Das Potenzial des WOW-Day

Der WOW-Day fand in diesem Jahr in einem größeren Rahmen statt: alle europäischen Waldorfschulen waren aufgerufen, sich zu beteiligen. Bei knapp 700 Waldorfschulen in Europa, ist die Zahl der Teilnehmer beachtlich. Die aktuellen Zahlen für 2011 liegen noch nicht vor. Doch zum Vergleich: Letztes Jahr haben Schüler aus 150 Waldorfschulen in 15 Ländern an einem einzigen Tag 320.000 Euro gesammelt. Dieses Geld kam 52 Waldorfinitiativen in 22 Ländern zugute. Seit 1994 haben Waldorfschüler durch den WOW-Day in ganz Europa insgesamt zwei Millionen Euro gesammelt, die zu hundert Prozent an Waldorfinitiativen weitergeleitet werden konnten.

Eine große Überraschung war die Teilnahme fünf außereuropäischer Länder: Brasilien, Kanada, den USA, Südafrika und Indien. Das macht den WOW-Day zu einer weltweiten Aktion mit enormem Entwicklungspotenzial, die einerseits bedürftige Waldorfinitiativen unterstützt und andererseits die Welt ins Klassenzimmer holt.

Olivia Girard


Drei Vögel mit einer Rute, Finnland

Ein regnerischer Herbstnachmittag in Mittelfinnland. Die Blätter der Bäume werden langsam rot und gelb. Die Straßen sind leer. Aber nein – da sind einige Leute unterwegs – es werden immer mehr – und sie rennen. Was ist da los?

Schüler, Eltern und Lehrer der Jyväskylä Waldorfschule haben im Park ein Rennen zum WOW-Day organisiert: Viel Gelächter, Musik und durchnässte fröhliche Menschen. Die Organisation des Happenings hat sich gelohnt. Sie hat den Schulgeist gestärkt – und den WOW-Projekten geholfen.

In allen finnischen Schulen gibt es die Tradition, einen Tag mit freiwilliger, gemeinnütziger Arbeit zuzubringen. Fast in jeder höheren Schule für 14- bis 18-Jährige nehmen die Jugendlichen an solchen jährlichen Projekten teil, die die UNICEF, Amnesty International, das Rote Kreuz und andere anbieten, um auf diese Weise Menschen in Not zu helfen.

Der WOW-Day ist unser Weg, uns am weltweiten Netzwerk der Unterstützung zu beteiligen. Wir machen es auf unsere eigene Art. Die Idee des WOW-Days ist wundervoll. Er vermittelt eine wirklichkeitsgemäße Vorstellung von der Ungleichheit in der Welt. Es bringt die Hilfsbedürftigkeit näher und macht sie leichter verständlich, wenn die, denen man hilft, in gewisser Weise genauso sind wie wir und dasselbe tun wie wir. Es ist auch wichtig, dass man die Kinder nicht zu sehr schockiert, dass die Bilder und Materialien zeigen, was man mit einem Projekt Gutes bewirkt, nicht nur die Verluste und das mitleiderregende Elend. Dies macht es besonders für jüngere Kinder leichter, damit umzugehen. Es ist wichtig für sie zu sehen, dass es Hoffnung gibt, dass man helfen kann und dass die Hilfe etwas bewirkt.

Beim WOW-Day fangen wir mindestens – so sagen wir in Finnland – »drei Vögel mit einer Rute«. Wir helfen  konkret, indem wir Geld für Menschen sammeln, die in Not sind. Wir erweitern unser Bewusstsein für das, was in der Welt vorgeht, indem wir das tun. Und es tut auch unserer eigenen Gemeinschaft gut, wenn wir einen Schritt zurücktreten und uns anderen zuwenden, wenigstens einmal im Jahr.

Vielleicht hatte die Idee des WOW-Days aus einem bestimmten Grund so leichtes Spiel mit den Waldorfschulen in Finnland. Die Idee nämlich, etwas für andere zu tun – weil alle sonstigen Veranstaltungen um die Schulen herum damit zu tun haben, für diese selbst oder für einzelne Klassen Geld zu sammeln. Unseren Blick zu erweitern ist äußerst wohltuend. Dieses Jahr haben die WOW-Day Aktivitäten in Finnland um mehr als tausend Prozent zugenommen. Die Hälfte unserer Schulen war diesmal dabei – Dank der gemeinsamen Anstrengungen der Lehrer und des finnischen Waldorfschulbundes. Wichtig war auch die Hilfe der Freunde in Berlin und die Zusammenarbeit mit ihnen war gut. Wir hoffen, dass uns der WOW-Day erhalten bleibt.

Die meisten Schulen, die sich beteiligt haben, setzten sich dieses Jahr für Projekte des WOW-Days ein. Aber einzelne haben begonnen, tiefer über die Frage der Internationalität nachzudenken und wie man sie im Schulleben sichtbar machen kann. Dass man einen Tag des Schuljahres dieser Frage widmet, das ist nicht zuviel. Man braucht nur ein bisschen Phantasie, um internationale Fragen mit dem täglichen Schul­leben oder Schulprojekten zu verknüpfen.

Wir sind gespannt, wie sich diese Veranstaltungen in den kommenden Jahren entwickeln werden und wie wir den WOW-Day weiter verbessern können, damit er auch in Zukunft jene Hauptrolle spielt, die er in unserer Schulbewegung übernommen hat.

Pia Pale, Koordinatorin, Federation for Steiner Waldorf Education in Finland | Übersetzung: Lorenzo Ravagli


Bunte Bänder in Benidorm, Spanien

Unsere Lehrer der 5. bis 8. Klasse sprachen mit uns über das schöne Erlebnis des Teilens und Helfens und die Bedeutung der Waldorfschulen. Sie erzählten, die Waldorfschulen hätten eine andere Art von Pädagogik, die die Kinder in ihrer Entwicklung begleite und das lehre, was sie gerade bräuchten. Am Ende unserer Gespräche wollten wir alle helfen.

Die 5. und 6. Klasse fertigte einen Wandteppich mit Frühlingsmotiven an, die 7. und 8. Klasse lernte, Armbänder aus Wollfäden herzustellen.

Später, bei der Eco Altea Messe verlosten wir den Wandteppich mit großem Erfolg, denn viele Besucher kauften Lose. Wir verkauften auch Armbänder für einen Euro das Stück am Stand der Schule. Nach zwei Tagen Arbeit auf der Messe erhielten wir unsere Belohnung, zusammen mit einer hübschen Summe Geldes.

Die nächste Gelegenheit, uns für den WOW-Day einzusetzen, war die Michaelifeier. Wir hängten ein Seil zwischen zwei Bäumen auf und ermunterten die Besucher, gegen eine kleine Spende für den WOW-Day ein Band mit ihrem Namen daran zu hängen.

Wir hatten Freude und Spaß und das auch noch für einen guten Zweck.

Lluna, 8. Klasse | Übersetzung: Lorenzo Ravagli


Schuhe putzen in Budweis, Tschechien

Die Budweiser Waldorfschule in Südböhmen hat in diesem Jahr zum ersten Mal am WOW-Day teilgenommen. Diese Premiere eröffnete den Schülern der 5. bis 8. Klasse den Blick für die weite Welt, aber auch den Passanten, die am 29. September am Stadtplatz vorbeigingen.

Im Sinne des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit bereiteten wir für die Einwohner von Budweis ein Programm vor. Es bestand aus einer öffentlichen Dienstleistung der Schüler der 6. Klasse. Diese boten den Passanten an, ihre Schuhe zu putzen. Sie konnten dabei auf bequemen Stühlen sitzen, sich ausruhen, Zeitung lesen oder Schach spielen. Kamen Passanten mit Kindern, spielten andere Schüler während des Putzens mit ihnen Brettspiele. Die Schüler machten durch ihre Kostüme die Stimmung der 1920er Jahre lebendig. In dieser Zeit war es üblich, sich die Schuhe auf dem öffentlichen Platz putzen zu lassen. Schüler der 7. und 8. Klasse begleiteten die Schuheputzer mit tschechischen und englischen Liedern aus dieser Zeit. Auf Informationstafeln erfuhren die Passanten vom Sinn unserer Aktion. Schüler der 5. Klasse verkauften selbstgefärbte Seidentücher. Weil über den WOW-Day in der Presse geschrieben und die Aktion vom Bürgermeister unterstützt wurde, kamen viele Leute vorbei und wir hatten die ganze Zeit viel zu tun.

Der Tag, den wir auf dem Budweiser Stadtplatz verbrachten, war sehr erfolgreich und es herrschte große Begeisterung. Wichtig waren nicht nur die Einnahmen, sondern auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit anderen Waldorfschulen, die an diesem Tag für die gleiche Aktion kooperierten. Es gelang uns 10.000 Kronen (etwa 385 Euro) einzunehmen. Wir freuen uns sehr auf das nächste Jahr.

Katerina Kozlova, Klassenlehrerin der 6. Klasse


Marathon für die Welt, Berlin

Der WOW-Day ist die Gelegenheit, sich mit realen Herausforderungen außerhalb des Klassenzimmers auseinanderzusetzen. Nach den schönen Sommerferien werfen wir in der 5. Klasse einen Blick nach innen: Welche Möglichkeiten gibt es, unseren eigenen Wohlstand mit anderen zu teilen?

Für meine Fünftklässler war es nie eine Frage, ob sie überhaupt am WOW-Day mitwirken sollten, aber sie wollten wissen, wie sie möglichst effektive Ergebnisse erzielen könnten. Als Klassenlehrer wünscht man sich dazu noch eine unmittelbare Verbindung zum Lehrplan und eine möglichst hohe Eigenverantwortung der Schüler. Da einer unserer Schwerpunkte dieses Schuljahres die Olympischen Spiele sind, war schnell klar, dass wir im Sport fündig werden würden. Als wir dann erfuhren, dass der diesjährige Berliner Marathon in der Michaeliwoche stattfinden würde, waren die Zeichen gesetzt. Wir beschlossen, als gesamte Klasse am Mini-Marathon teilzunehmen. Es blieben uns fünf Trainingswochen, die wir maximal ausnutzten, indem wir täglich bis zu sechs Kilometer liefen. Die Stimmung in der Klasse war großartig und die Kinder unterstützten sich gegenseitig, so dass auch die langsameren Läufer sich verbesserten. Jeden Morgen (im Hauptunterricht!) liefen wir durch die Parks von Berlin-Dahlem und um den nahe gelegenen Schlachtensee. Gelegentlich schlossen sich Eltern und Großeltern und sogar deren Hunde an. An warmen Tagen erlaubten wir uns danach noch einen kurzen Sprung in den See. Der darauf folgende Unterricht wurde mit großer Konzentration aufgenommen und wir schafften es, unsere gesamte Epoche ohne Lücken abzuschließen. Die Gemeinschaft unter den Kindern wuchs täglich und es bildeten sich neue Freundschaften. Besonders die Jungen genossen das intensive Lauftraining, obwohl die Mädchen am Tag des Marathons für die größere Überraschung sorgen sollten.

Jedes Kind hatte den Auftrag, sich zehn Sponsoren zu suchen, die unseren »Lauf für die Welt« unterstützen sollten. Dafür wurden Sponsorenbriefe geschrieben und schöne Poster hergestellt, die die mitfiebernden Eltern am Tag des Laufes als Streckenposten zum Ansporn hochhielten. Der eigentliche Lauf war ein hochemotionales Ereignis für die Kinder. Sie liefen zum einen durch die breiten, für sie abgesperrten Straßen Berlins und durch das Brandenburger Tor und zum anderen mit fast 10.000 anderen Schülern um die Wette. Als die Kinder das Ziel erreichten, standen ihnen Stolz und Zufriedenheit in die Gesichter geschrieben. Beim späteren Zählen des eingesammelten Geldes war die Freude bei knapp 3.000 Euro noch größer. Im Rechenunterricht, in dem wir gerade das Dezimalrechnen übten, wurden eifrig Gelder und Laufzeiten addiert. Alle Rechenbeispiele hatten einen unmittelbaren Bezug zu diesem Erlebnis.

Svenja Büntjen, Klassenlehrerin an der Rudolf-Steiner-Schule Berlin


Drachenkämpfe in Zagreb, Kroatien

Wir sind froh und auch ein wenig stolz: Wir haben das erste Mal, an einem WOW-Day teilgenommen. Für unsere Michaeli-Spiele wählten wir einen Park mit nahegelegenem See, den viele Eltern und Großeltern mit ihren Kindern am Wochenende besuchen. Das Wetter war großartig! Wir überquerten einen Fluss, um den Zaubertrank zu suchen, der einen für den Kampf mit dem Drachen stärkt. Wir liefen auf Stelzen durch Feuer, warfen Hufeisen und irrten durch ein Labyrinth, an dessen Ende ein Drache wartete. Viele Kinder genossen unsere Spiele, sogar Jugendliche, die Drachenkämpfe nur aus Computerspielen kannten. Wir hatten sogar ein richtiges Pferd!

Der WOW-Day hat uns gezeigt, wie vorteilhaft es ist, aus der Schule hinauszugehen und sich unter die Leute zu mischen. Die Aktionen waren nicht nur eine gute Gelegenehit, unsere Schule von ihrer besten Seite zu zeigen, es entstand auch ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl.

Tatjana Kellett (Eltern), Nikolina Matetic Pelikan (Eltern) | Übersetzung: Lorenzo Ravagli