Das Leben ist ein Event. Welche Sehnsüchte die neue Party-Kultur befriedigt

Michael Birnthaler

Wer sich mit der jugendlichen Feierkultur beschäftigt, wird bemerken, dass »Party machen« inzwischen bei fast allen gängigen Jugendkulturen zu einem Markenzeichen geworden ist. Dies kann als Beispiel ein aktuelles, rätselhaftes Mega-Event vor Augen führen. Es handelt sich um einen spektakulären Filmhit, der in den Kinos als Blockbuster über 100 Millionen Dollar eingespielt hat. Gemeint ist der Film »Project X«, der sich Anfang 2012 von den USA ausgehend wie ein Virus über den Globus ausgebreitet hat. Der Film erzählt die Geschichte von Thomas, einem 17-jährigen Schüler einer Highschool in Amerika.

Sein Problem: Im Elternhaus und bei den Mitschülern gilt er als Loser und Milchbubi. Um zu beweisen, dass er »etwas drauf hat«, verfällt er auf die Idee, eine Mega-Party steigen zu lassen, um sich den sozialen Ritterschlag zu holen. Mit ein paar Freunden geht er ans Werk, der Tag X kommt, die Fete steigt, mit allem Drum und Dran, was in der Szene cool ist: mit Sex-Orgien, Alkohol-Gelagen, Drogentrips und anderen Exzessen. Zwischendurch wird auch der Mercedes des Daddy im Pool versenkt, Flammenwerfer kommen zum Einsatz, es gibt Verletzte und zu guter Letzt muss sogar die Feuerwehr anrücken, um filmreif per Hubschrauber einen Brand zu löschen.

Vielsagend ist vor allem das Ende des Streifens. Die Truppe Jugendlicher, die die Party organisiert hatte, erhält zwar Strafen, die jedoch als Witznummern herhalten müssen. Als die Eltern von Thomas wieder zurückkehren, ist der Vater einerseits bestürzt, aber andererseits auch stolz, dass sein Sohn zu so einem hochkarätigen Großevent in der Lage war. In der Schule werden die Jungs als Helden gefeiert. Schlussszene: Man erwartet von Thomas nun doch irgendeine Entschuldigung, schließlich gab es Schäden und beklagenswerte Verletzte. Doch stattdessen zeigt Thomas, dass er aufgestiegen und kein Halbstarker mehr ist, und einen vorderen Platz in der Community der Coolen gefunden hat. Statt mit Einsicht oder Reue zu reagieren, kontert er lediglich mit anzüglichen Sprüchen und – lädt zur nächsten Party ein.

Das simple Drehbuch des Films – angelehnt an einen realen Fall – machte ihn so erfolgreich, dass er in den nächsten Monaten 8,7 Millionen Mal illegal heruntergeladen wurde – der am häufigsten heruntergeladene Film des Jahres 2012 weltweit.

Bemerkenswert waren auch die Nachwehen des Films. An zahlreichen Orten der Welt kam es zu Nachahmungen. Jugendliche ließen Mega-Partys steigen, luden per facebook ein und feierten ruinös das Projekt Absturz. Hier und dort kam es sogar zu Verletzten und Toten. Polizei und Gerichte schalteten sich ein.

Party wird, so die Botschaft des Films, als Ereignis zelebriert, was den Charakter einer Bewährungsprobe, ja sogar beinahe den Status eines Initiationsritus hat. Thomas, der Held des Films, galt bislang als Warmduscher und Weichei. Durch die gemeisterte Party, die dabei überwundenen Prüfungen, den überlebten Crashtest mit einer toxischen Ladung aus »Sex, Drugs & Rock’n’Roll« konnte er den Mannbarkeits-Beweis erbringen und seine Aufnahme als Teufelskerl in die Gilde der Erwachsenen zelebrieren.

Sicherlich, der Film zeigt die Extreme, aber er ist die Spitze eines Eisbergs. Eines Eisbergs, in dessen verborgenen Unter­gründen gefunden werden kann, wonach sich die jungen Menschen, die der Partykultur frönen, eigentlich sehnen. Es ist wohl die unter der Zeugenschaft von Freunden vollzogene Selbstinitiation, der erstrebte neue Reifegrad, der Kampf um einen höheren sozialen Rang – eine Reifeprüfung eigentümlicher Art. Die Prüfungen sind dabei nicht Mathematik und Englisch, sondern vor allem Alkohol und Sex (»Rumhurereien«). Nicht umsonst heißt der Bestseller unter den Spielbüchern »Trinkspiele. 44 Wege sich mal richtig die Kante zu geben«.

Party-Kult als Grenzerfahrung

Die Prüfungsformen können aber auch andere Belastungs- und Bewährungsproben sein. In den letzten Jahren hat sich wieder ein neuer interessanter Party-Kult etabliert. Beispiel: Laos, ein neues Mekka der Generation Party. Seit Jahren stürmen im Sommer 120.000 junge Party-Freaks das kleine Städtchen Vang Vieng in Laos, um rauschende Partys zu feiern. Es gilt, eine vier Kilometer lange Flussstrecke in einem alten LKW-Schlauch hinunterzutreiben (Tubing) und sich währenddessen mit einem Alkoholgebräu aus einem Eimer volllaufen zu lassen.

Eine waghalsige Ochsentour, die in erster Linie Studienanfänger aus westlichen Ländern anzieht. In den vergangenen Jahren hat es dabei auch immer wieder Tote gegeben. Wer die Abfahrt meistert, fühlt sich hinterher dagegen »mit allen Wassern gewaschen«. Partyferien haben Hochkonjunktur. Ob die Insel Pag in Kroatien, Lloret del Mar in Spanien oder der Goldstrand in Rumänien – die Party geht rund um die Uhr.

Haben die Partyferien die Rolle eines Rituals zum Erwachsenwerden übernommen, indem junge Menschen außergewöhnliche Wagnisse bestehen und Grenzerfahrungen machen?

Alternative »Adventure Race«

Aus der Pädagogik weiß man, dass junge Menschen bis zum Alter von sechzehn Jahren eine gewisse innere Festigkeit erlangt haben müssen. Gelingt dies aus irgendwelchen inneren oder äußeren Gründen nicht, sind sie im späteren Leben anfällig für Süchte, seelische Krankheiten und gesundheitliche Probleme.

Wenn die Droge Party tatsächlich ein Symptom für spezifische, nicht ausgelebte jugendliche Grenzerfahrungen ist, müssten bestimmte, pädagogisch gleichwertige Alternativen zum Grenzerfahrungstypus der Partykultur gesucht werden. Fündig wird der Pädagoge bei der Suche nach einem Präventiv gegen die Partykultur bei den sozial-dionysischen Grenzerfahrungsmethoden, also Schwellenerlebnissen mit dem Charakter von Übergangsriten, einem euphorischen Anteil und einer geselligen Komponente.

Klassisch wären das beispielsweise Methoden wie die »Vision Quest«, das »Solo«, die »Heldenreise« oder andere erlebnispädagogische Projekte mit Grenzerfahrungscharakter, wie ein Raid / Adventure Race, Trekkingtouren oder Hikes und Großstadtspiele wie »Jagd auf Mister X«, »Citybound«, Megageländespiele wie »Ausgesetzt«, »Pampa«, eine Höhlenbegehung in der Gruppe, ein Live Action Role Play oder ein Segeltörn.

Beispiel »Abiturfeier«

Üblich ist an vielen Gymnasien, dass die Abiturienten sofort nach dem Abitur vor allem »chillen« und »einen draufmachen«. Es geht von einer Abiparty zur nächsten – an gepflegteren Schulen gibt es auch noch die Abifeier und den Abiball – und endet im furiosen Abistreich. Als Finale geht es dann mit dem Abitur in der Hand in Ballermann-Manier Richtung Süden. Man merkt: Diesen Abiturienten wurde monatelang nur intellektuelles Trockenfutter gegeben, statt einer eigentlich ersehnten echten »Reifeprüfung«. Werden diese Abiturienten nun aber von der Leine gelassen, holen sie dies im Zeitraffer nach und verwandeln sich verständlicherweise für die nächsten Wochen in Partyzombies. So wächst ein ganzer Industriezweig heran, der sich an der Partylaune der Abiturienten eine goldene Nase verdient. Wie könnte ein Gegenkonzept dazu aussehen? Eine Reifeprüfung also, die ebenfalls hochprozentige analoge Grenzerfahrungen bieten kann?

An den United World Colleges und den Schulen von Kurt Hahn werden für die Hartgesottenen waghalsige Expeditionen angeboten: Rettungseinsätze im Gebirge oder auf See, Mitarbeit bei der Feuerwehr, dem THW oder dem Roten Kreuz. Dass junge Menschen über sich hinauswachsen, gehört mit ins »Reifeprüfungskonzept« dieses Angebotes. Kurt Hahn (1886-1974), der Begründer der Erlebnispädagogik, suchte zeitlebens nach dem »moralischen Äquivalent der Krieges in der Pädagogik«. Er fand seine pädagogische Zauberformel im »Abenteuer des Helfens«, in den pädagogisch als Krimi inszenierten Rettungsdiensten. Für ihn stand fest, wer in seiner Schulzeit dieses »Serum« eingenommen hat, ist gegen Müßiggang gefeit.

Ein anderes Beispiel: In alten Kulturen und bei den Naturvölkern gab und gibt es die sogenannten Übergangsriten. Bei der Visionssuche werden die jugendlichen Probanden längere Zeit auf die anstehenden Schwellenerlebnisse vorbereitet. Sie mussten dann meist für drei Tage und Nächte einsam und ohne Nahrung in der Natur verbringen. Ihnen wurde sogar die Aufgabe gestellt, sich zunächst ein Totenhaus zu bauen. Ein eigenes Begräbnis musste inszeniert werden, inklusive dem eigenen Totengedenken. Das eigentliche Ziel bestand darin, über den eigenen Schatten zu springen, den inneren Schweinehund zu besiegen und sich mit Freund und Feind innerlich auszusöhnen. Nach drei Tagen und Nächten kehrt der Visionssucher zurück, meist geläutert und gewandelt, und wird als »Held« in die Gemeinschaft aufgenommen. Mit einem großen Fest, das dieses Mal aus der gehobenen Stimmung heraus kein Saufgelage ist, wird die Rückkehr der Helden schließlich gefeiert. Wer ein vergleichbares Ritual kennen gelernt hat, wird den Begriff »Jugendweihe« besser verstehen können.

Sind kulturelle Rituale des Übergangs heute überhaupt noch möglich? Gibt es moderne, jugendgemäße Wege, wie solche Übergangsriten rekultiviert und neu gefasst werden können? Es ist heute schwer, gegen den hedonistischen Strom zu schwimmen. Ein konkretes erlebnispädagogisches Projekt ist »Die Weltenwandler – Jugend on the road«.

Statt Party und Abireise gehen Schulabgänger auf die Walz. Damit wird man keinen Thomas davon abhalten können, seine Mega-Party steigen zu lassen, aber vielleicht einige »kleine« Thomasse davor bewahren, mit dem Party-Mainstream mitzulaufen. Denn Thomas ist auf Fans angewiesen.

Zum Autor: Dr. Michael Birnthaler ist Leiter des EOS-Instituts (www.eos-ep.de)

Literatur:

Manuel Meyer: Vang Vien in Laos: Die Party ist vorbei. In: http://www.spiegel.de/reise/fernweh/vang-vieng-in-laos-ende-einer-party-hochburg-a-909637.html, 5.7.2013 | Shanti Petschel: Reifeprüfung Wildnis. Endlich erwachsen werden, Freiburg 2010 | Peter Maier: Übergangsrituale. Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft, Münster, 2011 | Michael Birnthaler: Teamspiele. Die 100 besten Gruppenspiele, Stuttgart 2013 | Ders.: Praxisbuch Erlebnispädagogik, Stuttgart, 2010

Link: www.eos-jugend.de