Diese kleine Oligarchie verfügt über »eine Macht, wie sie Kaiser und Päpste niemals besaßen«, so Jean Ziegler, Mitglied des UN-Menschenrechtsrats. 500 Großkonzerne kontrollieren mehr als die Hälfte des Weltbruttosozialprodukts. Ein Fünftel der Menschheit lebt in absurdem Wohlstand. Die verbleibenden vier Fünftel müssen sich mit knapp sechs Prozent des Reichtums begnügen, der, gerecht verteilt, allen ein auskömmliches Leben ermöglichen würde. »Hunderte Millionen Menschen, quasi zur Armut verdammt, haben keine Chance, ihre Talente zu entwickeln«, meldet Oxfam. – Falls sich die Frage der Talententwicklung überhaupt stellt. Denn alle fünf Sekunden stirbt irgendwo ein Kind an Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen. Wobei »irgendwo« immer häufiger ganz nahe liegt. So ist laut Unicef in Spanien mittlerweile jedes fünfte Kind unterernährt. Die Kinderarmut ist auch bei uns auf dem Vormarsch.
In den letzten vierzehn Jahren stieg die Zahl der hungernden Menschen von 700 auf 820 Millionen. Global operierende Banken und Großkonzerne haben maßgeblichen Anteil an der Tragödie. Ziegler redet Klartext: »Allein die Spekulationen von Finanzinstituten wie der Deutschen Bank auf Grundnahrungsmittel töten indirekt Millionen Menschen. Wir wissen, dass Großkonzerne in Afrika und Lateinamerika Menschen brutal ausbeuten und dass die Täter überwiegend in demokratischen Staaten zuhause sind.« Christel Schröder von der Organisation EuroNatur verweist auf agrarindustrielle Missstände. »Landschaften wurden zu monotonen Produktionswüsten, die Bauern zu Marionetten der Agrarindustrie. Steuerzahler subventionieren das abstruse System jährlich mit rund 50 Millionen Euro allein aus dem Haushalt der EU.« Dabei könnten »zwölf Milliarden Menschen ernährt werden«, betont Benedikt Härlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Dazu wäre es aber nötig, »das radikale Konkurrenzdenken der neoliberalen Kaste zu erschüttern, den Landraub der Großkonzerne und Hedgefonds zu beenden, die Totalentschuldung der fünfzig ärmsten Länder durchzusetzen«, so Ziegler.
Ich verabscheue die Taten islamistischer Terroristen, kann aber wenig mit dem Gerede anfangen, es seien Angriffe auf »unsere westlichen Werte«. Letztere zerstören wir nämlich selbst. »Im Süden des Planeten wachsen die Leichenberge« (Ziegler), und unsere hehre Wertegemeinschaft trägt eine große Mitschuld daran. Das ist der christlich-abendländische Terror. Er kostet mehr Menschenleben, stürzt mehr Menschen in die Verelendung als sämtliche Anschläge von Al-Kaida.
Kürzlich warb ich dafür, an Waldorfschulen einmal jährlich einen Tag des Asyls für die Oberstufe abzuhalten. Besser noch wäre ein Tag des Asyls und der Armutsbekämpfung. Denn die Dinge hängen zusammen. Viele Jugendliche haben nicht den Schimmer einer Ahnung von alledem. Es würde sie aber tief interessieren, da bin ich ganz sicher.
Literatur: Soziale Ungleichheit wächst rasant, Süddeutsche Zeitung, 20.1.2015; Spiegel-Interview mit Jean Ziegler, 5.1.2015; Zeitschrift movum / Briefe zur Transformation, Dezember 2014