Anthroposophie für die Gegenwart

Johannes Roth

Dabei gehört es zum Wesen der Anthroposophie, dass sie niemals auf einige wenige definitorische Grundbegriffe reduziert werden kann. Dennoch ist es statthaft, vereinfachend anzugeben: Sie will Mittel und Wege zeigen, immer besser zu verstehen, was der Mensch seinem Wesen und seiner Bestimmung nach ist.

Peter Selg ist bemüht, die Anthroposophie an die Fragen und Problemstellungen der Gegenwart anzuknüpfen. Daraus ist das Büchlein mit zwei Vortragsreferaten zur »Menschenkunde« entstanden. Selgs Zugang ist nicht der pädagogische, sondern der therapeutische, was der Allgemeingültigkeit und -verständlichkeit keinen Abbruch tut.

Der erste Teil enthält ein Plädoyer, die Gestalt und Aufgabe des Leibes zu erkennen und zu schätzen. Dabei sieht Selg in der anthroposophischen »Menschenkunde« einen Entwurf gegen die rein mechanistische Körperauffassung, wie sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts herrscht. – Und er verbindet sie mit den viel weiter reichenden Anschauungen eines Pico della Mirandola und Paracelus an der Wende zum 16. Jahrhundert.

Die Idee des Menschen als Ich-Träger bildet als zweiter Teil die Ergänzung. Auch hier ist Selg daran gelegen, Anknüpfungspunkte zu suchen. Er beruft sich auf die Forderungen nach einem differenzierten Menschenbild, wie sie Viktor von Weizsäcker und Karl Jaspers in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts formulierten, und auf die existenziellen Erfahrungen von Maria Krehbiel-Darmstädter im Konzentrationslager. Daran anknüpfend entfaltet Selg, wie Krankheit und Schicksalsnot die Ich-Tätigkeit des Menschen fordern – und wie dabei der Quell einer Gesundheit erfahren werden kann.

Es ist beeindruckend, wie der Autor hinter den Zusammenhängen und Zielen, die aufzuzeigen ihm so wichtig sind, selbstlos zurücktritt, ganz im Dienst der Sache. – Diese inhalts- und beziehungsreichen 90 Seiten sind eine lohnende Lektüre!

Peter Selg: Die Würde des Leibes und die gesundende Kraft des Geistes, brosch., 96 S., EUR 10,–, Verlag des Ita Wegman Instituts, Arlesheim 2016