Computerepoche ab der Fünften
Als Rudolf Steiner die ersten Anregungen für den Lehrplan der Waldorfschule gab, erwartete er von den Lehrern, dass sie diesen weiterentwickeln würden. Dazu gehört es auch, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. Zumindest in ihren Grundlagen sollten wir die Maschinen, die wir täglich nutzen, verstehen, fand Steiner.
Die Waldorfschulen sind dieser Anregung gefolgt. Irgendwann hat es sich eingebürgert, die ersten Computerstunden in der achten oder neunten Klasse zu geben. Meistens geht es dabei um ein rudimentäres Verständnis der Funktionsweise, also der Digitalität. Im Laufe der Oberstufe lernen viele Schüler auch die Grundlagen des Programmierens.
Wie aber stellen wir Pädagogen uns dem Phänomen Computer als Alltagsgegenstand, als Kommunikationsmittel und Lebenserleichterer?
Hier sollen keine heiligen Kühe geschlachtet werden: Natürlich würde kein Waldorflehrer einen Computer in die erste Klasse stellen, oder auf das Einführen der Schreibschrift verzichten. Auch ist dies kein Artikel über das Internet, über Facebook, Cybermobbing oder Smartphones. Darüber wird viel geschrieben und diskutiert, gerade in Waldorfkreisen. Mir geht es um den Computer als solchen, am Schreibtisch, im Zug oder griffbereit in der Hosentasche. In meinem Klassenzimmer schreibe ich auf die Kreidetafel, auf Arbeitsblättern lesen die Schüler meine Handschrift. Aber diesen Artikel schreibe ich nicht mit dem Füller und sende ihn auch nicht per Post an die Redaktion. Der stumme, allzeit bereite Alltagsdiener Computer hat in den letzten zehn Jahren unser aller Leben schneller und oft auch bequemer gemacht. Wenn die heutigen Schüler erwachsen sind, wird er noch allgegenwärtiger, noch unverzichtbarer sein. Das kann man schlimm finden und richtigerweise auf mannigfaltige Kultur- und Umweltverschmutzung deuten – wegwünschen kann man ihn nicht.
Als Klassenlehrer denke ich, dass es an der Zeit ist, das Zeitphänomen Computer früher als bisher in unsere Arbeit einzubeziehen. Vor allem macht mir Sorgen, dass die Heranwachsenden den Rechner nur als Spielzeug zu betrachten lernen, wenn man sie nicht auf professionelle Weise heranführt. Auch wenn Eltern nur »pädagogisch wertvolle« Aktivitäten erlauben, ist doch der Computer in erster Linie zum Spielen da. Das ist auch ganz normal, weckt doch alles, was für Kinder relevant und interessant ist, erst einmal ihren Spieltrieb. Wie sonst lernen sie Sozialverhalten im Kindergarten, Englisch in der ersten Klasse und Bruchrechnen in der Vierten, wenn nicht durch Freude am Spiel? Waldorfkinder werden in der Regel später »an die Kiste« gelassen als ihre Altersgenossen im Regelschulsystem. Trotzdem haben viele von ihnen schon als Zehnjährige Erfahrung mit lustigen Videos auf Youtube, mit dem Betrachten von Urlaubsfotos, dem Herunterladen von Musik und der Kommunikation mit dem Freundeskreis oder der Verwandtschaft. Auch Großeltern skypen heutzutage! Hat nicht die Schule eine Verantwortung, den Kindern einen gesunden Umgang mit der »weichen« Technologie zu vermitteln? Unter »gesund« verstehe ich eine souveräne, selbstbewusste Behandlung und Bedienung der Maschine. Wie ein guter Autofahrer lasse ich mein Gerät nur so funktionieren, wie ich es von ihm will. Schließlich fahre ich nicht immer Höchstgeschwindigkeit, auch wenn das technisch möglich wäre, und beim Brötchenholen und für den Schulweg lasse ich den Wagen in der Einfahrt. Die Maschine wird von mir genutzt, hat aber keine Macht über mich. Ich habe ihre Möglichkeiten und Gefahren verstanden und kann mit ihr vernünftig umgehen.
In der gesamten Unter- und Mittelstufe arbeiten wir daran, dass sich die Schüler gute Gewohnheiten aneignen: Wir lernen das Melden, Geradesitzen, Schönschreiben, das Kopfrechnen und das Einmaleins nicht aus Büchern, sondern durch wiederholtes Tun. Sollten wir nicht auch zu gegebener Zeit am Computer üben?
Ich könnte mir gut eine Epoche in der fünften Klasse vorstellen, in der Waldorfschüler lernen, wie man aufrecht und entspannt am Computer sitzt und mit zehn Fingern tippt, ohne dass man dabei auf die Tastatur schauen muss. Es gibt dafür recht ordentliche Softwareprogramme, und Computerräume sind ja inzwischen auch in Waldorfschulen eine Selbstverständlichkeit. Wenn die Schüler auf diese Weise gute Gewohnheiten gelernt haben, kann man ihnen auch gestatten, gelegentlich Aufsätze, Referate und Briefe zu tippen, statt sie ins Epochenheft zu schreiben. Wer sich wie ich das Tippen selber beigebracht hat, macht öfter unnötige Fehler, sitzt schlecht und strengt seine Augen viel zu sehr an. Auch verschwende ich oft Zeit, wenn ich nicht so ganz kapiere, wie die Software in meinem Gerät mir die Arbeit erleichtern kann. Warum sollte man nicht wie bisher bis zur Oberstufe warten? Weil das erstens eine willkürliche Grenze ist, und zweitens die Schüler dann schon drei oder vier Jahre Zeit hatten, sich schlechte Gewohnheiten anzueignen. Wie mühsam es ist, sich diese wegzuerziehen, wissen wir alle aus Erfahrung.
Schon heute ist es so, dass Erwachsene außer mit der Urlaubspostkarte kaum noch per Handschrift kommunizieren. Wie wird sich der Trend zur Tastatur in zehn, zwanzig, fünfzig Jahren weiterentwickelt haben? Uns Lehrer mag das nicht mehr direkt betreffen, unsere Schüler von heute allerdings sind dann mitten im Berufsleben, und werden es uns danken, wenn sie von uns den verantwortungsvollen Umgang mit dieser allgegenwärtigen Technologie gelernt haben.
Ich halte das souveräne, selbstständige Beherrschen einer wichtigen Arbeits- und Alltagshilfe für eine Kulturleistung, die zu erlernen ein elfjähriges Kind nicht zu jung ist. Wie sehen das Eltern, Kollegen, Ärzte und Therapeuten?
Beris Wächter, Berlin, 01.03.12 19:03
Rudolf Steiner sagte mal in einem Vortrag, dass das Medium des Buches ahrimanisch sei. Anstatt nun, wie man fälschlicherweise meinen könnte, keine Bücher mehr zu lesen und zu schreiben, betonte Steiner, dass man gerade darum sich auf anthroposophische Weise mit dem Medium auseinandersetzen solle, es auf anthroposphische Weise gestalten und nutzen solle. Worauf ich hinweisen will – und damit schließe ich mich Sven Saar in seiner Kernaussage an –, ist, dass es nicht darauf ankommt, ob ein bestimmtes Medium schlecht sei und es dann zu verdammen, sondern es auf sinnvolle Weise zu nutzen und zu gestalten. Vor allem, wenn es ein Ding der Unmöglichkeit ist, es aus unserem Alltag zu verbannen. Wie absurd die Vorstellung ist, ein im Leben stehender Mensch verschließe sich dem Medium Buch, scheint augenscheinlich. Genauso absurd scheint die Vorstellung, man verschließe sich dem Medium Computer - zumal ja jedes Telefon mittlerweile ein kleiner Computer ist. Wenn dies auch vor wenigen Jahren vielleicht noch nicht so schien, scheint es in wenigen Jahren vielleicht schon weniger absurd, sich Büchern zu verschließen als Computern. Es ist ein Muss, unseren Kindern einen gesunden Umgang mit diesem Medium beizubringen. Das schließt natürlich mit ein, dass ein Heranführen an das Medium erst dann sinnvoll ist, wenn es einem Kind nicht per se schadet und vielleicht schadet ein spielerischer Umgang ihm zu Anfang am wenigsten.
Sven Fischer, 05.03.12 11:03
So wie Kinder lernen, die "Werkzeuge" Messer und Feuer verantwortungsvoll und sicher zu nutzen, so muss ihnen auch im entsprechenden Alter das Werkzeug Computer näher gebracht werden. Der Computer ist ein Werkzeug unserer Zeit, das positive wie negative Facetten hat. Ein Verbot macht den Computer nur interessanter und führt wahrscheinlich eher zu einer ungewollten Nutzung als die verantwortungsvolle und wohl dosierte Heranführung an das Gerät. Auch ich schließe mich Sven Saar und meinem Vorkommentator an. Die Kinder müssen rechtzeitig im verantwortungsvollen Umgang mit dem Medium Computer geschult werden und sich kritisch damit auseinander setzen.
Cornelia Schmied, Siegen, 07.03.12 18:03
Den Kindern einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Computer vermitteln, gute Haltung, Tastaturfähigkeit, Alltagstauglichkeit. Klingt gut, ist für mich aber ausgedacht.
Warum dürfen die Kinder in der Waldorfschule nicht mit dem Medium Buch umgehen lernen?
Bevor es aus der Mode kommt?
Ich denke, daß der zeitliche Aufwand, Kindern Tastatur, Haltung, Umgang mit dem "Diener und Arbeitserleichterer" Computer den Stundenplan sprengt, da ja für so vieles auch gar nicht genug Zeit bleibt.
Außerdem ist da die Erwachsenenwelt, die nun nicht unbedingt das Vorbild der reinen Zwecknutzung des Computers lebt.
Wir sind doch auch abhängig, unkontrolliert und "spielend" am Gerät.
Ansonsten denke ich, daß der Umgang mit dem Computer schon viel früher als mit dem 11. Lebensjahr zu Hause stattfindet und da Gewohnheiten angelegt werden.
Ita Gutjahr-Osthoff, Stuttgart, 07.03.12 22:03
Auf die Frage von Sven Saar möchte ich als Eltern einfach eine Dankeschönantwort geben:
Danke für diese schöne Formulierung der Kulturleistung, die unsere Kinder nicht versäumen sollten, möglichst früh zu erlernen. Ich wünsche mir, dass sich diese Ansicht und Einsicht möglichst bald auf alle Waldorfschulen respektive ihre Lehrer und Eltern überträgt!
Hermann , 13.03.12 21:03
In Amerika ist man offensichtlich schon wieder weiter - siehe Link
http://www.nytimes.com/2011/10/23/technology/at-waldorf-school-in-silicon-valley-technology-can-wait.html?pagewanted=all
Josef Krückels, 23.03.12 07:03
Ist Feuer schädlich?
So ungefähr empfinde ich die derzeitige Frage, ob das Medium »Computer« mit seinen Erscheinungen Internet & Co schädlich für unsere Kinder ist oder nicht. Fakt ist, weder Feuer noch die Computer-Technologie sind aus unserem Alltag wegzudenken. Also müssten wir uns doch fragen, wie wir es schaffen (Kinder und Erwachsene!) mit diesem Medium richtig umzugehen.
Ich halte es für absolut falsch sich dieser Technologie nicht konstruktiv zu stellen. Angstmachen oder es verurteilen macht nur ein schlechtes Gewissen und hat zur Folge, dass wir nicht mehr offen darüber reden. Wir müssen alle lernen mit bekannten wie neuen Medien umzugehen. Auch das Kinderbuch, in dem die Waschmaschinentechnik »kindgerecht« erklärt wird, kann fatale Folgen haben. Siehe hierzu als Beispiel »Technik bei uns zu Hause«, Ravensburger Buchverlag. Hier wird eine kleine Ente in der Waschtrommel als Belustigung gewaschen. Niemand darf sich dann wundern, wenn Kinder ihre Meerschweinchen nach dem Baden in der Mikrowelle trocknen! – Wenn im Hörbuch »Faule Tricks und nasse Füße« ein kleiner Junge als Detektiv namens »Kwiatkowski« einen Fall löst und mit dem überführten Täter alleine ins Auto steigt, um mit ihm zu seinem Versteck zu fahren, dann sollten wir uns nicht wundern, wenn …! -
Soweit zur allgemeinen Betrachtung.
Auch die Computertechnologie besitzt ein Gefahrenpotential, das man zu erkennen erst lernen muss. Wenn es uns gelingt, unsere Kinder stark zu machen, dann können sie auch selbst entsprechend handeln, z.B. wenn sie im Internet aufgefordert werden, persönliche Dinge preiszugeben. Sie müssen lernen mit jedem Medium und seinen Tücken/ Schattenseiten richtig und kritisch umzugehen. Nach meiner Meinung müssen wir unseren Kindern, wie beim Feuer, den richtigen Umgang mit der Computer-Technologie vermitteln. Dazu ist es aber notwendig, sie zu kennen und nutzen zu dürfen. Ob das erst in der fünften Klasse sein sollte, wage ich zu bezweifeln. Übrigens: Wenn wir es ihnen nicht zeigen, dann tun es andere!
Herzliche Grüße und eine gute Zeit
Josef Krückels
P.S.: Vater eines neunjährigen Jungen an der Waldorfschule!
Stefan Oertel, Mannheim, 23.03.12 14:03
Die Platzierung des Computerunterrichts irgendwo nahe der Oberstufe hat meiner Meinung nach gute Gründe und ist nicht willkürlich. Zweites Lebensjahrsiebt: da geht es um die Dimension des Fühlens. "Die Welt ist schön." Maschinen sind das Gefühlloseste, was es gibt. Sie sind wunderbar klar, präzise und geradlinig, aber in dieser Klarheit sind sie seelisch kalt. Man lässt sich durch die bunten Bildchen im Internet darüber gern hinwegtäuschen! Zum dritten Jahrsiebt (Motto: "Die Welt ist wahr.") will mir diese Art der unterkühlten Klarheit eher passen als zum Jahrsiebt der Griechenland-Epoche (5. Klasse!).
Der Artikel spricht nun vom Erüben eines praktischen Umgangs mit dem Computer. Das Problem ist, dass man mit den gegebenen Argumenten auch begründen könnte, dass der Computerunterricht schon im Kindergarten beginnen sollte. Oder dass man die ersten Stunden der Fahrschule am besten in die 1. Klasse verlegt. Und Mathematik könnte man ja auch schon in der Kinderkrippe betreiben, oder? Man kann die guten Gewohnheiten eben gar nicht früh genug anlegen...
Die Frage ist doch: mit welcher Intention bringt man einen bestimmten Unterrichtsinhalt an Kinder eines bestimmten Alters heran? Ist unsere Vorstellung vom sogenannten "praktischen Leben", von dem wir heute glauben, dass es in Zukunft viel mit Computern zu tun haben wird, der rechte Wegweiser für Unterrichtsinhalte in der 5. Klasse? Mein Gott, dieses "praktische Leben" suggeriert uns doch heute alles Mögliche!
Und: "Beherrscht" man eine Maschine dadurch besser, dass man den Umgang mit ihr früher einübt? Oder beherrscht man nicht allein das, was man durchschaut? Dann wären wir doch wieder in der Oberstufe?
In einer Richtung könnte ich mir in den unteren Klassen die Beschäftigung mit (Computer-)Technik aber wirklich vorstellen: Man muss den Schülern altersgemäße Bilder liefern, die sie die Eigenarten des Maschinell-Technischen allgemein und im Konkreten so empfinden lassen, dass sie es seelisch durchschauen. Das geht über bestimmte Unterrichtsinhalte oder Sprüche wie diesen (der eher für die Unterstufe geignet ist):
"Warum blickt die Straßenbahn
alle Kinder traurig an?
Ach, denkt sie, ich fahre nur
immer in derselben Spur,
immer nur im Kreis herum:
Bahnhof, Zoo, Aquarium."
Dieser Spruch betont und entlarvt nun die tragische Begrenztheit alles Maschinellen. Es lassen sich sicher AUCH Bilder finden oder entwickeln, die demgegenüber noch andere, mehr positive Aspekte betonen, zum Bsp. die Dankbarkeit, die wir den Technologien gegenüber auch zu empfinden haben.
Ob man dann in der Mittelstufe auch mal übt, vor dem Computer zu sitzen oder nicht, muss der Lehrer in der konkreten Situation entscheiden. Mir wäre nur das Argument, dass das Leben heute eben so und so sei und deshalb dies oder jenes erfordere, menschenkundlich zu dünn.
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