Historisch

Die erste Waldorfschule Down Under

Nana Göbel
Sylvia Hazel Brose mit ihrer 1. Klasse

Sylvia Hazel Brose wuchs in einem kulturell interessierten Haus auf. Die Interessen ihrer Mutter gingen über das allgemeine Interesse für Kultur hinaus. Sie beschäftigte sich mit Theosophie und las mit ihrer Tochter Schriften Rudolf Steiners. Als Sylvia Hazel Brose die deutsche Sprache lernen wollte, begegnete sie auf der Suche nach einer geeigneten Lehrerin der Musikerin Lute Drummond, bei der sie von der Waldorfpädagogik hörte.

Sylvia Hazel Broses Vater wünschte, dass sie Medizin studierte, und so fand sie sich als eine der wenigen weiblichen Studenten an der Medizinischen Fakultät ein. Doch spätestens nach den Sezierstunden wusste sie, dass sie dieses Studium nicht weiterverfolgen wollte und nahm ein Lehramtsstudium am Sydney Teachers College auf. Lute Drummond, mit der sie inzwischen gut befreundet war, schlug ihr nach Abschluss ihres Studiums vor, sich als Lehrerin an der Frensham School in Mittagong zu bewerben, einer Internatsschule für junge Frauen. Während ihrer sieben Jahre an dieser Schule entwickelte Sylvia Brose eine nahe Beziehung zur Direktorin Winifred West, einer weithin respektierten Persönlichkeit mit einem ganzheitlichen pädagogischen Ansatz auf christlicher Grundlage.

Bereits seit Mitte der 1930er Jahre hegten einige Menschen aus dem Umkreis der Anthroposophischen Gesellschaft Ideen zur Gründung einer Waldorfschule in Sydney, aber die Bemühungen um ein passendes Haus und vor allem um Gründungslehrer führten zunächst nicht zum gewünschten Erfolg. Nach vielen Jahren und immer noch mit diesem Ziel vor Augen wurde Sylvia Brose gebeten, sich in Edinburgh zur Waldorflehrerin ausbilden zu lassen. Erst 1954 ergab sich eine günstige Gelegenheit, ein Grundstück für die erträumte Schule zu erwerben: Buschland in Middle Cove, nördlich von Sydney. Als Sylvia Brose zurückkehrte, übernahm sie 1957 zunächst den Kindergarten, dann eine erste Klasse und baute die Schule Schritt für Schritt auf. Nach der Errichtung eines ersten eigenen Schulgebäudes und mit inzwischen 60 Schülern zog die Schule auf einen weit ausladenden Hang. Sylvia Brose unterrichtete zwei Klassen gleichzeitig, die jüngeren von 9 bis 11 Uhr, die älteren von 11 bis 13 Uhr. Bei ihr, der geliebten Lehrerin, gab es keine Disziplinprobleme, auch wenn sie im Hauptunterricht in die andere Klasse ging und den jüngeren Schülern Aufgaben erteilte, an denen sie einfach für sich weiterarbeiten sollten.

Während ihrer ersten vierzehn Jahre blieb die Glenaeon Steiner-Schule die einzige Waldorfschule in Australien und musste sehen, wie sie zu genügend pädagogischen Ressourcen kam. Samstags bildete Sylvia Brose ihre künftigen Kollegen aus; nebenher erwarb sie an der University of New England einen Bachelor of Arts und einen Bachelor of Letters. 1968 erhielt die Schule eine staatliche Lizenz und konnte mit der Oberstufe starten. 1970 schlossen die ersten beiden Schülerinnen erfolgreich ihre Oberstufenzeit ab. Ihnen folgten bis heute etwa 1.500 Schülerinnen und Schüler.

Literatur: Nana Göbel: Die Waldorfschule und ihre Menschen. Weltweit. Geschichte und Geschichten. 1919 bis 2019 (3 Bände), Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2019