt und nach wie vor aktuell.

EK | Frau Schneider, welche Defizite erlebten Sie in Ihrer Ausbildungszeit?

Annasofie Schneider | Einem Masterkurs obliegt es, inner­halb von eineinhalb Jahren in die unterschiedlichen Themen grundlegend einzuführen. Es geht ja nicht nur um die Vermittlung einer besonderen Form von Pädagogik, sondern auch um die Idee der Selbstverwaltung und der Gremienarbeit, die wichtige Elemente der kollegialen Selbstverwaltung darstellen. Hinzu kommt die Kommunikation mit Schülern, Eltern und Kollegen, die schon mal in Arbeit ausarten kann. Für Quereinsteiger und solche, die neu in der Waldorfwelt sind, kann das anfangs eine nicht zu bewältigende Herausforderung darstellen.

EK | Sie haben nun acht Jahre Klassenlehrerzeit hinter sich. Warum springen so viele Berufsanfänger ab?

ASC | Ich denke, Waldorflehrer folgen einer Berufung. Nach der Ausbildung treffen diese Ideale auf äußere Strukturen – und werden mit der Realität abgeglichen. Das wird an den folgenden Aussagen aus der erwähnten GAB-Studie deutlich, in der es heißt: »Die kollegiale Selbstverwaltung gestaltete sich für mich zu schwierig«, oder auch: »Die psychosoziale Belastung erschien mir zu groß und ich bekam Zweifel, ob Waldorflehrer der richtige Beruf für mich ist.« Um diese Unsicherheiten bearbeiten zu können, braucht es den Blick von außen, weil laufende Systeme naturgemäß blind gegenüber Entwicklungsmöglichkeiten sind, die die notwendigen Erneuerungen einleiten könnten. Es wäre besser, wenn ein Berufsanfänger einen vertrauten Menschen zur Seite hat, der gerade nicht an der Schule arbeitet. Ansonsten besteht die Gefahr in Rollenkonflikte zu geraten, wenn beispielsweise die Entscheidung ansteht, ob der Anfänger aus der Probezeit übernommen wird.

EK | Herr Sonntag, warum halten Sie ein schulübergreifendes Einarbeitungsangebot für notwendig?

SSO | Jede Schule hat im Lauf der Zeit Lösungen der Einarbeitung gefunden. Daraus machen wir einen Mehrwert, indem wir uns vernetzen und den neuen Lehrern früh die Vorteile der digitalen Kollaboration zur Verfügung stellen.

EK | Warum ist der Bund der Freien Waldorfschulen in dieses Projekt eingestiegen?

SSO | Uns ist es gelungen, einen Rahmen zu gestalten, der eine stabile Struktur bietet und gleichzeitig viel Platz lässt für inhaltliche Arbeit. Gleichzeitig wurde die Anregung zur schulübergreifenden Zusammenarbeit und das Vertrauen in die Potenziale und den Willen der jungen Kollegen, das Beste aus sich und ihrem Beruf zum Wohl der Kinder herauszuholen, sehr wohlwollend aufgenommen.

EK | Und was heißt das genau?

SSO | Durch das Konzept der betreuten Klassen soll der Übergang zwischen Studium und Schulrealität gestaltet und ein organisierter Raum geboten werden, um sich Beratung, Austausch und Anregungen zu den Herausforderungen der Anfangszeit zu holen. Dafür bieten wir den Teilnehmern ein Konzept an, das auf Selbstmanagement, Austausch in der Peergroup, ähnlich wie im Studium, und die Begleitung durch ein Team von erfahrenen Lehrern setzt. Man tauscht sich auch ortsunabhängig, das heißt über digitale Kanäle mit bis zu 15 anderen Menschen aus, die in einer ähnlichen Situation sind, aber an anderen Schulen arbeiten und dementsprechend auf andere Lösungen kommen.

EK | Frau Schneider, Sie stehen in der Praxis. Warum halten Sie dieses Angebot für sinnvoll?

ASC | Ich hatte Gelegenheit, mitzubekommen, wie schwierig ein erstes Jahr sein kann, wenn man sich zu Beginn seiner Arbeit neben dem Organisieren der eigenen Klasse auch mit den jeweils bestehenden Strukturen auseinandersetzen muss. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn man in dieser Situation keinen Rückhalt durch den Austausch mit anderen in ähnlichen Situationen erlebt! Aus jetziger Schulleitungssicht wünsche ich mir starke Persönlichkeiten, die selbstbewusst ihre Schule mitgestalten wollen und können und mutig ihren Impulsen folgen. Für diese Handlungsfähigkeit braucht es einen soliden Werkzeugkasten der Marke »Selbstmanagement und Kommunikation«. Ich meine, die »Coachingclass« stellt dafür einen strukturierten Prozess zur Verfügung und bietet ein Netzwerk auf hohem Niveau. Mit Blick auf den anstehenden Generationenwechsel in den Kollegien und die Herausforderungen der Corona-Krise, halte ich dieses Konzept für zukunftsweisend.

Die Fragen stellte Mathias Maurer

Kontakt: sebastiansonntag@coachingclass.info