»In Zukunft wird jeder fünfzehn Minuten berühmt sein«, lautet ein berühmter Satz des amerikanischen Künstlers Andy Warhol aus dem Jahr 1968. Dass diese Zukunft da ist, zeigt die Allgegenwart von Reality Shows, elektronischen Netzwerken, Kurznachrichtendiensten und Castingshows, in denen das »Posen« zum Hauptinhalt geworden ist, koste es, was es wolle, und sei es um den Preis des Totalverlustes jeglicher Würde.
Man mag es als Frage der persönlichen Neigungen betrachten, ob sich ein Mensch zu dieser Lebensführung hingezogen fühlt. Allerdings stellt sich die Frage, wie lange wir überhaupt noch eine Wahl haben. Was wir im letzten Jahr über die Aufhebung jeglicher Privatsphäre durch die NSA und vermutlich die meisten anderen Nachrichtendienste erfahren haben, markiert schon für sich das Ende der Demokratie als freiheitlicher Staatsform.
Anfang des Jahres kündigte Amazon an, Waren bald an seine Kunden ausliefern zu können, bevor diese sie überhaupt bestellt hätten. Die Algorithmen der eingesetzten Software könnten aus dem Verhalten der Nutzer bereits antizipieren, was diese erst noch kaufen wollten. Suchmaschinen, Smartphone-Apps und die geballte Ladung persönlicher Daten auf Facebook und dergleichen liefern detaillierte Profile ihrer Nutzer, die keine Bewegung, keinen Einkauf, keinen Arztbesuch mehr unprotokolliert lassen. Der »gläserne Mensch« ist da. In der Logik des technisch Machbaren ist es nur eine Frage der Zeit, bis Krankenversicherungen, Justiz und Banken die Daten unserer Autofahrten, Zigarettenkäufe oder Kneipenbesuche auswerten und daraus ableiten, was sie mit uns anfangen sollen. Das eine Milliarde mal heruntergeladene Videospiel »Angry Birds« entpuppte sich als Spionageprogramm, das nicht nur die üblichen demographischen Daten, sondern auch die politische Einstellung, die sexuelle Präferenz und andere persönliche Verhaltensmuster ausforschte. Die totale Überwachung zieht notwendig die totale Manipulation nach sich, wie das paranoide Statement des ehemaligen Innenministers Friedrich, es gebe ein »Supergrundrecht auf Sicherheit« beweist.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz veröffentlichte am 6. Februar unter dem Titel »Warum wir jetzt kämpfen müssen« einen bemerkenswerten Beitrag in der FAZ, in welchem er den Kampf gegen die Totalüberwachung in seiner Bedeutung auf eine Stufe mit der Arbeiterbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts stellte. Es geht dabei nicht um Kulturpessimismus, sondern um die Rückeroberung der Souveränität der Menschen im öffentlichen und im privaten Raum.
Joseph Beuys zeigt uns einen Weg hierzu. Er lenkte den Blick auf die gemeinsame Arbeit an dem größten denkbaren Kunstobjekt, nämlich an der Zukunft der Erde selbst. Beuys sprach in diesem Kontext von der »sozialen Plastik«, die durch unser Handeln in jedem Augenblick gestaltet wird. Wir übergeben unseren Kindern die Welt genau so, wie wir sie mitgestaltet haben. Sprechen wir darüber. Es ist höchste Zeit.
PS: Gegen Kunst ist Paranoia machtlos.
Henning Kullak-Ublick, von 1984 – 2010 Klassenlehrer an der FWS Flensburg; Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen und bei den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners, Aktion mündige Schule (www.freie-schule.de)