Den Blick fürs Wesentliche geschärft

Marina Heß

»Und? Kannst du jetzt deinen Namen tanzen?« Natürlich ist das meistens die erste Frage, die man mir stellt, wenn ich erzähle, dass ich meinen ökologischen Bundesfreiwilligendienst (BFD) im Waldorfkindergarten verbrachte. Dabei gibt es doch so viel mehr zu erzählen! Wenn man meine wunderbare Zeit dort auf Klischees herunterbricht, wird man den unbezahlbaren Erfahrungen, die ich gesammelt habe, nicht gerecht.

Vor dem BFD durchlebte ich eine schwierige Zeit, die mit Stress an der Uni, beruflichem Druck und familiären Verlusten prall gefüllt war. Die Routine, die den Kindern im Kindergartenalltag gut tut, tat auch mir gut. Um verstehen zu können, wie ich Kinder begleiten kann, musste ich selbst noch einmal zum Kind werden.

So lernte ich alles von Anfang an: mich selbst wahrnehmen, aufmerksam für mich und andere sein, das Eigentliche erkennen, zulassen und aushalten. Aber auch praktische Dinge im Alltag hinterfragte ich noch einmal: Was ist gesundes Essen? Was ziehe ich an, wenn wir den ganzen Tag lang draußen sind? Was brauche ich wirklich, wenn wir wandern gehen? Mein Blick wurde auf das Wesentliche gerichtet und dadurch geschärft. Auch die Natur erlebte ich intensiver. Jetzt weiß ich, dass man Kapuzinerkresse nicht in die Vase stellt, sondern auf Knäckebrote verteilen kann.

Abwaschen, Mahlzeiten vorbereiten, abräumen, aufräumen, Kinder anziehen, Kinder ausziehen – ich habe gespürt, dass man auch in einfachen Tätigkeiten Erfüllung finden kann. Der rhythmische Wechsel von Anspannung und Entspannung tat mir gut. Es war anstrengend, für die Kinder da zu sein, ihnen zu geben, die Lautstärke auszuhalten – doch dann gab es wieder Ruhephasen, zum Beispiel während des Abwaschens, in denen ich neue Kräfte sammeln konnte. So kehrte ich mit Freude und Energie in die Gruppe zurück. Diese Ausgeglichenheit fühlte ich auch nach der Arbeit. Am Nachmittag war ich zwar erschöpft, aber glücklich.

Der Träger meines Bundesfreiwilligendienstes war die Naturfreundejugend Thüringen. In den fünf Seminarwochen, die zum Dienst gehören, habe ich mich mit umweltpoltischen Themen auseinandergesetzt. In Gießübel im Thüringer Wald diskutierte ich zusammen mit anderen Freiwilligen über Nachhaltigkeit, nahm an einem Radioworkshop teil und durchwanderte die Wälder auf der Suche nach Kräutern. Zwei andere Freiwillige arbeiteten auch in Waldorfkindergärten. Das hat uns verbunden. Auch im Seminar fragte man uns, ob wir nun unsere Namen tanzen könnten. Und ja, ich kann es. Aber nicht, weil ich das lernen musste, sondern nur, weil ich meine Kollegin danach fragte. Da sie bei dem einen oder anderen Laut nicht ganz sicher war, hakten wir bei unserer Eurythmistin nach. Kurz darauf spielte ich den Mühlenstein in einer Eurythmieaufführung.

Beim Krippenspiel kamen mir die Tränen, als ich während des lieblichen Gesangs meiner beiden Kolleginnen der von einem Jungen gespielten Maria zusah, wie sie bedächtig das Christuskind in die winzige Krippe legte. Ich bin meinen Kolleginnen sehr dankbar für diesen und so viele weitere Momente! Sie haben mich Dinge durch ihr Handeln und ihr Vorbild gelehrt, die ich mir nicht durch Erklärungen oder Lesen hätte aneignen können. Wenn ich jetzt unter Kindern bin, kommen sie mir manchmal unausgeglichen, gestresst und überfordert vor. Manchmal fehlen mir die Kinder aus meiner Gruppe. Da erinnere ich mich an die vielen kleinen Persönlichkeiten und freue mich, dass ich sie ein Stück auf ihrem Weg begleiten durfte.

Zur Autorin: Marina Heß studierte Germanistik und Interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und absolvierte dann ihren Bundesfreiwilligendienst.