Das Wunder von Hereford. Erste staatlich finanzierte Waldorfschule in England hat Grund zum Feiern

Walter Hiller

Bei ihrem Besuch der Steiner Academy in Hereford am 11. November zur Fertigstellung der neuen Schulgebäude bildete das Erlebnis vor 13 Jahren den Kern ihrer Rede. Bis zu jenem Besuch war sie von der Vorrangstellung der kognitiven Bildung überzeugt und gestand den musisch-handwerklichen Fächern bestenfalls eine ergänzende Rolle zu.

Ihre Begegnung mit einer Waldorf-Oberstufenklasse, die nicht nur begeistert und begeisternd Mozarts Requiem vortrug, profunde Kenntnisse in diversen Fächern demonstrierte und sich im Gespräch souverän mit ihr darüber auszutauschen wusste, erschütterte ihre einstige Überzeugung nachhaltig. Von diesem Zeitpunkt an war ihr Interesse für die Steiner-Pädagogik geweckt und damit ihr Wille, dieser Pädagogik größere Geltung zu verschaffen.

Für eine Vertreterin des staatlichen Schulwesens und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Waldorfschulen in Großbritannien keinerlei staatliche Unterstützung erhalten, bedurfte es einer besonderen Gelegenheit, dieser Absicht Nachdruck zu verleihen. Unter der Regierung Tony Blairs war ein Bildungsprogramm aufgelegt worden, das nicht mehr mit kleinem Lämpchen Licht in das Dunkel des Bildungssektors bringen sollte, vielmehr sollten Leuchttürme ent­stehen, um den konzeptionellen Wettbewerb in der Schul- landschaft zu beleben. Die erhofften Leuchttürme sollten fortan »Academy« heißen und direkt dem Ministerium, nicht der lokalen Schulbehörde unterstellt sein.

Besondere Bedingung für diese Schulen neuen Typs war der Einsatz einer gesellschaftlichen Gruppe oder einer Firma, von der zehn Prozent der benötigten Investitionssumme eingebracht werden musste. Die Finanzierung des Rests und des laufenden Betriebs wollte der Staat übernehmen.

Für die im britischen Bund, der Fellowship, zusammengeschlossenen Waldorfschulen eröffnete sich die Aussicht, innerhalb dieses Programms erstmals eine der Schulen nicht nur unterstützt, sondern voll finanziert zu bekommen. Es begann die Suche nach einer Schule, die zu einer derartigen Umwandlung bereit war, und nach einem Spender für die nichtstaatlichen zehn Prozent der Neubaukosten von schätzungsweise neun Millionen Pfund.

Während diese beiden Bedingungen erfüllt werden konnten, machten andere Punkte diverse Konferenzen notwendig. Ein Schulleiter war zu benennen, alle Kinder aus der Umgebung waren in die neue Academy aufzunehmen, wenn sie oder deren Eltern es wünschten, IT-Unterricht und die Berücksichtigung der Tests des staatlichen nationalen Curriculums waren mit nur geringfügigen Spielräumen zu akzeptieren. Vermeintliche und echte Waldorf-Essentials wurden leidenschaftlich diskutiert, alle »weltlichen« Fragen waren Gegenstand einer Machbarkeitsstudie.

Die schon bestehende kleine Waldorfschule nahe der mittelenglischen Stadt Hereford, die sich der Herausforderung stellte, war bislang in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Kirche nebst Friedhof in Gebäuden untergebracht, deren frühere Verwendung landwirtschaftlicher und klerikaler Art war.

Der geplante Neubau sollte diese Gebäude integrieren, alles auf dem neuesten Stand der Technik. In allen Räumen sind hinter edler französischer Eichenleiste IT-Anschlüsse angebracht, in Oberstufenräumen finden sich dezent in Holzschränken untergebrachte Laptops, im Saal eine elektrisch zusammenschiebbare Zuschauertribüne, an der Decke hängen zahlreiche LED-Spots.

Nach einer nicht enden wollenden Bauphase, in der Gummistiefel die einzig geeignete Fußbekleidung auf dem Campus waren, wurde die Fertigstellung mit Freunden und Mitgliedern der Schulgemeinschaft gefeiert. Die Freude über das schöne neue und renovierte Gebäude-Ensemble wurde dadurch gesteigert, dass die erfolgreiche Entwicklung dieser Academy das Erziehungsministerium veranlasst hat, dem Aufbau einer zweiten in der Nähe der Stadt Bath zuzustimmen.

Vielleicht kommt die britische Waldorf-Schulbewegung damit einen weiteren Schritt näher an eine allgemeine finanzielle Unterstützung durch den Staat. Die Dankbarkeit der Elternschaft drückt sich darin aus, dass sie – nunmehr vom früheren hohen Schulgeld befreit – freiwillig einen Fonds zur Unterstützung anderer Waldorfschulen füllt.