Der erste Teil widmet sich mit Bildern, Skizzen und detailreichen Bewegungsbeschreibungen dem Zusammenhang von »Architektur und Gymnastik«. In ihm werden die Übungen Fritz Graf von Bothmers mit der Architekturgeschichte ausgehend von den Pyramiden (Stabübungen Dreieck und Quadrat) über romanische Bauten (verzerrte Weite) bis hin zur »menschlichen Architektur«, dem Leibestempel (Kreuz), in Verbindung gebracht. Im zweiten Teil stehen die »Urbilder in der Bothmer-Gymnastik« im Fokus, beispielsweise der griechische Fünfkampf (Laufen, Springen, Ringen, Diskus, Speer), die »Partitur des Waldorf-Lehrplans« mit den Spiegelungen des Lehrplans in Unter- und Oberstufe oder die »Gymnastik als Formsprache«, in dem sich die Motive der Tierkreiszeichen in der Gymnastik wiederfinden. Im dritten, vier Kapitel umfassenden Teil »Menschenbildung – Wesensgestaltung« wird Bothmers Gymnastik unter anderem als Kunstwerk mit Bezügen zur Schöpfungsgeschichte betrachtet. Hier wird das Verhältnis zwischen Bothmers Gymnastik und der Musik ausgelotet, aber auch die »Entwicklung durch Übung« kommt zur Sprache.
Der als Anhang betitelte vierte Teil widmet sich biografischen Gegebenheiten. Er enthält ein Nachwort Elisabeth Dessekers und beleuchtet mit zahlreichen Schwarz-Weißbildern ihr Lebensbild und ihre Verbindung zu ihren Lehrern Graf Bothmer – der ihr Trauzeuge war – und Hanns Strauß.
Dieses Buch versteht sich zurecht als zweiter Teil der Verschriftlichung der Gymnastik Bothmers, deren Veröffentlichung geplant, ihm selbst jedoch nicht mehr vergönnt war. Es darf als ein Geschenk in vielerlei Hinsicht aufgefasst werden. Einerseits ist es für den Bewegungsunterricht an Waldorfschulen eine sehr willkommene Erweiterung der bisher schmalen Literaturgrundlage, andererseits ist es ein Zeugnis aus beinahe erster Hand, auf das in dieser Art nicht zu hoffen war und das so nicht wieder entstehen kann. Das Buch ermöglicht inmitten des Generationenwechsels – an den Schulen und darüber hinaus – einen Anwärmen mit der menschenkundlichen Grundlage des Bewegungs- und Sportunterrichts. Der Anspruch, unmittelbare Relevanz abseits der Bewegungsanleitungen der einzelnen Übungen für das Unterrichtsgeschehen im Sportunterricht zu haben, ist nicht zu erheben. Vielmehr kann die Lektüre ein Verständnis für die Motive des Unterrichts in den Jahrgangs- oder Altersstufen wecken und so doch durch die Sportlehrkräfte auf die Praxis einwirken. Darüber hinaus können Zusammenhänge zwischen Bewegung und geistiger Forschung erkannt werden – ein bisher fast ausschließlich der Eurythmie vorbehaltenes Feld.
Insgesamt ist das Buch ein beeindruckendes Werk, das eine außerordentliche Bereicherung auf dem Gebiet der Bewegung darstellt. Seine Lektüre ist allen, die sich auf menschenkundlicher Grundlage für Bewegung und für die Biographie Fritz Graf von Bothmers interessieren, außerordentlich zu empfehlen.
Elisabeth Dessecker: Vom Körper zur Gestalt, Bothmer-Gymnastik – Forschungen und Studien, Hardcover, 332 S., EUR 26,–, Pädagogische Forschungsstelle, Stuttgart 2017