An der Rudolf-Steiner-Schule Berlin-Dahlem findet in allen vier Oberstufenklassen eine Plastizier-Epoche statt. Anlässlich von Schulfesten oder Klassenspielaufführungen werden die im Unterricht entstandenen Plastiken regelmäßig ausgestellt. Die meisten Besucher sind beeindruckt von den Werken der Schüler. Öfter wurde ich gefragt, warum wir nicht den Schritt in die Öffentlichkeit wagen. Das haben wir nun getan.
Im Juni 2015 wurde in unmittelbarer Nähe unserer Schule ein neues Skulpturenmuseum eröffnet. Bereits der erste Kontakt mit der Leiterin des Kunsthauses Dahlem, Dorothea Schöne, war warmherzig und vertrauenerweckend. Ihr Interesse an einer Kooperation mit unserer Schule ist groß, da es ihr ein Anliegen ist, Jugendliche an die dreidimensionale Kunst heranzuführen. Das Kunsthaus Dahlem widmet sich dem Thema der Nachkriegsmoderne in Berlin und dokumentiert in seiner ersten Ausstellung den Weg von der figürlichen Plastik zur Abstraktion an Werken von Bernhard Heiliger, Gerhard Marcks, Karl Hartung, Hans Uhlmann und Louise Stomps. Dieses Motiv bildet ein Bindeglied zwischen der Thematik der neunten Klasse, in der die naturalistische Darstellung von Tieren und Menschen unter der Berücksichtigung von typischen Bewegungsgesten und seelischen Gebärden erarbeitet wird, und dem Inhalt der zehnten Klasse, in der wir uns mit der abstrakten Formensprache befassen. Für die Ausstellung entschloss ich mich, mit einer unserer beiden zehnten Klassen das Thema »Übergang von der figürlichen Plastik zur Abstraktion« aufzugreifen.
Nachdem die anfängliche Skepsis der Schüler dem Ausstellungsprojekt gegenüber überwunden war, entstand eine Vielzahl gelungener Werke.
Eine prominent besetzte Jury
Nachdem die notwendigen Aufgaben für die Vorbereitung der Vernissage verteilt waren, stand die Frage im Raum »Wer entscheidet, welche Werke ausgestellt werden?« Dorothea Schöne schlug vor, eine Jury zu bilden. Zu meiner großen Freude stellte sie sich selbst zur Verfügung. Hinzu kamen Cornelia Schmidt-Bleek, die Direktorin der Skulpturensammlung der berühmten Bildgießerei Noack in Berlin, und Shabir Kakar vom Department of Culture aus Ostpakistan. Es war eine große Ehre diese geballte Fachkompetenz in unserer Schule zu empfangen.
Unser Tischlermeister hatte inzwischen mit einem Schüler Podeste angefertigt. Sie standen in der Plastizierwerkstatt bereit. Nach durchaus kontroversen Kriterien wurden in heiterer Atmosphäre die Ausstellungsstücke ausgesucht. Wir wollten, dass möglichst viele Schüler vertreten sein sollten. Talent sollte genauso stark bewertet werden wie das Engagement und die Entwicklung eines Schülers in der Epoche. Das heißt, sowohl weniger ausdrucksstarke Arbeiten schwächerer Schüler als auch Arbeiten begabter Schüler sollten in unsere Auswahl kommen.
Doch es kam anders: Die Schüler waren zu dieser Zeit auf Konzertreise oder im Praktikum. Da die Arbeiten nicht mit Namen gekennzeichnet waren, gab es Schüler, die mit zwei Arbeiten vertreten waren und andere gar nicht. Das war für einige bitter und enttäuschend. Andererseits wurde durch eine professionell besetzte Jury das reale Leben in die Schule geholt. Die Schülerarbeiten wurden nicht nach pädagogischen Gesichtspunkten ausgesucht, sondern es sollten originelle »Hingucker« das Publikum anziehen, möglichst gegensätzliche Arbeiten arrangiert werden, um durch kontrastreiche, nicht schwingende ästhetische Formen Spannung zu erzeugen. Es war klar: Jegliche Assoziation zu Waldorf-Formen sollte vermieden werden. Die drei Mitglieder der Jury sind sehr unterschiedliche Charaktere und so gab es Plastiken, auf die sich alle drei schnell einigen konnten und andere, bei denen es Diskussionen gab. Erfreulicherweise fanden sich Kompromisse, die alle mittragen konnten. Nach den Sommerferien galt es, die Ausstellung aufzubauen und eine Vernissage außerhalb des Unterrichts vorzubereiten. Ein aufwändiges Eurythmieprojekt war zu bewältigen und der bevorstehende Mittlere Schulabschluss, die erste Prüfung für die Schüler, warf seine Schatten voraus. Beim Setzen der Betonsockel für die Skulpturen im Außengelände bewiesen die verantwortlichen Schüler ein überraschend sicheres und feinfühliges Empfinden für den richtigen Platz der einzelnen Werke.
Die Schülerarbeiten aus Porenbeton bildeten einen interessanten Kontrast zu den großformatigen Metallplastiken von Bernhard Heiliger, die in dem weitläufigen Gartengelände zu Hause sind. Auch als es darum ging, die Tonplastiken auf der Empore des Museums geschickt aufzustellen, kamen wertvolle Anregungen von den zuständigen Schülerinnen.
Überraschend viel Publikum
Anfang Oktober: Der große Tag, an dem die Plastiken durch die Empfindungen der Betrachter vervollständigt werden sollten, nahte. Es fanden sich überraschend viele Menschen bei herrlichem Spätsommerwetter ein. Nach einer kleinen Eröffnungsfeier öffnete Dorothea Schöne noch einmal das ganze Museum für die Besucher, sodass sich die Zuschauer auf das Museum, die Schülerausstellung und den Garten verteilen und in Ruhe die Schülerarbeiten im Kontrast zu den Plastiken der renommierten Künstler genießen konnten. Wie nah sich Profi und Laie kommen, zeigt der Vergleich einer dreiteiligen Metallskulptur von Bernhard Heiliger, die mit gradlinigen, pfeilartigen Formen auf die Spitze eines großen Kreissegmentes zeigt, neben dem eine Kugel liegt. Die davorstehende Gasbetonskulptur einer Schülerin verbindet diese drei Formkomponenten (Kugel, Raumbildung, spitze Formen) in einer Arbeit. Sie kannte die Arbeit nicht, verwendet aber ähnliche Formgesten und kommt selbstständig zu einem beeindruckenden Ergebnis. Im ausliegenden Gästebuch entstand ein sprechendes Bild von der Anerkennung und Begeisterung der Besucher über die Veranstaltung und die anschließende dreimonatige Ausstellung. Sie war schon deshalb ein Erfolg, weil sie überhaupt zustande gekommen ist. Es ist ein Novum, dass Schülerarbeiten, die im laufenden Unterricht geformt wurden, sich für eine Ausstellung in einem öffentlichen Museum qualifizieren. Sie war nicht pädagogisch motiviert, nach dem Motto »Wir zeigen einmal Waldorf-Kunst«, sondern es war der ausdrückliche Wunsch der Museumsleiterin, dass allein die plastische Qualität der Arbeiten zur Wirkung kommen sollte.
Nach der Ausstellung ist vor der Ausstellung: Im nächsten Herbst werden wieder Plastiken aus der Rudolf-Steiner-Schule im Kunsthaus Dahlem zu sehen sein. Dann werden Doppelportraits der jetzigen Zwölftklässler gezeigt.
Zur Autorin: Gisela Dumas ist Lehrerin für Werken und Plastizieren an der Rudolf-Steiner-Schule Berlin-Dahlem, ausgebildet an der Plastikschule am Goetheanum, Dornach.