Die Philosophie und der Weltfrieden

Mario Betti

Dieser eindringliche Essay, der auch ein Plädoyer für mehr Mut zum Denken, für kritisches Hinterfragen und konsequentes Handeln ist, bringt auch ein Zitat von Arthur Schopenhauer (1788-1860): Die Philosophie sei »zuvörderst ein Ungeheuer mit vielen Köpfen, deren jeder eine andere Sprache redet«.

Ferner heißt es bei Brauer, dass »es der Philosophie weder um das alltägliche Klein-Klein« geht, »noch um die Detailversessenheit anderer Wissenschaften, sondern um Grundsätzliches. Sie stellt sich grundlegenden Fragen und beantwortet diese ebenso grundlegend. Sie ist die Basis aller Wissenschaften und der Lebenspraxis«.

Ähnlich äußerte sich bereits Rudolf Steiner, der eine lebendige Philosophie als Wissenschaft aller Wissenschaften charakterisierte und später die Grundlagen für die Wissenschaft der zwölf Weltanschauungen schuf, und damit der gesamten Anthroposophie in Theorie und Praxis.

Brauer führt dann weiter aus, dass »Philosophieren … nichts Exklusives« sei, »sondern alltagsbezogen. Jeder Mensch philosophiert, mehr oder weniger bewusst«, weil Philosophie ein Teil von uns selbst ist. Gegen Ende seines Artikels geht Brauer auf die Notwendigkeit friedlichen Zusammenlebens ein. Es sei »aber nur möglich, wenn wir die Meinung des anderen und die offene Kommunikation zulassen und fördern … Wirklich fatal ist die Idee, nur ein Weg führe zum Ziel, nämlich der eigene«.

Offenes Denken führt zur Achtung der Anderen

Der Leser wird gleich gemerkt haben, dass diese Zitate einerseits das Anliegen dieser Serie genau widerspiegeln und dass andererseits der Autor zum offenen Denken einlädt. Ja, es ist wirklich »fatal«, wenn gedacht wird, dass der eigene Weg der einzig richtige sei und es ist wahr, dass ein friedliches Zusammenleben nur auf Grundlage gegenseitiger Verständigung und Achtung möglich ist – auf welcher Ebene auch immer. Dann würden langsam viele Vorurteile, Dogmen und Fundamentalismen durch die Wärme gegenseitiger Zuwendung schmelzen. Schopenhauer sprach zu Recht von der Philosophie als Ungeheuer mit vielen Köpfen. Das ist sie wirklich, wenn sie eine Einbahnstraße geworden ist.

Ich fand es sehr interessant, dass dieser Appell für Offenheit und Dialog gerade in der Pfingstausgabe einer Tageszeitung abgedruckt wurde. War doch das Pfingstwunder gegenseitiger, universeller Verständigung die christliche Antwort auf die babylonische Sprachenverwirrung, aus der Hader und Streit in die Menschheit Eingang fanden. Aber eines ist gewiss: In jedem von uns ruht die Fähigkeit, die Sprache der Mitmenschen und der Schöpfung zu verstehen. Der Weg der zwölf Weltanschauungen kann sowohl auf der Ebene des Alltags als auch im philosophischen Diskurs gegangen werden.

Ich möchte jetzt eine Zusammenfassung en miniature der behandelten Themen geben.

Der Kreis schießt sich

Wir schauen eine Rose an. Der Phänomenalist wird Farbe, Form, Duft, Lebensprozesse als Kundgebungen ihres Wesens erleben. Der Sensualist – damit der Phänomenalist auf richtigem Boden forschen kann – wird die Sinnesorgani­sation des Menschen untersuchen – denn ohne Sinne, betont er, gibt es keine Erkenntnis. Ferner wird ein Materialist anhand der Beschaffenheit und der Konsistenz der verschiedenen Stoffe zu großen Erkenntnissen, nicht zuletzt medizinisch-kosmetischer Art vorstoßen. Die drei werden sich bestens verstehen! Dann schalten sich die mehr spekulativ orientierten Forscher ein: das mathematisch-geometrische Wunder der Rosenstruktur in ihrer dynamischen Entfaltung wird im Mathematisten eine Quelle von bedeutenden Erkenntnissen werden, bis in die Molekularstruktur hinein, die einen echten Rationalisten tiefer auf die Spur des Guten und des Harmonisch-Vernünftigen in der Schöpfung bringen können. Daran kann sich der begeisterte Idealist anschließen. Er wird mehr und mehr durch den Schleier der Sinne auf die Welt ewiger, schaffender Ideen in Kosmos und Mensch aufmerksam: Sie werden die auf den Sinnen basierenden Anschauungen der ersten drei ergänzen und befruchten! Dann wird der Psychist in der Erscheinung der Rose einen Teil der Seele der Natur erleben, die in seinem Inneren fruchtbare Gedanken anregt. Er wird eine umfassende Weltseele ahnen, von der die Menschenseele gleichsam eine Abgesandte ist. Und wie tief dies der Fall ist, wird ihm der Pneumatist zeigen, der ahnend-schauend in die Geheimnisse der Weltseele und des Weltgeistes einzudringen vermag. Diese Geheimnisse werden durch den echten Spiritualisten klar erkannt und geschildert. Kosmos und Mensch erscheinen ihm als Wirkung hierarchisch abgestufter, spiritueller Wesenheiten. Selbst die Rose wird ihm so erscheinen, wie es der Dichter Albert Steffen einmal in Worte gefasst hat: »Rosen sind seraphische Gaben«. Damit wies er auf die Welt der Seraphim, der hohen Geister der Liebe hin – wie sie Rudolf Steiner genannt hat.

Ergriffen werden diese drei den anderen von ihren Entdeckungen erzählen und alle werden über den Zusammenfluss der unterschiedlichen Erkenntnisströme beraten. Aber da fehlen noch: der Dynamist, der für alle Formen von Energie offen ist, auch für die Vitalkraft der Rose. Und während der Monadist auf die Einmaligkeit aller Wesen, auf das Einmalige dieser Rose trotz allgemeiner botanischer Merkmale eingeht, wird der umfassende Realist seinen unschätzbaren Beitrag zur Zusammenfassung aller Weltansichten leisten. Denn in der Rose, die er so aufnimmt, wie sie in ihrer vollen Wirklichkeit ist, ahnt er zunehmend ihre unerschöpfliche Fülle in der Welt der Sinne, der Seele und des Geistes.

Das Ungeheuer mit den vielen Köpfen hat sich dann in einen Sonnengenius verwandelt, der mit seinem Füllhorn Sinn, Wissen, Weisheit und anderes allen Menschen spendet, die eines guten Willens sind. Denn sie werden Frieden schaffen, wie es in der Engelbotschaft zu Weihnachten verkündet wird.

Zum Autor: Mario Betti war Waldorflehrer, danach Dozent an der Alanus-Hochschule in Alfter und am Stuttgarter Lehrerseminar. Er ist Autor einiger Bücher, u.a. Zwölf Wege, die Welt zu verstehen.