Der schönste Beruf, den man sich denken kann …

Christof Wiechert

Tatsächlich: Es gab Zeiten, da war ein echter, seriöser Waldorflehrer grundsätzlich überarbeitet und unansprechbar – und ging grundsätzlich mit einem leidenden Blick durch die Welt. Ein Lehrer der Freude und gute Laune zeigte, war verdächtig: Kein echter Waldorflehrer!

Dürfen wir davon ausgehen, dass diese Zeiten vorbei sind? – Dass langsam erlebbar wird, was für ein wunderbarer Beruf der Lehrerberuf ist, der sogar noch ein Einkommen mit sich bringt?

Aber woher kommt es denn, dass sich das alte Klischee so hartnäckig hält?

Als Rudolf Steiner in den sogenannten Karma-Vorträgen über die Genialität des Schweizer Dichters Conrad Ferdinand Meyer spricht, meint er, dessen ganze dichterische Kraft liege darin, dass der »obere« Mensch nicht richtig in den »unteren« Menschen hineinpasse. Um diese Aussage verständlich zu machen, schildert er den »Durchschnittsmenschen« und meint dann, »bei einem Durchschnittsmenschen des materialistischen Zeitalters, da hat man es gewöhnlich mit einer sehr robusten Verbindung des Geistig-Seelischen mit dem Physisch-Ätherischen zu tun.«

Merkwürdig, denn man würde gerade meinen, dass eine robuste Verbindung helfen würde, gesund, stabil und im Gleichgewicht zu sein. Das mag sein, aber Steiner meint, dass die Robustheit auch dazu führe, dass das Geistig-Seelische des Menschen zu fest im Leib sitze, und dadurch nur eingeschränkt zum Vorschein komme. Sind die leiblichen Hürden entsprechend hoch, leidet die seelische Ausdruckkraft. (Für die Kenner sei hier angemerkt, dass dies das Thema der sogenannten zweiten Lehrermeditation ist.)

Wie also bekommt man eine nicht zu feste Verbindung zwischen dem oberen und unteren Menschen hin?

In einem Vortrag in Prag findet sich eine weitere merkwürdige Aussage Steiners: »Interesse für die Erde bringt einen im Zusammenhang mit dem Kosmischen. Bei Interesselosigkeit findet diese Verbindung nicht statt.« Dann weist er darauf hin, welche Gesundheitsschäden eine solche Interesselosigkeit nach sich ziehen kann. Immer ist es das Interesse, das den Menschen in ein gesundes, dynamisches Gleichgewicht bringt. Es ist ein labiles Gleichgewicht: sich der Welt zu öffnen und in sich zu sein. Es ist wie ein Atmen oder auch Pulsieren.

Intensität gibt Energie

Nun muss man mit Ratschlägen, um Leben und Beruf zu entstressen, vorsichtig sein. Auf diesem Feld ist alles individuell. Da lässt sich auch keiner reinreden. Daher soll nichts gesagt werden über Spazierengehen, Hobbys, Fernsehen, Gartenpflege, Computersurfen, Musizieren, Kochen, Stricken oder was es sonst noch alles gibt.

Was man aber auf Grund eines erweiterten Menschenverständnisses zu diesem Thema sagen kann und darf, ist Folgendes:

Völliges Engagement (Hingabe) an eine (pädagogische) Aufgabe oder Arbeit erschöpft in der Regel nicht, kein oder teilweises Engagement dagegen laugt aus.

Völliges Dabeisein und Mitmachen in der Konferenz und allen Gesprächen erfrischt, Zurücknahme und Vorbehalte ermüdet.

Dasselbe gilt für den Umgang mit den Schülern und Klassen: Ist man vollständig dabei, ist man am Ende des Tages gesund müde – eine angenehme Empfindung –, aber nicht ausgebrannt. So ist es eigentlich mit allen Aufgaben: Intensität gibt Energie, alles andere kostet Energie.

Der Haken an der Sache: Jeder bestimmt für sich selber was völliges Engagement bedeutet. Das kann keiner für den anderen tun. Daher ist man bei dieser Frage letztlich abhängig von einem Begriff, der viel benutzt, aber wenig praktiziert wird: Selbsterziehung.

Literatur:

R. Steiner: Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Bd.2, GA 236, Vortrag vom 12.4.1924, Dornach 1988 | Ders.: Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Bd.5, GA 239, Vortrag vom 30.3.1924