Um ihrer siebten Klasse Informationskompetenz zu vermitteln, entwickelte Karoline Kopp eine Epoche, in der die Schüler:innen schrieben, recherchierten, layouteten, Geldgeber auftaten und ihre fertige Zeitung schließlich verkauften. Das Ganze haben sie so gut gemacht, dass sie schließlich einen Preis als beste Blattmacher:innen gewannen.
Was braucht der Mensch, um kompetent mit Informationen umzugehen und wann ist ein guter Zeitpunkt, um sich entsprechende Kompetenzen zu erwerben? Was sich banal anhört, ist an vielen Waldorfschulen eine hochumstrittene Frage, die nicht selten in unnötigem Streit endet, der das Kollegium lähmt. Denn vielfach wird zugunsten einer gesunden Entwicklung im Kindesalter eine möglichst lange Medienabstinenz propagiert, mit Eintritt der Schüler:innen in die Oberstufe dann aber eine differenziert ausgebildete Medien- und Informationskompetenz gefordert. Zwischen Abstinenz und Kompetenz klafft oft eine Lücke, die mit dem gern herangezogenen Verweis auf die ohnehin vorhandenen Fähigkeiten der sogenannten Digital Natives kaum gefüllt werden kann. Stellt man in einer achten oder neunten Klasse beispielsweise die einfache Aufgabe, für die morgige Unterrichtsstunde eine aktuelle Nachricht mitzubringen und zusammengefasst kurz zu präsentieren, ist dies für die meisten Schüler:innen kein Problem. Schwierig wird es erst, wenn plötzlich Nachfragen zur Quelle der Nachricht kommen: Wer hat sie verfasst, wer veröffentlicht und wie ist die Information gesucht und gefunden worden? «Mit der News-Funktion auf meinem Smartphone», lautet eine Standardantwort. Auf Nachfrage, wie sich denn der Rest der Klasse im Normalfall über das Tagesgeschehen informiert, werden neben den Smartphone-Nachrichtendiensten vor allem Instagram, TikTok, YouTube und Google News genannt. Einzelne erzählen, dass ihre Eltern noch eine Zeitung abonniert haben, andere schauen die Nachrichten im Fernsehen an oder hören Radio. Jugendliche wachsen in einer Welt auf, in der sie einfach und direkt Zugang zu einer Fülle von Informationen haben, wie es vor der Existenz des Internets nicht möglich war. Dabei geben sich die Anbieter:innen von Informationen alle Mühe, den Nutzer:innen ein auf ihre Interessen zugeschnittenes Angebot bereitzustellen. Algorithmen analysieren das Informations- und Konsumverhalten und entscheiden über die Platzierung von Inhalten. Unterdessen sind viele Kinder bereits in den Klassen der unteren Mittelstufe mit internetfähigen Geräten ausgestattet, mit denen sie sich nicht bildend auseinandersetzen können, was sie so unbewusst in die Rolle von Konsument:innen drängt. Darüber hinaus hat jede:r Einzelne die Möglichkeit, Informationen nicht nur überall und jederzeit zu empfangen, sondern über Soziale Netzwerke wie YouTube, Facebook, Twitter oder Instagram auch zu bewerten, zu teilen oder selbst Mitteilungen zu erstellen und dabei direkt in Austausch mit anderen einzutreten. Eine gezielte Ausbildung der Informationskompetenz ab Beginn der aufkeimenden Urteilskraft im frühen Jugendalter ist vor diesem Hintergrund unabdingbarer Bestandteil schulischer Bildung.
Informationskompetenz ist die Fähigkeit, selbstbestimmt Informationen zu finden, zu erkennen, zu analysieren, Medien und Quellen einzuordnen sowie die Informationen auf ihre Relevanz und ihren Wahrheitsgehalt hin bewerten zu können. Ziel ist ein souveräner und selbstbestimmter Umgang mit Informationen als Grundlage zur Meinungsbildung und damit zur Handlungsfähigkeit in einer digitalisierten Gesellschaft.
Definition nach Klicksafe, Aware-ness Centre der Europäischen Union
Von der indirekten zur direkten Medienpädagogik
Ein in sich stimmiges Medienkonzept setzt die für eine gesunde Entwicklung unabdingbare Medienabstinenz in den unteren Klassen in eine sinnvolle Entwicklung fort, wenn ab der Mittelstufe eine gründliche und in den Unterricht integrierte praktische Medienschulung erfolgt. Wie aber soll der Übergang in Klasse sechs, sieben und acht pädagogisch sinnvoll und entwicklungsorientiert gestaltet und wie können die zusätzlichen Inhalte angesichts eines vollen Lehrplans in den laufenden Unterricht integriert werden? Sinnvoll ist es, der Eigentätigkeit gegenüber der Rezeption den Vorrang zu geben, denn das Verständnis für mediale Produkte wird erleichtert, wenn man selbst an Herstellungsprozessen beteiligt ist. Man kann beispielsweise Epochenhefte oder Unterrichtsproben durch die Erstellung von Medienprodukten ersetzen. Dies können Plakate, Lapbooks, Audiobeiträge oder auch größere Publikationen wie eine Klassenzeitung sein.
Beispiel: Zeitungsepoche in Klasse Sieben
Ein aktuelles Beispiel für eine fächerübergreifende, entwicklungs- und kompetenzorientierte Medien-
pädagogik-Epoche in der Mittelstufe liefert ein Projekt der siebten Klasse an der Freien Waldorfschule Landsberg. Im Rahmen einer zweiwöchigen Epoche produzierten, finanzierten und vermarkteten die Schüler:innen im Mai diesen Jahres eine gedruckte Schulzeitung (siehe dazu den Artikel von Emilia Weinhart sowie die Infobox zum Blattmacherwettbewerb weiter unten).
Entwicklungsorientierung und pädagogische Intention
Mit Blick auf eine Mittelstufenklasse der Stufen sieben und acht bedeutet dies unter anderem, dass Recherche in der Regel noch analog geübt und dementsprechend die Themen so gewählt werden sollten, dass eine Internetrecherche nicht nur überflüssig, sondern für den Recherchefall sogar unmöglich ist. Zu erreichen ist dies beispielsweise mit einer Schulzeitung, die sich mit Vorgängen im konkreten Lebensumfeld der Schüler:innen befasst und dementsprechend das direkte Gespräch, Telefonate und gegebenenfalls Bibliotheksbesuche eine souveräne Recherche ermöglichen. Will man beispielsweise herausfinden, aus welchen Quellen die Schule ihre Energie zum Heizen bezieht, kann allenfalls die Hausverwaltung weiterhelfen, während Siri und Google herzlich schlechte Informationsquellen wären. Neben der Recherchekompetenz kann so die Erweiterung von kommunikativen und sozialen Kompetenzen angeregt werden. Aus pädagogischer Sicht ist die Auseinandersetzung der am Beginn ihrer Jugendzeit stehenden Schüler:innen mit den sie umgebenden Lebenszusammenhängen ein wesentlicher Aspekt für ein seelisches Ankommen im Hier und Jetzt und einer Beheimatung und individuellen Realisierung in der Welt. Wichtig für den nun einsetzenden Prozess der Selbstfindung wie auch der Willenserziehung ist es für die Jugendlichen auch, im Fachangebot wählen zu können und sich für Aufgaben entscheiden zu können. In diesem Sinne bietet die Erstellung eines individuell ausgestalteten, hochgradig differenzierten Medienprodukts die Möglichkeit durch eigene Entscheidungen – beispielsweise für ein Artikel-Thema oder eine Tätigkeit – die Selbst-Welt-Beziehung zu stärken. Aus der Identifikation durch die eigene Wahl erwachsen in der Regel Selbst- und Leistungsansprüche. Lernen kann so zur individuellen Angelegenheit werden.
Eine Fülle von Lerngelegenheiten
Für das Produkt Zeitung sprechen in diesem Lebensalter die Teilbarkeit der Arbeitsprozesse und die vielen fachlichen Lerngelegenheiten. Dazu zählen neben dem grundlegenden Regelwerk aus Presse-, Urheber- und Bildrecht und den redaktionellen Kerntätigkeiten des Recherchierens, Produzierens, Redigierens und Korrigierens von Texten auch gestalterisch-ästhetische Grundlagen im Layouten, die Bedeutung von Bildern oder Farben sowie die Erarbeitung eines Geschäftsmodells inklusive Finanzierung.
Die Funktionsprinzipien von Werbung, Preisbildung, Kund:innenverhalten oder Leser:innenbeeinflussung können nachhaltig durchschaut werden, wenn die Klasse selbst eine Leser:innenanalyse erstellt und sämtliche Entscheidungen über Anzeigenkund:innen, Finanzierungspartner:innen, Absatzmärkte, etc. selbst getroffen und ausreichend reflektiert hat. Warum können wir eine Anzeige dieser Bank schalten oder mit diesem Geschäft kooperieren und auf andere lieber verzichten? Fragen, die eine siebte Klasse durchaus reflektiert bewegen kann. Natürlich kann eine zweiwöchige Epoche in Klasse sieben oder acht nur ein Auftakt zu einer sich in den folgenden Jahren fortsetzenden medienpädagogischen Arbeit sein, die in die verschiedensten Fächer integriert werden sollte. In einem Transferteil zum Thema Geschäftsmodelle kann im Rahmen der auf Technik und Soziales fokussierten Geschichtsepoche in Klasse acht beispielsweise erarbeitet werden, wie Instagram oder TikTok Geld verdienen und wie sich die Geschäftsprozesse im Vergleich zu Printprodukten ähneln oder unterscheiden. Das neue Wissen über Bild- und Urheberrechte kann auf das eigene Nutzungsverhalten im Bereich Social Media oder die Zitierregeln der Biografiearbeit in Klasse neun übertragen werden. Im Kunst- oder Medienkundeunterricht kann das digitale Layouten eigener Kleinpublikationen erlernt werden.
Soll die Epoche mit älteren Schüler:innen durchgeführt werden, ist nach einer Analyse der bereits vorhandenen Kompetenzen zu erwägen, ob gegebenenfalls ein anderes Medienprodukt wie etwa eine Webseite angemessener wäre oder ob inhaltlich andere Schwerpunkte angebracht sind.
Eine zehnte oder elfte Klasse ist sehr gut in der Lage, im Rahmen einer Epoche statt individueller Epochenhefte eine gemeinsame Fachzeitschrift zu einem speziellen Inhalt zu erstellen.
«Eine der besten Schülerzeitungen Bayerns»
Die siebte Klasse der Freien Waldorfschule Landsberg ist mit ihrer Schülerzeitung The Waldi Times mit dem ersten Platz des bayernweiten, von Süddeutscher Zeitung (SZ), Bayerischem Staatsministerium für Unterricht und Kultus und der Nemetschek Stiftung ausgelobten Blattmacher-Wettbewerbs als Gesamtschule ausgezeichnet worden. Daneben erhielten die Jungredakteur:innen aus Landsberg einen Sonderpreis für das beste Interview beim Schülerzeitungswettbewerb der bayerischen Ministerialbeauftragten für die oberbayerischen Gymnasien.
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